Rz. 12
Abs. 2 stellt den Menschen mit Behinderungen diejenigen Menschen gleich, denen eine Behinderung droht, die wegen Art oder Schwere wie bei Menschen mit Behinderungen die Aussichten zur Teilhabe oder weiteren Teilhabe am Arbeitsleben nicht nur vorübergehend wesentlich mindert. Die Regelung hat präventiven Charakter. Die Agenturen für Arbeit sollen nicht zuwarten, bis die Behinderung eingetreten ist und erst dann die benötigten Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben gewähren. Die Vorschrift greift mit der Gleichstellung entsprechende Regelungen in § 10 SGB I und § 1 SGB IX auf.
Rz. 13
Abzustellen ist auf die drohenden Folgen. Es kommt also nicht auf die drohende Behinderung allein an, sondern auch auf die damit einhergehenden Folgen. Gegenstand der Regelung ist nicht, die drohende Behinderung abzuwenden. Das hat z. B. im Rahmen der medizinischen Rehabilitation zu geschehen. Deshalb kommt es für Abs. 2 auch nicht darauf an, ob die Behinderung letztlich tatsächlich eintritt oder nicht. Für die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben kommt es allein auf die drohende Behinderung mit den Folgen der nicht nur vorübergehend wesentlich geminderten Aussichten i. S. d. Abs. 1 an. Liegen diese Tatbestandsmerkmale vor, ist der von Behinderung bedrohte Mensch arbeitsförderungsrechtlich so zu behandeln wie ein Mensch mit Behinderungen, ihm sind also die benötigten Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu gewähren.
Rz. 14
Der Betroffene ist von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erwarten ist, weil im Falle des Eintritts der Behinderung die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen würde (vgl. § 2 Abs. 1 SGB IX). Irrelevant ist, ob der Eintritt einer Schwerbehinderung droht.
Rz. 15
Ob eine Beeinträchtigung in diesem Sinne zu erwarten ist, ist im Rahmen einer Prognose zu entscheiden, der eine fachdienstliche Untersuchung bzw. ein entsprechendes Gutachten zugrunde zu legen ist. Dabei kann es sich um ein arbeitsmedizinisches oder auch psychologisches Gutachten oder eine Kombination davon handeln. Erwartung bedeutet zunächst, dass von dem Eintritt der Behinderung ausgegangen werden kann, sofern keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden oder keine geeigneten Gegenmaßnahmen ergriffen werden können. Doch selbst dann, wenn Gegenmaßnahmen ergriffen werden oder bereits ergriffen worden sind, kann eine drohende Behinderung nur verneint werden, wenn die eingeleiteten Maßnahmen mit hoher Wahrscheinlichkeit die Behinderung bzw. deren Folgen vermeiden. Umgekehrt ist es dagegen nicht erforderlich, dass der Eintritt der Behinderung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.
Rz. 16
Die Prognose ist nach dem körperlichen, geistigen und seelischen Zustand des betroffenen Menschen zum Zeitpunkt der Prognose zu stellen. Bei positiver Prognose i. S. d. Abs. 2 bleiben spätere Feststellungen ihrer Unrichtigkeit außer Betracht. Bei negativer Prognose sind neue Tatsachen, die zu einer anderen Prognoseentscheidung führen können, mit Wirkung für die Zukunft zu berücksichtigen, es ist also ggf. eine neue Prognoseentscheidung erforderlich.
Rz. 17
Eine drohende Behinderung ist allein nicht ausreichend, um den betroffenen Menschen einem Menschen mit Behinderungen gleichzustellen. Gegenstand gerade der Prognose ist vielmehr, ob als Folge des Eintritts der Behinderung eine wesentliche Minderung der Aussichten auf Teilhabe oder weitere Teilhabe am Arbeitsleben die Gewährung von Hilfen notwendig macht. Notwendig sind Hilfen dann, wenn eine Teilhabe am Arbeitsleben ohne die spezifische Hilfe nicht erreicht werden kann, das allgemeine arbeitsmarktpolitische Instrumentarium also nicht ausreicht. Damit wird auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des Verwaltungshandelns in Bezug auf die individuelle Hilfestellung und den Voraussetzungen des § 19 Genüge getan.