Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Fahrkosten für Pendelfahrten zur Ausbildungsstätte. Reisekosten. akzessorische Nebenleistungen. Anpassung bei nicht geringfügiger Fahrpreiserhöhung. Tatbestandsmerkmal der Geringfügigkeit. unbestimmter Rechtsbegriff. gerichtliche Kontrolle. generalisierender Maßstab. zumutbare Eigenleistung. Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums
Leitsatz (amtlich)
1. Die auf Grund von § 53 SGB IX zu gewährenden Fahrkosten sind akzessorische Nebenleistungen zu einer Hauptleistung, die im Rahmen der Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben gewährt wird.
2. Bei dem Tatbestandsmerkmal "nicht geringfügig" in § 53 Abs 4 S 2 SGB IX handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Prüfung unterliegt. Der Behörde steht bei der Auslegung dieses Tatbestandsmerkmales kein Beurteilungsspielraum zu.
3. Für die Bestimmung dessen, was eine nicht geringfügige Fahrpreiserhöhung im Sinne von § 53 Abs 4 S 2 SGB IX ist, ist ein generalisierender Maßstab unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs anzulegen.
4. Eine Fahrpreiserhöhung in Höhe von 4,70 EUR monatlich ist noch geringfügig im Sinne von § 53 Abs 4 S 2 SGB IX.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 26. März 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 26. März 2015, welches der Klage der Klägerin gerichtet auf Übernahme höherer Fahrkosten für Pendelfahrten im Rahmen der ihr gewährten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für Fahrten zur Ausbildungsstätte stattgegeben hat.
Die 1994 geborene Klägerin, die im streitbefangenen Zeitraum noch bei ihren Eltern wohnte, begann am 23. September 2013 bei der ZAW Zentrum für Aus- und Weiterbildung A.... GmbH in S.... eine Ausbildung zur Fachpraktikerin Hauswirtschaft. Mit Bescheid vom 17. Oktober 2013 bewilligte die Beklagte ihr als behindertem Mensch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach §§ 112 ff. des Sozialgesetzbuches Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) in Verbindung mit § 33 ff. des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) und §§ 44 ff. SGB IX. Neben einem Ausbildungsgeld für die Zeit vom 23. September 2013 bis zum 9. März 2015 in Höhe von monatlich 316,00 EUR sowie 397,00 EUR für die Zeit vom 10. März 2015 bis zum 22. März 2015 bewilligte sie Fahrkosten für Pendelfahrten zur Ausbildungsstätte zunächst in Höhe von monatlich 63,50 EUR. Wegen Umzugs bewilligte die Beklagte mit Änderungsbescheid vom 13. Januar 2013 sodann für die Zeit vom 1. November 2013 bis zum 22. September 2016 Fahrkosten in Höhe von monatlich 126,00 EUR auf der Grundlage der von der Klägerin tatsächlich aufzuwendenden Kosten für den Erwerb einer ABO-Monatskarte bei den örtlichen Verkehrsbetrieben, dem Mitteldeutschen Verkehrsverbund (MDV).
Im Juli 2014 informierte der MDV die Klägerin über die Fahrpreiserhöhung im Nahverkehr zum 1. August 2014. Der von ihr zu entrichtenden Preis für die ABO-Monatskarte erhöhe sich um 4,70 EUR auf monatlich 130,70 EUR.
Am 28. Juli 2014 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der höheren Fahrkosten. Mit Bescheid vom 28. Juli 2014 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Diesem könne nicht entsprochen werden, da eine Erhöhung des monatlichen Fahrpreises um bis zu 5,00 EUR grundsätzlich als geringfügig anzusehen sei. Eine Neuberechnung komme nur bei nicht geringfügiger Preiserhöhung in Betracht.
Der mit Schreiben vom 1. August 2014 eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 5. August 2014 zurückgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin am 26. August 2014 Klage erhoben und die Übernahme der höheren Fahrtkosten für die Zeit ab dem 1. August 2014 begehrt. Zur Begründung hat sie darauf verwiesen, dass für sie als Auszubildende eine Erhöhung um 4,70 EUR viel Geld sei.
Mit Urteil vom 26. März 2015 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin unter Abänderung des Bescheides vom 13. Januar 2014 ab dem 1. August 2014 Fahrtkosten in Höhe von monatlich 130,70 EUR zu erstatten. Angesichts des langen Zeitraumes der Bewilligung, nämlich der Zeit bis voraussichtlich 22. September 2016, und der Tatsache, dass der Klägerin nur das Existenzminimum zum Leben zur Verfügung stehe, sei ein monatlicher Betrag von 4,70 EUR nicht als geringfügige Fahrpreiserhöhung zu werten.
Die Beklagte hat am 24. April 2015 Berufung eingelegt. Sie hält an ihrem erstinstanzlichen Vorbringen fest, wonach erst eine Fahrpreiserhöhung von mehr als 5,00 EUR monatlich als nicht mehr geringfügig anzusehen sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 26. März 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Ent...