7.1 Konzept des betrieblichen Gesundheitsschutzes
Eine umfangreiche Neuregelung hat der betriebliche Gesundheitsschutz erfahren. Insbesondere wurde die Mutterschutzverordnung in die §§ 11 und 12 aufgenommen.
Bereits aus der Zielsetzung des Mutterschutzgesetzes ergibt sich, was auch in § 9 Abs. 1 ausdrücklich normiert ist: Der schwangeren bzw. stillenden Arbeitnehmerin soll, ggf. nach entsprechenden Schutzmaßnahmen, die Fortsetzung ihrer Tätigkeit an ihrem bisherigen Arbeitsplatz, notfalls an einem Ersatzarbeitsplatz ermöglicht werden. Ein Beschäftigungsverbot aus betrieblichen Gründen kommt nur in Betracht, wenn alle anderen Maßnahmen versagen. Dabei hat der Gesetzgeber nunmehr den Begriff der unverantwortbaren Gefährdung als zentralen Schlüsselbegriff des Arbeitsschutzrechts bei Mutterschutz und Stillzeit eingeführt.
Der betriebliche Gesundheitsschutz für Schwangere richtet sich nach folgendem Grundkonzept:
Der Arbeitgeber hat zunächst – regelmäßig im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung nach § 3 ArbSchG – die abstrakten Gefahren für schwangere oder stillende Arbeitnehmerinnen an den Arbeitsplätzen zu erfassen und zu beurteilen. Diese Pflicht besteht losgelöst davon, ob auf diesen Arbeitsplätzen überhaupt Arbeitnehmerinnen beschäftigt werden oder werden sollen.
Grundsätzlich hat der Arbeitgeber alle Gefährdungen möglichst zu vermeiden, z. B. indem er entsprechende Schutzmaßnahmen ergreift. Die Arbeitsbedingungen sind so zu gestalten, dass Gefährdungen der schwangeren oder stillenden Frau oder ihres Kindes möglichst vermieden werden sollen. Eine unverantwortbare Gefährdung i. S. d. § 9 Abs. 2 Satz 2 ist immer auszuschließen.
Die erkannten Gefahren hat der Arbeitgeber durch Umgestaltung der Arbeitsbedingungen zu beseitigen. Darüber hinaus hat er nach § 3 ArbSchG auch die Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen zu überprüfen. Nur dann, wenn die Beseitigung insbesondere der unverantwortbaren Gefährdungen nicht möglich ist, hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, die Arbeitnehmerin nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 auf einem anderen Arbeitsplatz einzusetzen.
Nur dann – als letztes Mittel –, wenn kein anderer geeigneter oder der Frau zumutbarer Arbeitsplatz vorhanden ist, darf der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin nicht beschäftigen und gewissermaßen ein "betriebliches Beschäftigungsverbot" verhängen.
7.2 Unverantwortbare Gefährdung
Eine unverantwortbare Gefährdung ist nach § 9 Abs. 2 Satz 2 eine Gefährdung, bei der die Eintrittswahrscheinlichkeit angesichts der zu erwartenden Schwere des möglichen Gesundheitsschadens für Mutter oder (ungeborenes) Kind nicht hinnehmbar ist. Diese schwammige Definition ist bereits in die Kritik geraten. Es ist also abzuwägen zwischen der Eintrittswahrscheinlichkeit und den möglichen Gesundheitsschäden. Wenn für Mutter oder (ungeborenes) Kind überhaupt Gesundheitsschäden denkbar sind, sind die Anforderungen an die Eintrittswahrscheinlichkeit ausgesprochen gering.
Hat der Arbeitgeber im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung eine unverantwortbare Gefährdung ausgemacht, ist eine Beschäftigung der Arbeitnehmerin auf diesem Arbeitsplatz immer verboten. Er hat zunächst zu versuchen, diese unverantwortbare Gefährdung durch geeignete Maßnahmen zu beseitigen und ggf. deren Wirksamkeit zu überprüfen. Ist ihm dies nicht möglich oder wegen eines unverhältnismäßigen Aufwands unzumutbar, hat er die Frau auf einem anderen geeigneten Arbeitsplatz einzusetzen.
Erweitertes Weisungsrecht
Hier ist von Bedeutung, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der Arbeitgeber in einem solchen Fall zur Vermeidung eines Beschäftigungsverbots ein erweitertes Weisungsrecht hat. Er kann die Arbeitnehmerin auch auf Arbeitsplätzen einsetzen, auf denen er sie nach seinem arbeitsvertraglichen Weisungsrecht nicht einseitig einsetzen könnte, solange dieser Arbeitsplatz der Arbeitnehmerin zumutbar ist. Das setzt voraus, dass der Arbeitgeber bei dieser Zuweisung billiges Ermessen nach § 315 BGB beachtet hat, insbesondere die Bedingungen wie Reisetätigkeit und Arbeitszeit für die Arbeitnehmerin angesichts ihres Zustandes zumutbar sind. Die Tätigkeit muss nicht gleichwertig sein, deutlich unterwertige Tätigkeiten sind aber nicht zumutbar.
Nur dann, wenn der Arbeitgeber überhaupt keine geeignete Beschäftigungsmöglichkeit für die Arbeitnehmerin hat und diese auch nach zumutbarer Umorganisationsmaßnahme nicht zur Verfügung stellen kann, darf er sich darauf zurückziehen, dass er die Arbeitnehmerin nicht beschäftigen kann. Das dürfte in Zukunft auch Voraussetzung für einen Ausgleich nach § 1 Abs. 2 AAG sein.
7.3 Gefährdungsbeurteilung
Die Gefährdungsbeurteilung, die der Arbeitgeber nach § 10 vorzunehmen hat, vollzieht sich in mehreren Schritten.
Im 1. Schritt hat der Arbeitgeber sämtliche Arbeitsplätze – egal ob an ihnen Arbeitnehmerinnen beschäftigt werden oder nicht – im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung auch nach den besonderen Regelungen des Mutterschutzgesetzes dahingehend zu beurteilen, ob von diesen Arbeitsplätzen für die schwangere bzw. stillende Frau oder ihr (ungeborenes) Kind Gefahren ausgehen. ...