Entscheidungsstichwort (Thema)

Rücknahme bzw Aufhebung der Arbeitslosengeld und -hilfebewilligungen für die Vergangenheit. Nichtmitteilung einer mehr als kurzzeitigen Beschäftigung. Beweislastumkehr. Beweisnot. Beweisnähe. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zwar trifft im Falle der rückwirkenden Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe grundsätzlich den Leistungsträger die Beweislast für die Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Bewilligungsbescheides. Ergibt sich jedoch nach Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten, dass der Sphäre des Arbeitslosen zuzuordnende Vorgänge nicht aufklärbar sind, so geht dies zu dessen Lasten. Insbesondere kann sich dabei eine dem Arbeitslosen anzulastende Beweisnähe daraus ergeben, dass er durch Unterlassung von Angaben im Zusammenhang mit den Antragstellungen eine zeitnahe Aufklärung des Sachverhalts unmöglich gemacht hat (Anschluss an BSG vom 13.9.2006 - B 11a AL 19/06 R und B 11a AL 13/06 R -, BSG vom 24.5.2006 - B 11a AL 7/05 R = Breith 2007, 259 ff.).

2. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine solche Umkehr der Beweislast bestehen angesichts des genannten Erfordernisses der (besonderen) Beweisnähe des Arbeitslosen nicht.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. Juni 2004 abgeändert. Der Bescheid der Beklagten vom 12. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2003 wird aufgehoben, soweit die darin geforderte Erstattung einen Betrag von € 60.517,96 überschreitet.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe sowie eine Erstattungsforderung der Beklagten.

Die im Jahre 1953 geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige, verheiratet und Mutter von fünf in den Jahren 1974, 1976, 1980, 1985 bzw. 1987 geborenen Kindern. Nachdem sie bereits 1980 und 1981 Leistungen von der Beklagten bezogen hatte, meldete sie sich 1992 und 1993 jeweils im Anschluss an den Verlust ihres Arbeitsplatzes erneut bei der Beklagten arbeitslos. In der Folgezeit erhielt sie Arbeitslosengeld bis zur Erschöpfung des Anspruchs mit Ablauf des 14.03.1994.

Ab dem 15.03.1994 wurde der Klägerin wöchentliche Arbeitslosenhilfe i. H. v. DM 264,60 (Bewilligungsbescheid vom 25.02.1994), ab 12.09.1994 i. H. v. DM 267,60 (Weiterbewilligungsbescheid vom 05.09.1994), ab 02.01.1995 i. H. v. DM 274,20 (Änderungsbescheid vom 13.01.1995), ab 12.09.1995 i. H. v. DM 276,60 (Weiterbewilligungsbescheid vom 25.09.1995 und Änderungsbescheid vom 25.10.1995), ab 01.01.1996 i. H. v. DM 278,40 (Änderungsbescheid vom 12.01.1996), ab 01.07.1996 in Höhe von DM 269,40 (Änderungsbescheid vom 12.07.1996 und Weiterbewilligungsbescheid vom 26.09.1996), ab 01.01.1997 in Höhe von DM 265,80 (Änderungsbescheid vom 10.01.1997), ab 01.07.1997 in Höhe von DM 261,00 (Änderungsbescheid vom 11.07.1997 und Weiterbewilligungsbescheid vom 18.09.1997), ab 01.01.1998 in Höhe von DM 260,89 (Änderungsbescheid vom 16.01.1998), ab dem 01.07.1998 in Höhe von DM 256,41 (Änderungsbescheid vom 28.07.1998 und Weiterbewilligungsbescheid vom 24.08.1998), ab 01.01.1999 i. H. v. DM 256,48 (Änderungsbescheid vom 18.01.1999), ab 01.07.1999 i. H. v. DM 252,00 (Änderungsbescheid vom 27.07.1999 und Weiterbewilligungsbescheid vom 30.08.1999), ab 01.01. 2000 i. H. v. DM 253,54 (Änderungsbescheid vom 17.01.2000), ab dem 01.07.2000 i. H. v. DM 249,06 (Änderungsbescheid vom 26.07.2000), ab 12.09.2000 i. H. v. DM 158,69 (Weiterbewilligungsbescheid vom 16.10.2000) sowie ab 01.11.2000 bis zur mit dem 08.01.2001 beginnenden Zahlung von Unterhaltsgeld für eine ihr bewilligte Maßnahme i. H. v. DM 249,06 (Änderungsbescheid vom 21.11.2000) gewährt. Nach Abbruch der Maßnahme wurde der Klägerin für die Zeit vom 19.02. bis 28.02.2001 Arbeitslosenhilfe i. H. v. DM 355,80 (Bescheid vom 10.04.2001), ab 01.03.2001 wöchentliche Arbeitslosenhilfe i. H. v. DM 249,41 (Weiterbewilligungsbescheid vom 10.04.2001), ab 01.07.2001 i. H. v. DM 244,93 (Weiterbewilligungsbescheid vom 02.08.2001) sowie vom 01.01.2002 - zunächst bis zur vorläufigen Zahlungseinstellung zum 01.05.2002 und nach Ende der Frist für diese vorläufige Regelung rückwirkend - bis zum Ablauf des Bewilligungsabschnitts am 30.06.2002 i. H. v. € 125,20 (Änderungsbescheid vom 15.01.2002) gewährt.

Diesen Bewilligungen lagen von der Klägerin unterschriebene schriftliche Anträge vom 15.02.1994, 04.09.1995, 16.09.1996, 28./29.08.1997, 05.08.1998, 09.08.1999, 15.09.2000, 19./27.02.2001 und vom 02.08.2001 zu Grunde. Darin hatte sie jeweils angegeben, sie übe weder eine selbstständige Tätigkeit noch eine Nebenbeschäftigung aus und helfe auch nicht einem Familienangehörigen bei einer selbständigen Tätigkeit oder bei Heimarbeit. Ihr ebenfalls arbeitsloser Ehemann sei an einem Marktstand der gemeinsamen Tochter tätig und erziele dabei ein näher bezeichnetes Einkommen. Sie versichere, zutreffende Angab...

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