Rz. 3
§ 140 regelt die Zumutbarkeit von Beschäftigungen abschließend. Weitere Zumutbarkeitsregelungen enthält das SGB III insoweit nicht. Die Vorschrift gilt nicht für die Grundsicherung für Arbeitsuchende. Die Vorschrift gilt im Grundsatz auch für Arbeitsangebote nach der Arbeitsuchendmeldung gemäß § 38 Abs. 1 Von dem Arbeitslosen wird erwartet, dass er alle Beschäftigungen annimmt und ausübt, die seiner Arbeitsfähigkeit entsprechen. Das sind alle Beschäftigungen, die er objektiv ausüben kann und darf (subjektive Zumutbarkeit der objektiv ausübbaren Beschäftigungen). Damit wird dem Arbeitslosen jeglicher Berufsschutz verwehrt. Dies wird in Abs. 5 nochmals ausdrücklich anhand wesentlicher Kriterien für die Auswahl geeigneter Beschäftigungen klargestellt. Ein Bezug zur früheren beruflichen Tätigkeit wird nur insoweit hergestellt, dass hinsichtlich des Arbeitsentgeltes, auf das sich der Arbeitslose bei Arbeitsangeboten einlassen muss, auf das Bemessungsentgelt abgestellt wird, das dem Bezug von Alg zugrunde liegt. Die Vermittlungsfachkräfte der Agenturen für Arbeit haben zusätzlich die Vermittlungsgrundsätze (§§ 35, 36) zu beachten. Die Regelung grenzt damit schon für das Versicherungsrecht die persönlichen Interessen von denen der Versichertengemeinschaft ab. Gründe für Unzumutbarkeit von Beschäftigungen, die mit dem Risiko der Arbeitslosenversicherung vereinbar sind, werden als Ausnahmetatbestände eingeordnet. § 140 enthält aber Durchbrechungen der grundsätzlichen Zumutbarkeit zugunsten des Arbeitslosen. Das bedeutet nicht, dass der Arbeitslose diese nutzen muss, er darf auch Arbeiten außerhalb des Tagespendelbereichs aufnehmen, wenn ihm dies eigentlich nicht zuzumuten ist (BSG, Urteil v. 25.8.2011, B 11 AL 13/10 R, SozR 4-4300 § 132 Nr. 6).
Rz. 4
Die Zumutbarkeit von Beschäftigungen in der Arbeitslosenversicherung gibt immer wieder Anlass zu Diskussionen über die verfassungsrechtlichen Grenzen. Dabei wird häufig bezweifelt, dass die Zumutbarkeit unterwertiger Beschäftigung, die mit einer Dequalifizierung einhergeht, mit der Freiheit der Berufswahl (Art. 12 GG) vereinbar ist. Mitunter wird § 140 in die Nähe eines Verstoßes gegen das Verbot von Arbeitszwang und Zwangsarbeit gerückt (Art. 12 und Art. 3 GG). Unter dem Gesichtspunkt des Eigentumsschutzes eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg; Art. 14 GG) wird gefordert, die Interessen des Versicherten bei den Versicherungsbedingungen, denen die Zumutbarkeit von Beschäftigungen zuzurechnen ist, angemessen zu berücksichtigen. Auch wird bezweifelt, dass die Zumutbarkeit eines Umzuges mit dem Grundrecht der Freizügigkeit vereinbar ist (Art. 11 GG). Gleichwohl ist bislang nicht ernsthaft angestrengt worden, eine Entscheidung des BVerfG über die Nichtigkeit der Zumutbarkeitsregelungen bzw. ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz herbeizuführen. Das mag damit zusammenhängen, dass § 140 eine Reihe von Ausnahmen zur Zumutbarkeit aller in Betracht kommender Beschäftigungen nach den individuellen Umständen im Einzelfall vorsieht. Dazu gehören nicht nur die ausdrücklich in der Vorschrift aufgeführten Tatbestände. Daneben ist zu berücksichtigen, dass die Fachkräfte der Arbeitsverwaltung an Vermittlungsgrundsätze gebunden sind und darüber hinaus anstreben, im Arbeitgeberinteresse für offene Stellen passgenau qualifizierte Arbeitnehmer herauszufiltern ("Arbeitgeberservice" der Agenturen für Arbeit mit stellenorientierter Arbeitsvermittlung). Erfahrungsgemäß haben Beschäftigungsverhältnisse mit deutlich überqualifizierten Mitarbeitern nicht lange Bestand, eine hohe Fluktuation bei den Beschäftigten tangiert aber auch die betriebliche Leistungsfähigkeit. Die Zumutbarkeitskriterien stimmen nach ihrem Maßstab nicht mit denen der Grundsicherung für Arbeitsuchende überein (vgl. § 10 SGB II). Die Diskussion um die Zumutbarkeit von Beschäftigungen hat sich nach der Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf § 10 SGB II verlagert. Für § 140 spricht die Stabilität der Vorschrift, die bislang auch nicht durch die Rechtsprechung erschüttert worden ist.
Rz. 4a
Bei schwangeren Arbeitslosen entfällt eine Verfügbarkeit (§ 138) nicht schon deshalb, weil ihnen ein ärztliches Beschäftigungsverbot erteilt wird (§ 3 Abs. 1 MuSchG). Die Anforderungen, die an Verfügbarkeit und damit im Ergebnis an zumutbare Beschäftigungen gestellt werden dürfen, müssen daher zweifelsfrei geklärt werden. Dazu gehört, die Tragweite des ärztlichen Beschäftigungsverbotes festzustellen. Es kann sich sowohl auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit oder auch auf jegliche der nach § 140 zumutbaren Beschäftigungen beziehen (BSG, Urteil v. 22.2.2012, B 11 AL 26/10 R, PflR 2012 S. 450, unter Hinweis auf BSG, Urteil v. 30.11.2011, B 11 AL 7/11 R, SozR 4-4300 § 119 Nr. 11; v. 9.9.1999, B 11 AL 77/98 R, SozR 3-4100 § 103 Nr. 19).