BAG, Urteil v. 27.6.2018, 10 AZR 290/17
Der Anspruch auf eine jährliche Sonderzahlung kann durch eine tarifliche Regelung vom Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem Stichtag außerhalb des Bezugszeitraums im Folgejahr abhängig gemacht werden.
Sachverhalt
Der Beklagte arbeitete als Busfahrer in dem Verkehrsunternehmen der Klägerin. Es fand ein Tarifvertrag kraft arbeitsvertraglicher Inbezugnahme Anwendung, der einen Anspruch auf eine bis zum 1.12. zu zahlende Sonderzuwendung vorsieht, welche auch der Vergütung für geleistete Arbeit dient. Weiter war geregelt, dass die Sonderzuwendung vom Arbeitnehmer zurückzuzahlen war, wenn er in der Zeit bis zum 31.3. des folgenden Jahres aus eigenem Verschulden oder auf eigenen Wunsch aus dem Beschäftigungsverhältnis ausscheidet. Im Oktober 2015 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis zum Januar 2016. Die Klägerin verlangte bei Beendigung die dem Beklagten im November noch ausgezahlte Sonderzuwendung nach der tarifvertraglichen Regelung zurück. Nachdem der Beklagte diesem nicht nachkam mit der Begründung, die Tarifvorschrift sei unwirksam, da sie als unverhältnismäßige Kündigungsbeschränkung gegen das Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG verstoße, erhob die Klägerin Klage.
Die Entscheidung
Die Klage hatte Erfolg.
Das BAG entschied, dass die Rückzahlungsverpflichtung des Beklagten, die sich aus der tarifvertraglichen Stichtagsregelung ergibt, nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen – auch von Tarifvertragsparteien zu berücksichtigende – Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG verstoße. Es führte hierzu aus, dass den Tarifvertragsparteien aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zustehe und ihnen eine Einschätzungsprärogative zukomme, soweit die tatsächlichen Gegebenheiten, die betroffenen Interessen und die Regelungsfolgen zu beurteilen sind. Sie verfügten über einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelung und seien auch nicht verpflichtet, die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Es genüge, so das BAG, wenn es für die getroffene Regelung einen sachlich vertretbaren Grund gibt.
Im vorliegenden Falle greife zwar die tarifvertragliche Regelung in die Berufsfreiheit der Arbeitnehmer ein, da Art. 12 Abs. 1 GG auch die Entscheidung eines Arbeitnehmers schütze, eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit in einem gewählten Beruf beizubehalten oder aufzugeben. Die Einschränkung der Berufsfreiheit sei nach Auffassung des Gerichts hier aber noch verhältnismäßig, da die Grenzen erweiterten Gestaltungsspielraums der Tarifvertragsparteien noch nicht überschritten seien.
Anders wäre dagegen die Sachlage zu entscheiden gewesen, wenn die Rückzahlungsregelung arbeitsvertraglich vereinbart worden wäre; denn dann wäre diese als arbeitsvertragliche Allgemeine Geschäftsbedingung einer Klauselkontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB unterfallen und nach der Rechtsprechung des Senats unwirksam gewesen. Arbeitsvertraglich in ihrer Gesamtheit einbezogene Tarifverträge unterlägen jedoch keiner solchen Inhaltskontrolle, weil sie nur bei einer Abweichung von Rechtsvorschriften stattfinde (§ 307 Abs. 3 Satz 1 BGB). Und auch Tarifverträge stünden, so das BAG, nach § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB Rechtsvorschriften im Sinn von § 307 Abs. 3 BGB gleich.