Entscheidungsstichwort (Thema)
Sanktionsbescheid. Bestimmtheit. Aussetzungsverfahren. Prüfungsmaßstab. Einstweilige Anordnung. Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Bestimmtheit eines Verwaltungsakts. Absenkung. Besitzstand. Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz
Leitsatz (amtlich)
Bestehen bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitigen Bescheides und ist daher eine Erfolgsaussicht des Hauptsacheverfahrens zu bejahen, überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse, denn an der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kann schlechthin kein öffentliches Interesse bestehen. Der gesonderten Prüfung eines Eilbedürfnisses bedarf es in den Fällen des § 86 b Abs. 1 SGG, in denen die Rechtmäßigkeit der zu vollziehenden Grundverfügung zentraler Prüfungsgegenstand ist, nicht.
Leitsatz (redaktionell)
Nach § 33 Abs. 1 SGB X muss ein Verwaltungsakt, um materiell rechtmäßig zu sein, inhaltlich hinreichend bestimmt sein. In Zusammenhang mit einem Sanktionsbescheid nach § 31 SGB II bedeutet dies zumindest, dass dem Adressaten, in dessen Besitzstand eingegriffen wird, von vornherein klar sein muss, in welcher konkreten Höhe er eine Absenkung hinzunehmen hat.
Normenkette
SGB II § 39 Nr. 1, § 40 Abs. 1 S. 1, § 31; SGB X § 48 Abs. 1 S. 1, § 33 Abs. 1; SGG § 86b Abs. 1-2, §§ 172-173
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juli 2007 aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 11. Juli 2007 gegen den Sanktionsbescheid vom 22. Juni 2007 wird angeordnet. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller 312,00 € auszuzahlen.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten für das gesamte einstweilige Rechtsschutzverfahren zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juli 2007 ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 SGG zulässig und begründet.
Der Eilantrag des Antragstellers richtet sich gemäß § 86 b Abs. 1 SGG auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs. Mit dem ursprünglichen Bewilligungsbescheid sind ihm Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den hier streitbefangenen Zeitraum vom 1. Juli 2007 bis zum 30. September 2007 in ungekürzter Höhe (728,26 Euro) gewährt worden. Damit hat der Antragsgegner einen Rechtsgrund geschaffen, aus dem der Antragsteller für die jeweiligen Monate die Auszahlung der ihm mit diesem Bescheid gewährten Leistungen verlangen kann. Wenn der Antragsgegner meint, diese Leistungsgewährung sei vom 1. Juli 2007 an teilweise rechtswidrig geworden, so bedarf der ursprüngliche Bewilligungsbescheid der Aufhebung gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Dieser Bescheid, der hier unter dem 22. Juni 2007 ergangen ist, stellt eine den Antragsteller belastende Regelung dar, weil mit ihr in die ihn begünstigende Rechtsposition eingegriffen worden ist.
Da der Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 22. Juni 2007 nach § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung hat, richtet sich der einstweilige Rechtsschutz nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG.
Hiernach kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Ob die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anzuordnen ist oder nicht, entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen auf der Grundlage einer Abwägung, bei der das private Interesse des Bescheidadressaten an der Aussetzung der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes abzuwägen ist. Bestehen bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitigen Bescheides und ist daher eine Erfolgsaussicht des Hauptsacheverfahrens zu bejahen, überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse, denn an der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kann schlechthin kein öffentliches Interesse bestehen (allg. Meinung, vgl. nur Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 8. Aufl. 2005, Rdnr. 12 c zu § 86 b SGG; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Aufl. 2002, S. 174; Schoch, VwGO, Rdnr. 264 zu § 80 VwGO; Finkelnburg u.a., Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl. 2008, Rdnr. 967). Der gesonderten Prüfung eines Eilbedürfnisses bedarf es in den Fällen des § 86 b Abs. 1 SGG, in denen die Rechtmäßigkeit der zu vollziehenden Grundverfügung zentraler Prüfungsgegenstand ist, nicht; lediglich im Rahmen des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 SGG ist ein Eilbedürfnis als Anordnungsgrund glaubhaft zu machen (anders insoweit Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. Juli 2007, L 28 B 1087/07 AS ER sowie Beschluss vom 12. Mai 2006, L 10 B...