BAG, Urteil v. 25.3.2021, 6 AZR 264/20
Für die Frage, ob ärztlicher Hintergrunddienst gem. § 9 des Tarifvertrags für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV-Ärzte/TdL) vergütungsrechtlich als Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst anzusehen ist, hängt davon ab, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch Vorgabe – insbesondere einer Zeit zwischen Abruf und Aufnahme der Arbeit – zwingt, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten und somit faktisch eine Aufenthaltsbeschränkung vorgibt. Für die Abgrenzung spielt es dabei keine Rolle, ob der ärztliche Hintergrunddienst mit einer Telefonbereitschaft verbunden ist.
Sachverhalt
Der Kläger ist Oberarzt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der TV-Ärzte/TdL Anwendung. Er leistet im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses außerhalb seiner regelmäßigen Arbeitszeit sog. Hintergrunddienste, während derer er verpflichtet ist, telefonisch erreichbar zu sein. Ansonsten gab es keine weiteren Vorgaben, z. B. hinsichtlich des Aufenthaltsortes oder der Zeitspanne, innerhalb derer er die Arbeit im Klinikum aufzunehmen hat. Im Rahmen dieser Hintergrunddienste kann es vorkommen, dass der Kläger zu Einsätzen ins Klinikum muss, allerdings überwogen rein telefonische Inanspruchnahmen. Zudem hat der Kläger dabei auch mögliche Organtransplantationsangebote der Stiftung Eurotransplant zu bearbeiten. Er hat hierbei nach dem telefonischen Angebot aufgrund einer Vorgabe der Stiftung Eurotransplant innerhalb von 30 Minuten die mitgeteilten Daten über Spender, Organ, Patient und Dialysearzt zu prüfen, dann den infrage kommenden Patienten sowie den zuständigen Dialysearzt telefonisch zu kontaktieren sowie gegenüber Eurotransplant zu erklären, ob das Organspendeangebot angenommen werde.
Diese Hintergrunddienste vergütete die Beklagte als Rufbereitschaft i. S. d. § 7 Abs. 6 Satz 1 TV-Ärzte/TdL gem. § 9 Abs. 1 TV-Ärzte/TdL.
Der Kläger, der jedoch der Ansicht war, dass diese Dienste aufgrund der mit ihnen verbundenen Beschränkungen sowie der Anzahl und des zeitlichen Umfangs der tatsächlichen Inanspruchnahmen eigentlich Bereitschaftsdienst seien, machte einen entsprechenden Vergütungsanspruch geltend.
Die Entscheidung
Während das LAG dem Kläger für den Zeitraum August 2017 bis Juni 2018 eine Vergütungsdifferenz von knapp 40.000 EUR brutto zugesprochen hatte, hatte die Klage vor dem BAG keinen Erfolg. Das BAG entschied, dass es sich bei dem vom Kläger geleisteten Hintergrunddienst um Rufbereitschaft handelte.
Das BAG führte hierzu aus, dass die Frage, ob ein vom Arbeitgeber angeordneter (Hintergrund-)Dienst im vergütungsrechtlichen Sinn Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft sei, ausschließlich nach nationalem Recht und nicht nach der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG zu beantworten sei. Nach den tariflichen Definitionen in § 7 Abs. 4 Satz 1 bzw. Abs. 6 Satz 1 TV-Ärzte/TdL unterschieden sich Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst dadurch, dass der Arbeitnehmer sich nach den Vorgaben des Arbeitgebers nicht an einem bestimmten Ort aufhalten müsse, sondern seinen Aufenthaltsort frei wählen könne, sodass entscheidendes Kriterium der Umfang der vom Arbeitgeber angeordneten Aufenthaltsbeschränkung sei. Jedoch sei auch bei der Rufbereitschaft der Arbeitnehmer in der Wahl seines Aufenthaltsortes nicht völlig frei, sondern dürfe sich entsprechend dem Zweck der Rufbereitschaft nur so weit vom Arbeitsort entfernen, dass er die Arbeit dort alsbald aufnehmen könne. Und dies sei vorliegend der Fall; denn mit der Verpflichtung, einen dienstlichen Telefonanruf anzunehmen und damit die Arbeit unverzüglich aufzunehmen, sei keine räumliche Aufenthaltsbeschränkung verbunden. Auch bestanden keine zeitlichen Vorgaben für die Aufnahme der Arbeit.
Allerdings müssten die tariflichen Vorgaben berücksichtigt werden; denn § 7 Abs. 6 Satz 2 TV-Ärzte/TdL untersage dem Arbeitgeber die Anordnung von Rufbereitschaft, wenn erfahrungsgemäß nicht lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfällt. Dies traf hier zu; denn der Kläger wurde vorliegend in etwa der Hälfte der Hintergrunddienste zur Arbeit herangezogen und leistete zu 4 % aller Rufbereitschaftsstunden tatsächliche Arbeit. Dabei komme es auch nicht nur auf die Arbeitseinsätze an, die in der Klinik zu leiten seien, was bei mehr als einem Viertel der Rufbereitschaften vorkomme. Somit hätte die Beklagte hier die vom Kläger geleisteten Hintergrunddienste eigentlich nicht anordnen dürfen. Trotzdem führte dies vorliegend nicht zu der vom Kläger begehrten höheren Vergütung; denn ein bestimmter Arbeitsleistungsanteil sei nach dem Tarifvertrag weder dem Bereitschaftsdienst noch der Rufbereitschaft begriffsimmanent. Dies zeige, dass die Tarifvertragsparteien bewusst für den Fall einer tarifwidrigen Anordnung von Rufbereitschaft keinen höheren Vergütungsanspruch vorgesehen haben.