BAG, Urteil v. 12.10.2022, 10 AZR 496/21
Leitsatz (amtlich)
Den Parteien einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung bleibt nach § 18 Abs. 6 TVöD/VKA die nähere Ausgestaltung des Leistungsentgelts überlassen. Dabei haben sie unter Beachtung des Zwecks der Tarifnorm einen Regelungsspielraum auch hinsichtlich der Festlegung etwaiger Ausschluss- und Kürzungstatbestände. Ist in einer solchen Vereinbarung eine abschließende Regelung getroffen, in welchen Fällen eine Leistungsprämie zu kürzen ist, scheidet ein Rückgriff auf den Grundsatz "ohne Arbeit kein Lohn" aus.
Sachverhalt
Der Kläger war seit dem 1.5.2014 bei der Beklagten beschäftigt und bei deren Stadtwerken in Vollzeit tätig. Der TVöD-VKA findet Anwendung.
Für die Beschäftigten der Stadtwerke besteht eine "Dienstvereinbarung zur Durchführung der leistungsorientierten Bezahlung … nach § 18 TVöD" (DV Leistungsprämie), die eine Verteilung des Leistungsentgelts in Prämienform auf Grundlage der Feststellung eines individuellen Zielerreichungsgrads vorsieht, wobei gemäß der Dienstvereinbarung sowohl Einzel- als auch Teamzielvereinbarungen abgeschlossen werden können. Die Zielfeststellung erfolgt nach einem Punktwert auf einer abgestuften Skala von maximal 6 Punkten. Die vollständige Zielerreichung (100 %) entspricht einem Wert von 6 Punkten, die fast vollständige Erfüllung des gesetzten Ziels ab einer Zielerreichung von 90 % wird mit 5 Punkten bewertet.
In § 12 Abs. 1 der Dienstvereinbarung ist zudem geregelt, dass Beschäftigte, die wegen längerer Krankheit (über 6 Wochen gem. § 22 TVöD) an der allgemeinen Leistungsbewertung nicht teilnehmen, aber die zuletzt bewertete Punktzahl behalten, wenn der Bewertungszeitraum weniger als 6 Monate beträgt. Weitere Folgen, dies sich bei Krankheit für das Leistungsgeld ergeben, sind in der DV nicht enthalten.
Der Kläger war in der Zielvereinbarungsperiode 2017/2018 in der Zeit vom 22.6. bis 13.7.2017 und vom 30.1. bis 6.4.2018 arbeitsunfähig erkrankt. Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung bestand für diesen Zeitraum nicht. Für den Kläger war am 29.3.2017 ein Teamziel "Umsetzung der Archivorganisation" vereinbart worden, welches nach einer am 25.4.2018 vorgenommenen Bewertung ein Leistungsergebnis von 5 Punkten mit 100 %iger Gewichtung auswies. Die Beklagte rechnete im Abrechnungsmonat August 2018 ein Leistungsentgelt i. H. v. 836,02 EUR brutto ab. Sie berücksichtigte dabei die Zeiten der Arbeitsunfähigkeit ohne Entgeltfortzahlungsanspruch nicht.
Der Kläger hat nun die Auffassung vertreten, dass ihm aufgrund der Zielverwirklichung ein ungekürztes Leistungsentgelt zustehe. Er begründete dies damit, dass in der Dienstvereinbarung keine Kürzungsregelung für den Fall einer längerfristigen Erkrankung getroffen worden sei, woraus zu schließen sei, dass eine Kürzung für solche Zeiten nicht erfolgen dürfe.
Dagegen brachte die Beklagte vor, das leistungsorientierte Entgelt hänge von der tatsächlichen Arbeitsleistung des Klägers und seinem Beitrag zur Zielverwirklichung ab. Der teilweise Wegfall des Anspruchs beruhe auf dem Gegenseitigkeitsverhältnis von Vergütungs- und Leistungspflicht. Somit führe die Fehlzeit ohne Entgeltfortzahlungsanspruch zu einer Kürzung der berücksichtigungsfähigen Tage, weshalb der Kläger nur einen individuell gekürzten Punktwert von 3,23 Punkten erreicht habe.
Die Entscheidung
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das LAG hat ihr stattgegeben. Vor dem BAG hatte die Klage überwiegend Erfolg. Das Gericht entschied, dass das Ergebnis der Zielerreichung des Teams nach § 11 Abs. 5, § 18 Abs. 6 DV Leistungsprämie auf den Kläger zu übertragen sei und eine Kürzung der Punktzahl aufgrund der krankheitsbedingten, außerhalb des Entgeltfortzahlungszeitraums liegenden Fehlzeiten des Klägers nach der für die Ausgestaltung des Leistungsentgelts im Beschäftigungsbereich des Klägers allein maßgeblichen Dienstvereinbarung nicht in Betracht komme.
Das BAG führte hierzu aus, dass weder§ 18 TVöD/VKA noch § 22 i. V. m. § 21 TVöD/VKA eine ausdrückliche Regelung dazu treffen, wie sich Arbeitsunfähigkeitszeiten, die über den Entgeltfortzahlungszeitraum nach § 22 Abs. 1 TVöD/VKA hinausgehen, auf das Leistungsentgelt auswirkten. Diese Frage werde durch die Tarifnorm der betrieblichen Ausgestaltung nach § 18 Abs. 6 TVöD/VKA überlassen, wonach die Parteien einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung die Anspruchsvoraussetzungen innerhalb des tariflichen Rahmens und damit auch etwaige Ausschluss- oder Kürzungskriterien selbst festlegen können. Und nur für den Fall, dass es an einer solchen Ausgestaltung fehle, komme ein Rückgriff auf den allgemeinen Grundsatz "ohne Arbeit kein Lohn" in Betracht.
Im vorliegenden Fall enthielt die maßgebliche Dienstvereinbarung keine ausdrückliche Kürzungsregelung für den Fall eines krankheitsbedingten Arbeitsausfalls über den Entgeltfortzahlungszeitraum hinaus. Zudem lasse sich, so das Gericht weiter, aus den Bestimmungen nicht entnehmen, dass die Dienstvereinbarungsparteien eine zeitanteilige Kürzung der Leistungsprämie...