Das Mindestlohngesetz bestimmt in § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, dass für ein Praktikum, welches höchstens 3 Monate dauert und zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums geleistet wird, kein Anspruch auf den Mindestlohn besteht. Festzustellen ist, dass das Gesetz keine klare Definition des Begriffs "Orientierungspraktikum" enthält und es auch nicht regelt, wie nachzuweisen ist, dass ein Praktikum zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums geleistet wird. Auch der Gesetzesbegründung lassen sich keine Anhaltspunkte entnehmen, welche Anforderungen an die Orientierung zu stellen sind. Gemäß einer Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Anfrage im Deutschen Bundestag ist nach einem berufsqualifizierenden Berufs- oder Studienabschluss i. d. R. davon auszugehen, dass die fachliche Orientierungsphase bereits abgeschlossen ist; Prüfungen des Einzelfalls seien davon unbenommen.
Als Faustregel kann insoweit angenommen werden, dass immer dann, wenn das Praktikum in einem Berufsfeld stattfindet, in dem die Praktikantin/der Praktikant die Ausbildung durchlaufen hat, es nicht mehr der Orientierung dient.
Wenn nach Abschluss einer Ausbildung/Lehre oder nach einem Studium (z. B. Bachelorabschluss) die fachliche Orientierungsphase als abgeschlossen anzusehen ist, bedeutet dies nicht zwingend, dass ein weiteres mindestlohnfreies Praktikum nicht mehr in Betracht kommt. So kann z. B. nach dem Abschluss eines Bachelorstudiums und einer Fortsetzung des Studiums in einem Masterstudiengang die Mindestlohnausnahme des § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 MiLoG für ein studienbegleitendes Praktikum in Anspruch genommen werden.
Nach Auffassung des LAG Düsseldorf dürfte es für die Beantwortung der Frage, ob "noch" ein Orientierungspraktikum vorliegt oder "schon" ein Arbeitsverhältnis, entscheidend darauf ankommen, "ob der Praktikant eingesetzt wird, damit er sich ein Bild von der angestrebten beruflichen Tätigkeit machen kann, oder um einen ansonsten beim Vertragspartner des Praktikanten fehlenden Arbeitnehmer zu ersetzen".
Denkbar für die Anwendung des § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 MiLoG sind sonach Fälle, in denen das Praktikum dem Praktikanten (erst) die Gelegenheit bietet, herauszufinden, welche berufliche Richtung er überhaupt einmal einschlagen möchte, oder ob er in dem ausgewählten Bereich seine Ausbildung oder sein Studium beginnen möchte. Eine Orientierung dürfte dagegen nicht vorliegen, wenn sich der Praktikant bereits für einen bestimmten Beruf oder ein bestimmtes Studium entschieden hat und lediglich zur Überbrückung der Zeit bis zum Ausbildungs- bzw. Studienbeginn im Rahmen eines Praktikums einschlägige Berufserfahrung sammeln möchte. Fraglich ist, wie Praktika zu behandeln sind, die dazu dienen, die Berufsvorstellung zu konkretisieren. Ist der Praktikant sich noch unschlüssig, ob und inwieweit der gewählte Beruf seinen Begabungen und Interessen entspricht, und nimmt deshalb das Praktikum auf, deutet dies darauf hin, dass das Praktikum (noch) der Orientierung dient. Steht jedoch nicht die Orientierung im Vordergrund, sondern bezieht sich das Praktikum auf den Erwerb praktischer Kenntnisse und Erfahrungen in Bezug auf eine bestimmte betriebliche Tätigkeit, dürfte es in Anbetracht des Regel-Ausnahme-Verhältnisses schwierig sein, eine Orientierung festzustellen und nachzuweisen. Auch ein 2. Praktikum für denselben Arbeitgeber wird i. d. R. nicht mehr (nur) zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums dienen und könnte daher eine unzulässige Umgehung der 3-Monats-Grenze darstellen. Diese Gefahr besteht insbesondere bei einem mit demselben Arbeitgeber vereinbarten Folgepraktikum für dieselbe Ausbildungs- oder Studienrichtung. Indessen ist nicht ausgeschlossen, dass der Praktikant mehrere unterschiedliche Orientierungspraktika leistet, ohne für jedes einzelne den Mindestlohn beanspruchen zu können. Vorstellbar ist dies beispielsweise bei Praktikanten, die ihre fachliche Orientierungsphase noch nicht abgeschlossen haben bzw. während der Ausbildung/des Studiums feststellen, dass der gehegte Berufswunsch doch nicht ihren Vorstellungen entspricht und sich daher "neu" orientieren wollen. Auch in den Fällen, in denen ein Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen seinen bisherigen Beruf nicht mehr ausüben kann und sich deshalb beruflich umorientieren muss, kommt ein Orientierungspraktikum in Betracht. Diese Auslegung dürfte dem Sinn und Zweck der Regelung, den Missbrauch des sinnvollen Instruments des Praktikums einzuschränken, nicht entgegenstehen, zumal das Gesetz keinerlei Anhaltspunkte enthält, die dafür sprechen könnten, dass die Ausnahme des § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 MiLoG nur die erstmalige Berufs- oder Studienwahl betrifft.
Orientierungspraktika fallen nur für einen Zeitraum von maximal 3 Monaten nicht unter das MiLoG. Überschreitet die Dauer eines solches Praktikums die 3-Monats-Grenze, ist es ab dem 1. Tag mit dem Mindestl...