Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherungspflicht. Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit bei einem Kranken- und Altenpfleger

 

Orientierungssatz

1. Eine versicherungspflichtige Beschäftigung setzt voraus, dass der Arbeitnehmer von einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Dies verlangt Eingliederung in einen fremden Betrieb und Weisungsgebundenheit. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit durch das eigene Unternehmerrisiko, eine eigene Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitskraft gekennzeichnet (vgl zuletzt BSG vom 28.9.2011 - B 12 R 17/09 R = USK 2011-125).

2. Dass der Gesetzgeber in § 2 S 1 Nr 2 SGB 6 selbst anerkennt, dass Pflegepersonen selbständig sein können, führt nicht dazu, die Grundsätze der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit zu suspendieren.

3. Entscheidend bleibt, ob eine Eingliederung in einen fremden Betrieb gegeben ist. Auch abhängig Beschäftigten verbleibt in ihrer Tätigkeit typischerweise ein Entscheidungsspielraum, auf unvorhergesehene Situationen nach eigenem Ermessen zu reagieren.

4. An einer Eingliederung in einen fremden Betrieb ändert nicht, wenn die Pflegekraft dem Auftraggeber gegenüber den Anschein erweckt, sie sei Inhaber eines nach § 132 SGB 5 zugelassenen Pflegedienstes mit eigenen Mitarbeitern, um einen besonders hohen Stundenlohn zu erhalten. Das ist für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung ohne Bedeutung.

5. Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass der Pflegekraft für einen Beschäftigten untypische Belastungen und Risiken auferlegt werden, wie zB fehlende Lohnfortzahlung bei Arbeitsausfall und im Krankheitsfall oder kein Urlaubsanspruch.

6. Unerheblich für die Gesamtbewertung ist, wenn vom Finanzamt die von der Pflegekraft erzielten Einkünfte als solche aus selbständiger Tätigkeit behandelt werden. Zwischen arbeits- und sozialrechtlicher Einordnung von Einkünften einerseits und steuerrechtlicher Bewertung andererseits besteht ebenso wenig eine Bindung wie umgekehrt (vgl BSG vom 28.8.1961 - 3 RK 57/57 = BSGE 15, 65 = SozR Nr 26 zu § 165 RVO und BFH vom 17.10.2003 - V B 80/03 = BFH/NV 2004, 379).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 01.08.2013; Aktenzeichen B 12 R 2/13 B)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. September 2008 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen zu 1 bis 4, die ihre Kosten selbst tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beigeladene zu 1 in der für die Klägerin ausgeübten Tätigkeit als Kranken- und Altenpfleger in Nachtwachen vom 1. April 2000 bis 22. März 2002 der Versicherungspflicht in der Sozialversicherung und in der Arbeitslosenversicherung unterlag.

Vorgeschichte Der 1953 geborene Beigeladene zu 1 ist examinierter Krankenpfleger. Vom 1.Januar 1994 bis 28. Februar 1999 war er als Pflegekraft in dem seinerzeit von der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde W. betriebenen Altenheim am R. tätig, wo er Versorgungsverträge zwischen einem unter seinem Namen betriebenen ambulanten Pflegedienst und verschiedenen Krankenkassen vorlegt hatte und, nach mündlicher Absprache mit dem damaligen Heimleiter, als "freier Mitarbeiter" eingesetzt wurde. U.a. in den Jahren 1997 und 1998 erbrachte er unter der Firmenbezeichnung "Umwelt- und Gesundheitsambulanz D., Examinierter Krankenpfleger, Ökologe, Baubiologe und Umweltberater" Pflegedienstleistungen, die er in diesen beiden Jahren vereinbarungsgemäß mit Stundensätzen von 37,- bis 44,- DM abrechnete. Am 1. November 1997 unterzeichnete er eine Honorarvereinbarung als freier Mitarbeiter unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und regte zur Vermeidung einer späteren Beurteilung, dass ein Beschäftigungsverhältnis vorliegen könne, Änderungen in entsprechenden, darauf hindeutenden Formulierungen der Vereinbarung an. Ein vom Beigeladenen zu 1. vor dem Arbeitsgericht Hamburg betriebener Rechtsstreit (Aktenzeichen 26 Ca 233/99) endete am 28. Februar 1999 durch Abschluss eines Vergleichs, in dem sich die Parteien auf ein Ende des zwischen ihnen bestehenden Dienstverhältnisses zum 28. Februar 1999, die Zahlung einer Abfindung in entsprechender Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes und die Ausstellung eines Zeugnisses verständigten. Dieses wies den Kläger als Mitarbeiter in der stationären Altenpflege aus.

Mit Schreiben vom 16. Februar 2002 und 1. April 2002 erstattete der Beigeladene zu 1. beim Hauptzollamt H. und der Staatsanwaltschaft Hamburg Anzeige gegen die Kirchengemeinde W. wegen illegaler Beschäftigung sowie Hinterziehung von Steuern und Sozialabgaben. Die Beklagte übermittelte der Staatsanwaltschaft Hamburg unter dem 1. August 2002 eine sozialversicherungsrechtliche Beurteilung, in der die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1 im Altenheim R. als abhängige ...

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