Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksame Versetzung eines Baufacharbeiters bei fehlenden Darlegungen der Arbeitgeberin zur Abwägung beiderseitiger Interessen
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Zuweisung eines anderen Arbeitsortes ist eine einseitige Leistungsbestimmung im Wege des Weisungsrechts und darf als solche nur nach billigem Ermessen im Sinne der §§ 106 GewO, 315 BGB erfolgen.
2. Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfahrensrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit; die Arbeitgeberin trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Leistungsbestimmung im Rahmen der gesetzlichen, einzel- und kollektivvertraglichen Grenzen erfolgt ist und billigem Ermessen entspricht.
3. Ist die Arbeitgeberin der Ansicht, dass aufgrund der arbeitsvertraglichen und der für den Baubereich geltenden tarifvertraglichen Regelungen die jeweilige Zuweisung einer Arbeitsstätte generell keiner besonderen Rechtfertigung bedarf, und legt sie insbesondere nicht dar, dass die Leistungsbestimmung billigem Ermessen entspricht, sie die berechtigten Belange des Arbeitnehmers berücksichtigt und abgewogen hat und der Arbeitnehmer bei Abwägung aller Gesichtspunkte in Bezug auf die angeordnete Versetzung derjenige Arbeitnehmer ist, dessen Interessen am wenigsten schutzwürdig sind, zeigt allein schon die Äußerung einer irrigen Rechtsansicht, dass die Arbeitgeberin entgegen §§ 106 GewO, 315 BGB bei der Zuweisung des Arbeitsortes keine Abwägung der wechselseitigen Interessen auch unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit vorgenommen hat.
Normenkette
GewO § 106; BGB § 315; GewO § 106 S. 1; BGB § 315 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Elmshorn (Entscheidung vom 16.04.2015; Aktenzeichen 5 Ca 48 d/15) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 16.04.2015 - 5 Ca 48 d/15 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer von der Beklagten gegenüber dem Kläger erklärten Versetzung von B... nach L....
Der Kläger ist 56 Jahre alt. Er ist verheiratet, seiner nicht berufstätigen Ehefrau und drei schulpflichtigen Kindern (derzeit 8, 11 und 14 Jahre) gegenüber zum Unterhalt verpflichtet und wohnt in B....
Er ist auf der Grundlage eines - zunächst befristeten - schriftlichen Arbeitsvertrages (Bl. 8 - 12 d. A.) seit dem 02.07.2007 (8 Jahre lang) als Spezialfacharbeiter/Isolierer bei der Beklagten, die ihren Sitz in L... (N...) hat, tätig. Zuletzt betrug seine Bruttomonatsvergütung 2.741,90 EUR.
In Pos. 14 des Arbeitsvertrages regelten die Parteien, dass auf das Arbeitsverhältnis die allgemeinverbindlichen Tarifverträge für das Baugewerbe Anwendung finden sollen, soweit der Arbeitsvertrag keine andere Regelung enthalte. Nach Pos. 16 Abs. 1 des Arbeitsvertrages ist geregelt, dass der Kläger auf allen Bau- oder sonstigen Arbeitsstellen der Beklagten eingesetzt werden könne, auch auf solchen, die er von seiner Wohnung aus nicht jeden Tag erreichen könne.
Die Beklagte setzte den Kläger zunächst rund zwei Jahre lang auf einer Baustelle auf dem Gelände der Raffinerie in H... ein, das sind 38 km vom Wohnort entfernt. Seit 2009 ist der Kläger auf einer Baustelle bei ihrem Kunden S... GmbH in B... eingesetzt.
Wegen einer Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und dem bei der Beklagten als Vorarbeiter beschäftigten Herrn M. am 05.09.2014 sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger unter dem Datum des 08.09.2014 eine fristlose, hilfsweise fristgerechte Kündigung aus. Ein halbes Jahr davor waren die beiden schon einmal verbal aneinandergeraten und fühlten sich wechselseitig beleidigt. Nachdem der Kläger sodann in eine andere Abteilung versetzt worden war, war Ruhe. Beide ignorierten sich. Es kam dann nach einer vorübergehenden Zuweisung des Klägers in die Abteilung des Vorarbeiters M.im September 2014 wieder zu einer verbalen Auseinandersetzung. Der Kläger erhielt daraufhin die fristlose Kündigung, gegen die er Klage erhob. Was wer wann wem zuerst und zuletzt gesagt hat, ist streitig und nach dem Ergebnis einer Beweisaufnahme im Vorprozess auch widersprüchlich geblieben. Der Kläger hat das Kündigungsschutzverfahren (51 Ca 1391 c/14) gewonnen. Das Urteil vom 13.11.2014 ist rechtskräftig geworden.
Noch während des Laufs der Rechtsmittelfrist erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 27.11.2014 (Bl. 37 f. d. A), sie beabsichtige, gegen die Entscheidung Berufung einzulegen. Sie bot dem Kläger den Abschluss einer befristeten Prozessbeschäftigungsvereinbarung über eine Beschäftigung auf ihrer Baustelle bei ihrem Kunden in L... O... mit Wirkung ab dem 01.12.2014 an, das ist rund 660 km vom Wohnort des Klägers entfernt. Der Kläger erklärte am 02.12.2014 (Bl. 41 f. d. A.) nur seine Bereitschaft zum Abschluss eines befristeten Prozessbeschäftigungsverhältnisses auf...