Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Familienversicherung. Mitgliedschaft eines behinderten Kindes in der Familienversicherung über dessen 23. Lebensjahr hinaus
Orientierungssatz
1. Nach der für die Auslegung des § 10 Abs 2 Nr 4 SGB 5 verbindlichen Definition des § 2 Abs 1 S 1 SGB 9 sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und deshalb ihre Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt ist.
2. Ein Kind iS des § 10 Abs 2 Nr 4 SGB 5 ist unfähig, sich selbst zu unterhalten, wenn es seinen eigenen Lebensunterhalt einschließlich notwendiger Aufwendungen infolge der Behinderung nicht selbst bestreiten kann. Der Begriff des Außerstandeseins, sich selbst zu unterhalten, ist mit dem eines aufgehobenen Leistungsvermögens iS der gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbar (vgl BSG vom 14.8.1984 - 10 RKg 6/83 = BSGE 57, 108 = SozR 5870 § 2 Nr 35).
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 7. November 2018 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch für das Berufungsverfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt über ihr 23. Lebensjahr hinaus die Familienversicherung bei der Beklagten.
Die 1989 geborene Klägerin, bei der das Versorgungsamt einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 unter Berücksichtigung von Fingeranomalien beider Hände festgestellt hatte (Bescheid des Landesamtes für Soziales und Versorgung für das Land Brandenburg vom 23. Juni 1994; GdB 70 mit Bescheid vom 22. Januar 2013 mit Wirkung ab 22. Mai 2012 unter zusätzlicher Berücksichtigung von Verhaltensstörungen), war bei der Beklagten über ihre Mutter bis 29. März 2012 familienversichert. Die Klägerin beantragte wegen der Behinderung und mangels eigener Erwerbsaussicht am 22. Februar 2012 die Weiterführung der Familienversicherung unter Hinweis auf den Ergebnisbericht der Arbeitserprobung beim Berufsbildungswerk im O in der Zeit vom 24. August 2009 bis 25. September 2009 sowie die gutachterliche Äußerung des ärztlichen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit vom 9. Juli 2010, wonach sich aufgrund einer angeborenen körperlichen Behinderung wie auch der sich entwickelnden Persönlichkeitsproblematik eine verminderte Leistungsfähigkeit bzw. Belastbarkeit für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ergebe. Auf Bl. 9 bis 28 der Verwaltungsakte der Beklagten wird wegen des Inhalts dieser Unterlagen Bezug genommen.
Nach Einholung einer Stellungnahme des MDK Berlin-Brandenburg e.V. (nachfolgend: MDK) vom 13. April 2012 stellte die Beklagte mit Bescheid vom 18. April 2012 die Beendigung der Familienversicherung zum 29. März 2012 und Fortführung der Versicherung ab 20. März 2012 als freiwillige Mitgliedschaft fest, gegen den die Klägerin Widerspruch erhob. Mit Bescheiden vom 23. April 2012 und vom 24. Januar 2013 setzte sie die Höhe der ab 30. März 2012 bzw. ab 1. Januar 2013 zu zahlenden Beiträge fest. Die Widerspruchsverfahren insoweit wurden ruhend gestellt.
Nach Vorlage des Behandlungsberichts der Klinik für Psychosomatik und psychotherapeutische Medizin H vom 6. Juli 2012 wegen einer stationären Behandlung vom 23. Mai 2012 bis zum 4. Juli 2012, der sozialmedizinischen Stellungnahme des MDK vom 7. Dezember 2012, einer im Februar 2013 erstellten Stellungnahme der die Klägerin behandelnden Ergotherapeuten K sowie Erstattung des sozialmedizinischen Gutachtens vom 19. März 2013 des MDK (wegen des Inhalts dieser medizinischen Unterlagen wird auf Bl. 47-51,60, 72 f., 83-85 der Verwaltungsakte verwiesen), lehnte die Beklagte mit einem weiteren Bescheid vom 28. März 2013 die Fortführung der Familienversicherung für die Klägerin ab. Den Widerspruch der Klägerin wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 11. September 2013 zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass nach den sozialmedizinischen Stellungnahmen des MDK davon auszugehen sei, dass bei der Klägerin keine Behinderung vorliege, die sie daran hindere, sich selbst zu unterhalten. Sie sei nicht außerstande, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten.
Das Sozialgericht Frankfurt (Oder) hat im nachfolgenden Klageverfahren (Eingang beim Sozialgericht Berlin am 7. Oktober 2013; Verweisungsbeschluss vom 15. November 2013) Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärztinnen eingeholt und zwar der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. W vom 20. Juni 2014 und der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. M vom 23. Juli 2014. Wegen deren Inhalts wird auf Bl. 52-58 der Gerichtsakten verwiesen. Aufgrund entsprechender Beweisanordnung durch das Sozialgericht hat der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. B nach Untersuchung der Kläger das psychiatrische Gutachten vom 13. Februar 2015 erstattet. Danach sei die körperliche Behinderung der Klägerin infolge der seit der Geburt bestehenden Fehlbildung der...