Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht. Busfahrer für Stadtrundfahrten. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit. Dienstvertrag. Werkvertrag. Abgrenzung. Fahrtätigkeit ohne Einsatz eigener Fahrzeuge. vertraglich nicht vereinbarter Einsatz Dritter. Beweislast. Hauptberuflichkeit. prospektive Betrachtungsweise
Leitsatz (amtlich)
1. In einen fremden Betrieb eingegliedert ist, wer zur Erbringung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit vollständig auf die von einem anderen ("Auftraggeber") unterhaltenen materiellen Betriebsmittel (hier: Fuhrpark) sowie dessen immaterielle Betriebsmittel (hier: Konzession nach dem Personenbeförderungsgesetz (juris: PBefG)) angewiesen ist.
2. Die Anschaffung von Gegenständen wie Handy und PC lässt nur dann auf ein unternehmerisches Risiko schließen, wenn diese Gegenstände gerade im Hinblick auf die ausgeübte Tätigkeit angeschafft, hierfür eingesetzt und das aufgewandte Kapital bei Verlust des Auftrags und/oder ausbleibenden weiterer Aufträge als verloren anzusehen wäre (vgl BSG vom 18.11.2015 - B 12 KR 16/13 R = BSGE 120, 99 = SozR 4-2400 § 7 Nr 25 - juris). Es spricht nach der allgemeinen Lebenserfahrung nichts dafür, dass Gegenstände wie Handy und PC, die mittlerweile in vielen Haushalten sogar mehrfach vorhanden sind, durch die Aufgabe einer Tätigkeitsform wertlos werden.
Im Übrigen genügt es bei (auch höherwertigen) Anschaffungen nicht, dass ein Erwerbstätiger irgendwelche Investitionen im Hinblick auf eine angestrebte selbständige Tätigkeit vornimmt. Zu fordern ist vielmehr ein nachvollziehbarer Zusammenhang mit der für die Statusprüfung maßgeblichen Tätigkeit.
3. Nicht für eine selbständige Tätigkeit sprechen Vertragsklauseln, die darauf gerichtet sind, an den Arbeitnehmer- bzw Beschäftigtenstatus anknüpfende arbeits-, steuer- und sozialrechtliche Regelungen abzubedingen bzw zu vermeiden - zB Nichtgewährung von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und bei Urlaub bzw von Urlaubsgeld; Verpflichtung, Einnahmen selbst zu versteuern; Obliegenheit, für mehrere Auftraggeber tätig zu werden oder für eine Sozial- und Krankenversicherung selbst zu sorgen - (vgl BSG vom 18.11.2015 - B 12 KR 16/13 R aaO).
4. Der Wille der Vertragsparteien kann nicht Ausgangspunkt einer Statusprüfung sein. Denn dem Willen der Vertragsparteien kommt nur indizielle Bedeutung zu (vgl BSG vom 18.11.2015 - B 12 KR 16/13 R aaO).
5. Wer sich auf das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit beruft, trägt die Beweislast für die Tatsache, dass Dritte in prägendem Umfang in die Leistungserbringung eines Auftragnehmers eingebunden waren.
6. Es geht im Rahmen der Beweislast zuungunsten des aufzeichnungspflichtigen Arbeitgeber, wenn bei grundsätzlich bejahter Beschäftigung nachträglich nicht mehr aufgeklärt werden, an welchen Tagen im Einzelnen eine Tätigkeit ausgeübt wurde.
7. Zur Beschäftigung eines Busfahrers, der Stadtrundfahrten durchführt.
Orientierungssatz
Die prospektive Betrachtungsweise im Versicherungs- und Beitragsrecht des SGB schließt es bezogen auf die Frage der Hauptberuflichkeit einer selbstständigen Tätigkeit im Sinne des § 5 Abs 5 SGB 5 aus, diese für einzelne Monate nur anhand nachträglich gewonnener Daten zur Einnahmesituation zu bejahen.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 02. Oktober 2013 und der Bescheid der Beklagten vom 06. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. Februar 2010, beide in der Fassung des Bescheides vom 12. November 2012, geändert.
Es wird festgestellt, dass der Beigeladene zu 1) in seiner Arbeit als Busfahrer für den Kläger an folgenden Tagen nicht der Versicherungspflicht in den Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung unterlag:
1., 2., 7.-9., 14.-16., 21.-23., 27., 28. Juli 2009,
1.-4., 8.-12., 17.-20., 24., 25., 29., 30. August 2009,
1., 5.-8., 12.-16., 19.-21., 26., 28., 29. September 2009,
2.-5., 7.-11., 15.-30. November 2009.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger und der Beigeladene zu 1) zu 15/16 und die Beklagte zu 1/16. Die übrigen Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) aufgrund einer Tätigkeit als Busfahrer für den Kläger in der Zeit vom 1. Juli 2007 bis 31. März 2010.
Der Beigeladene zu 1) beendete durch eine Eigenkündigung zum 30. Juni 2007 seine Beschäftigung bei der Firma des Klägers (B E Stadtrundfahrten). Nach dem dieser Beschäftigung zugrunde liegenden Arbeitsvertrag vom 12. Mai 2006 wurde der Beigeladene zu 1) als Kraftomnibusfahrer bei einem Stundenlohn von 10,50 Euro brutto eingestellt, wobei er nicht nur zu Mehrarbeit, auch an Sonn- und Feiertagen, gegen Freizeitausgleich verpflichtet war, sondern auch zu anderen Arbeiten als Stadtrundfahrten, z.B. ins europäische Ausland, mit LKW, Personenbeförderung in PKW, Fahrten für andere Unternehmen mit deren Fahrzeugen sowie zu Tätigkeiten, die für ...