BAG, Urteil v. 31.1.2019, 2 AZR 426/18
Der Verdacht einer Pflichtverletzung stellt neben dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Pflichtverletzung tatsächlich begangen, stets einen eigenständigen personenbedingten Kündigungsgrund dar; denn ein schwerwiegender Verdacht einer Pflichtverletzung kann zum Verlust der vertragsnotwendigen Vertrauenswürdigkeit des Arbeitnehmers und damit zu einem Eignungsmangel führen.
Es muss jedoch jeweils nachgewiesen werden, dass aufgrund von Tatsachen der dringende Verdacht bestand, der Arbeitnehmer habe eine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen.
Sachverhalt
Der Kläger des Falles ist als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Er war seit 1996 bei der Beklagten beschäftigt. Ihm wurde hierbei ein Pkw, welchen er auch für private Zwecke nutzen durfte, sowie eine Tankkarte zu Verfügung gestellt. Im Rahmen einer angekündigten Untersuchung im Jahre 2013 seines Dienstlaptops wurden Dateien gefunden, die den Verdacht eines Tankbetrugs durch den Kläger begründeten. Die Dateien waren in einem nicht als "privat" gekennzeichnete Ordner abgelegt. Daraufhin wurde dem Kläger gekündigt. Dieser erhob Kündigungsschutzklage, welche Erfolg hatte. Das BAG hatte im Jahre 2016 entschieden, dass die Kündigung unwirksam sei, da das Integrationsamt nicht zugestimmt hatte und der Betriebsrat nur unzureichend angehört worden war.
Aufgrund weiterer Vorfälle kündigte die Beklagte – nun nach Zustimmungserteilung durch das Integrationsamt und erneuter Anhörung des Betriebsrats zu einer weiteren ordentlichen Tat- und Verdachtskündigung – dem Kläger ordentlich erneut am 15.12.2016 zum 30.06.2017.
Die Entscheidung
Die gegen die erneute Verdachtskündigung erhobene Kündigungsschutzklage hatte nun keinen Erfolg. Das BAG entschied, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt war.
Das Gericht führte insoweit aus, dass der Verdacht einer Pflichtverletzung gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Pflichtverletzung tatsächlich begangen, stets einen eigenständigen personenbedingten Kündigungsgrund darstelle; denn ein schwerwiegender Verdacht einer Pflichtverletzung könne zum Verlust der vertragsnotwendigen Vertrauenswürdigkeit des Arbeitnehmers und damit zu einem Eignungsmangel führen.
Im vorliegenden Fall bejahte das Gericht den erforderlichen dringenden Tatverdacht. Es begründete dies u. a. damit, dass weder die Betriebsgröße noch die Unterscheidung zwischen einem "normalen" Arbeitsverhältnis und einem solchen mit besonderer Vertrauensstellung taugliche Kriterien zur Beurteilung der Zulässigkeit einer Verdachtskündigung seien, da Vertrauen für die Durchführung jedes Arbeitsverhältnisses erforderlich sei. Bevor sich ein Arbeitgeber jedoch auf den Vertrauensverlust durch einen bloßen Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens berufen könne, sei er verpflichtet, alle ihm zumutbaren Mittel zur Sachverhaltsaufklärung zu ergreifen; denn aus der Güterabwägung im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG folge, dass eine Verdachtskündigung auch als ordentliche Kündigung nur zulässig sei, wenn das Verhalten, dessen der Arbeitnehmer verdächtig ist – wäre es erwiesen – sogar eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt hätte.
Für den Ausspruch der Kündigung bestehe hier keine starre Frist; insbesondere gelte die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nur für außerordentliche Kündigungen. Allerdings könne ein längeres Zuwarten des Arbeitgebers trotz Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Umständen zu der Annahme führen, dass die Kündigung nicht durch einen objektiv vorliegenden Grund bedingt sei. Wann dies allerdings der Fall sei, hänge von den Umständen des Einzelfalls ab. Es könne jedoch genügen, wenn der Arbeitgeber in Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen für einen – mit der Annahme eines irreparablen Vertrauensverlusts unvereinbar lang erscheinenden – Zeitraum untätig bleibe und keine besonderen Umstände ersichtlich seien, die das lange Zuwarten zwischen der Kenntnis vom Kündigungsgrund und dem Kündigungsausspruch erklärlich machen.
Zuletzt unterlag die Sichtung und Verwertung der auf dem Dienstrechner befindlichen Datei nach Auffassung des BAG auch keinem Verwertungsverbot; denn ein solches greife zumindest dann nicht, wenn der Arbeitgeber die betreffende Erkenntnis oder das fragliche Beweismittel im Einklang mit den einschlägigen datenschutzrechtlichen Vorschriften erlangt und weiterverwandt habe. Und in dem hier vorliegenden Fall waren weder die Einsichtnahme in die verdächtige Datei noch die Nutzung der aus ihr gewonnenen Erkenntnisse durch die Beklagte nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG a. F. unzulässig. Keine andere Wertung ergibt sich auch nach Maßgabe der DSGVO und des BDSG in seiner aktuellen Fassung.