Leitsatz (amtlich)

Zur Zusammenfassung der auf zahlreiche Filialbetriebe (hier: Friseursalons) verteilten Arbeitsplätze im Direktionsbereich einer Dienstleistungs-GmbH bei der Berechnung der Pflichtquote für die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen.

 

Normenkette

SchbG 1986 §§ 5, 11, 13; SGB IX §§ 71, 77, 80

 

Verfahrensgang

VG Münster (Aktenzeichen 10 K 3675/98)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 10.11.2004; Aktenzeichen 1 BvR 1785/01, 1 BvR 2404/02, 1 BvR 2416/02, 1 BvR 2417/02, 1 BvR 2418/02, 1 BvR 1289/03, 1 BvR 1290/03, 1 BvR 457/04, 1 BvR 1427/04, 1 BvR 1428/04)

BVerwG (Beschluss vom 17.04.2003; Aktenzeichen 5 B 8.03)

 

Tatbestand

Der Beklagte fasste die auf zahlreiche Filialbetriebe (hier: Friseursalons) verteilten Arbeitsplätze der L. GmbH – der Rechtsvorgängerin der Klägerin – bei der Berechnung der Zahl der Pflichtplätze für Schwerbehinderte zusammen und bestimmte entsprechend die zu zahlende Ausgleichsabgabe. Die Klägerin war der Auffassung, diese Zusammenfassung sei unzulässig; nur für Filialbetriebe der Gesellschaft, die über mindestens 16 Arbeitsplätze verfügten, seien Ausgleichsabgaben zu zahlen. Das VG wies die Klage unter Zulassung der Berufung ab. Die Berufung hatte keinen Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

… Die Streitfrage ist dahingehend zu beantworten, dass die L. GmbH Arbeitgeberin im Sinne des § 5 Abs. 1 SchwbG 1986 war und deshalb die Zusammenfassung durch den Beklagten keinen Bedenken begegnet.

1. Der Senat hat von der Verfassungsmäßigkeit des § 5 Abs. 1 und des § 11 Abs. 2 Satz 1 SchwbG 1986 auszugehen.

a) Er ist insoweit nach § 31 Abs. 1 BVerfGG an die Entscheidung des BVerfG

vom 26.5.1981 – 1 BvL 56, 57, 58/78 –, BVerfGE 57, 139 ff.,

gebunden. Dem steht nicht entgegen, dass in diesem Urteil die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz nur für die früher geltenden §§ 4 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Satz 1 SchwbG 1974, soweit sie private Arbeitgeber betreffen, festgestellt worden ist. Denn der Streitgegenstand der verfassungsgerichtlichen Entscheidung ist mit dem hier für eine Vorlage an das BVerfG in Rede stehenden identisch. Die §§ 5 Abs. 1 und 11 Abs. 1 Satz 1 SchwbG 1986 weisen zu den überprüften §§ 4 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Satz 1 SchwbG 1974 keine inhaltlichen Veränderungen auf. Sie hatten den selben Wortlaut, der auch seiner Bedeutung nach keiner Veränderung unterlegen war. In Bezug auf die streitentscheidenden Normen war eine bloße Änderung der Paragraphenfolge eingetreten, durch die die zu prüfende Norm keine andere als diejenige wurde, deren Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz das BVerfG bereits festgestellt hatte.

Zu den Anforderungen an einen identischen Streitgegenstand vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 25.21976 – 1 BvL 26/73, 1 BvR 326/73 –, BVerfGE 41, 360 (369), vom 18.10.1983 – 2 BvL 14/83 –, BVerfGE 65, 179 (181), und vom 12.6.1990 – 1 BvL 72/86 –, BVerfGE 82, 198 (205), sowie Urteil vom 27.5.1992 – 2 BvF 1, 2/88, 1/89 und 1/90 –, BVerfGE 86, 148 (211).

b) Grundsätzlich ist ein Antrag an das BVerfG auf erneute Prüfung einer für verfassungsmäßig erklärten Norm unzulässig. Die Zweitvorlage ist aber dann nicht ausgeschlossen, wenn tatsächliche oder rechtliche Veränderungen eingetreten sind, die die Grundlage der früheren Entscheidung berühren und deren Überprüfung nahelegen.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 3.7.1985 – 1 BvL 13/83 –, BVerfGE 70, 242 (249 f.), und vom 16.11.1992 – 1 BvL 31/88 und 10, 11/92 –, BVerfGE 87, 341(346); Klein, in Benda/ Klein, Verfassungsprozessrecht, 2. Aufl. 2001, Rdnrn. 1332 bis 1335 m.w.N.

Anhaltspunkte für solche Veränderungen (einschließlich eines grundlegenden Wandels der allgemeinen Rechtsauffassung) sind indes weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere ist eine Vorlage nicht schon mit der Begründung zulässig, das BVerfG habe in seiner Entscheidung einen bestimmten verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt nicht ausdrücklich erörtert.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3.6.1969 – 1 BvL 1/63, 1/64 und 10/66 –, BVerfGE 26, 44 (56); Nds. OVG, Beschluss vom 20.12.2001 – 12 A 3524/01 –.

Abgesehen hiervor ist eine (Zweit-)Vorlage nicht etwa aus sachlich-rechtlichen Gründen deswegen veranlasst, weil es – wie die Klägerin meint – an einem nachvollziehbaren Grund fehlte, Arbeitgeber mit weniger als 16 Arbeitsplätzen von der Pflicht, Schwerbehinderte zu beschäftigen, freizustellen. Vielmehr trägt gerade die gesetzliche Regelung, Kleinarbeitgeber nicht im Übermaß mit Beschäftigungs- und Ausgleichsabgabenpflichten zu belasten, zur Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz bei. Zutreffend hat die Klägerin in diesem Zusammenhang auf das Urteil des BVerfG zu § 128 AFG a.F.

vom 4.4.1989 – 1 BvL 44/86 und 48/87 –, BVerfGE 81, 156 ff.,

hingewiesen. Da es sich indes bei der L. GmbH auf Grund der zwingend vorzunehmenden Zusammenfassung aller Arbeitsplätze nicht um einen Kleinarbeitgeber handelte, kommt es nicht darauf an, ob erst die im heute geltenden Recht (vgl. § 77 SGB IX) vorgenommene gestufte Herabsetzung der Höhe der Ausgleichsabgabe der von Verfassungs wegen gebotenen Differenzierung genügte.

2. Der Senat ist n...

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