LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 11.9.2020, 2 Sa 747/20
Leitsatz (amtlich)
Eine fast 17 Jahre und 3 Monate zurückliegende Vorbeschäftigung ist jedenfalls dann als "sehr lang her" i. S. d. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anzusehen, wenn das Vorbeschäftigungsverhältnis auf Betreiben der Arbeitnehmerin vorzeitig aufgelöst wurde. In einem solchen Fall ist ein Ausnutzen einer strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmerin durch die Arbeitgeberin nicht zu ersehen.
Sachverhalt
Die Klägerin war bei der Beklagten, eine Stiftung des öffentlichen Rechst beschäftigt gewesen. Nach ca. 9 Monaten hatte sie um die Aufhebung ihres befristeten Arbeitsvertrags gebeten, da sie zu einem kommerzielles Pharmaunternehmen wechseln wollte.
Nach 17 Jahren und 3 Monaten wurde sie erneut bei der Beklagten sachgrundlos befristet gem. § 14 Abs. 2 TzBfG eingestellt.
Mit ihrer Klage hat sich nun die Klägerin gegen die Befristung des Arbeitsverhältnisses gewandt.
Die Entscheidung
Die Klage hatte keinen Erfolg; Revision wurde nicht zugelassen, allerding hat die Klägerin Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt.
Nach Auffassung des LAG war die vorliegende Befristung wirksam.
Das Gericht führte hierzu aus, dass eine Befristung ohne Sachgrund gem. § 14 Abs. 2 TzBfG zwar nicht zulässig sei, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden habe; allerdings sei nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, 6.6.2018, 1 BvL 7/14; 1 BvL 7/14; 1 BvR 1375/14) und im Nachgang des Bundesarbeitsgerichts (u. a. Urteil v. 21.8.2019, 7 AZR 452/17) ein Verbot der sachgrundlosen Befristung bei nochmaliger Einstellung bei demselben Arbeitgeber unzumutbar, wenn eine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten nicht bestehe und das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich sei, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten. Dies könne z. B. dann der Fall sein, wenn eine Vorbeschäftigung sehr lang zurückliege, ganz anders geartet oder von sehr kurzer Dauer gewesen sei. Die Fachgerichte könnten und müssten in derartigen Fällen durch verfassungskonforme Auslegung den Anwendungsbereich von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG einschränken.
Im vorliegenden Fall lag nach Auffassung des LAG die Vorbeschäftigung der Klägerin "sehr lang zurück" im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts. Insbesondere aufgrund der Entscheidung des BAG vom 21.8.2019, 7 AZR 452/17 (22 Jahre zwischen erstem und zweitem Vertrag sei "sehr lang") und 17.4.2019, 7 AZR 323/17 (15 Jahre zurückliegend sei lange, jedoch noch nicht "sehr lang") gebiete es, vorliegend aufgrund verfassungskonformer Auslegung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG, diese Vortätigkeit nicht anzuwenden; denn bei 17 Jahren und 3 Monaten zwischen den beiden Verträgen sei auch im Hinblick auf die Nichtausschöpfung des 1. Vertrages durch Aufhebung des Vertrages auf Betreiben der Klägerin keine Gefahr der Kettenbefristung gegeben.
Hinweis:
Ob das BAG (sollte die Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg haben) eine Zeitspanne von 17 Jahren und 3 Monaten ausreichen lässt, bleibt abzuwarten; denn im Urteil des BAG vom 17.4.2019 (7 AZR 323/17) hat es angedeutet, zukünftig auf das Eingreifen der längstmöglichen gesetzlichen Kündigungsfrist gem. § 622 BGB abzustellen; dies wäre jedoch eine Unterbrechung von 20 Jahren. Ob es für die Bewertung ausschlaggebend sein könnte, dass – wie im vorliegenden Fall – das Vorbeschäftigungsverhältnis auf Betreiben der Klägerin aufgelöst wurde, ist völlig offen.