Stefanie Hock, Christoph Tillmanns
Das Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie, in dem auch der Mindestlohn geregelt ist, betrifft grundsätzlich das Arbeitsrecht. Mit Ausnahme der Neuregelung zur kurzfristigen Beschäftigung enthält das Gesetz keine sozialversicherungsrechtlichen oder steuerrechtlich bedeutsamen Vorschriften.
4.1 Übersicht über die sozialversicherungsrechtlichen Auswirkungen
Allerdings wirkt sich der Mindestlohn in bestimmten Bereichen auf die Sozialversicherung aus:
- Wird der Mindestlohn nicht eingehalten, kann es bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten zu Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen kommen. Hintergrund ist das Entstehungsprinzip in der Sozialversicherung.
- Minijobber haben Anspruch auf Tarifentgelt, sie sind vom Geltungsbereich des TVöD erfasst. Wird jedoch – entgegen dem Tarifvertrag oder in einer nicht tarifgebundenen Einrichtung – im Rahmen von Minijobs der Mindestlohn unterschritten, so wirkt sich dies noch dramatischer aus: Nach dem Prinzip des geschuldeten Arbeitsentgelts können Arbeitnehmer aus der Minijobregelung herausfallen. Die Arbeitnehmer werden rückwirkend sozialversicherungspflichtig, der Arbeitgeber schuldet die gesamten Sozialversicherungsbeiträge (§ 28g SGB IV).
- Für alle geringfügig Beschäftigten (Minijobs) gelten ab 2015 deutlich erweiterte Aufzeichnungspflichten. Bereits bisher mussten nach § 8 Beitragsverfahrensverordnung (BVV) für Minijobs Aufzeichnungen über die Beschäftigungsdauer, die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit und die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden vorliegen. Auch in Geringfügigkeitsrichtlinien ist auf diese Aufzeichnungsvorschriften ausdrücklich hingewiesen. Durch das Tarifautonomiegesetz sind die Aufzeichnungsvorschriften für geringfügig Beschäftigte wesentlich verschärft worden. Arbeitgeber, die gegen diese Vorschriften verstoßen, können mit einem Bußgeld von bis zu 30.000 EUR belegt werden.
- Im Zusammenhang mit der Einführung des Mindestlohns wurden die – sozialversicherungsrechtlichen – Vorschriften zur kurzfristigen Beschäftigung nach § 8 SGB IV bezüglich der zulässigen Beschäftigungsdauer vorteilhaft geändert. Ab 2015 liegt eine kurzfristige Beschäftigung vor, wenn sie aufgrund ihrer Eigenheit bzw. der vertraglichen Regelung auf maximal 3 Monate oder 70 Arbeitstage begrenzt ist.
4.2 Phantomlohn
In der Sozialversicherung werden Beiträge zu den einzelnen Versicherungszweigen nicht nach dem Zuflussprinzip erhoben. Vielmehr gilt nach § 22 SGV IV für laufendes Arbeitsentgelt das Entstehungsprinzip. Die Sozialversicherungsbeiträge für laufenden Arbeitslohn werden nach Arbeitsentgelt erhoben, das arbeitsrechtlich für die erbrachte Arbeitsleistung geschuldet wird. Ob der Arbeitgeber dieses Arbeitsentgelt tatsächlich ausbezahlt hat, spielt keine Rolle.
Das Entstehungsprinzip ist eines der entscheidenden Schutzvorschriften der Sozialversicherung – und gleichzeitig einer der wesentlichsten Unterschiede zum Lohnsteuerrecht. Lediglich für die Einmalzahlungen – z. B. die Jahressonderzahlung nach § 20 TVöD – gilt auch in der Sozialversicherung das Zuflussprinzip. Einmalig gezahltes Arbeitsentgelt versicherungspflichtig Beschäftigter ist grundsätzlich dem Entgeltabrechnungszeitraum zuzuordnen, in dem es gezahlt wird (§ 23a Abs. 1 Satz 3 SGB IV).
Das Entstehungsprinzip in der Sozialversicherung kann dazu führen, dass der Arbeitgeber Beiträge zur Sozialversicherung für Arbeitsentgelt schuldet, das er in der Praxis gar nicht ausbezahlt hat (Phantomlohn). Es gab und gibt hieraus auch kein Entrinnen:
Die Sozialversicherungsbeiträge aus dem geschuldeten, laufenden Arbeitsentgelt werden auch dann erhoben, wenn
- der Arbeitnehmer mit der geringeren Auszahlung des Arbeitsentgelts einverstanden war oder darauf aus anderen Gründen (Einhaltung von gesetzlichen Einkommensgrenzen) verzichtet hat;
- den Arbeitgeber kein oder nur ein geringes Verschulden trifft;
- in einer früheren Sozialversicherungsprüfung diese Problematik gar nicht aufgegriffen wurde (kein Vertrauensschutz).
Bisher waren von dieser Regelung vor allem Arbeitgeber betroffen, bei denen ein Tarifvertrag, ein für allgemein verbindlich erklärter Tarifvertrag oder eine andere gesetzliche Regelung (z. B. equal pay bei der Arbeitnehmerüberlassung) die Höhe des Arbeitsentgelts verbindlich festlegen. Durch den Mindestlohn ist für die Sozialversicherung nunmehr ein gesetzlicher Lohnanspruch zementiert und die Sozialversicherungsbeiträge sind aus dem Arbeitsentgelt abzuführen, das nach dem MiLoG gesetzlich geschuldet wird – egal ob es gezahlt wurde oder nicht.
Stellt die Deutsche Rentenversicherung Bund eine Unterschreitung des Mindestlohns fest, sind 2 Varianten denkbar:
- ausgehend vom gesetzlichen Mindestlohn werden SV-Beiträge nacherhoben. Hinzu kommen Säumniszuschläge.
- Der Prüfer bezweifelt, z. B. bei Ehegatten-Arbeitsverhältnissen, die Ernsthaftigkeit des Arbeitsverhältnisses – es sei denn, es wurde ordnungsgemäß eine Statusklärung nach §§ 7a Abs. 1 SGB IV durchgeführt, sodass die Versicherungspflicht entfällt.
Verschärft wird die Problematik Phantomlohn durch die erweiterten Aufzeichnungsvorschriften nac...