0 Rechtsentwicklung
0.1 Bisheriges Recht
Rz. 1
Die Regelung einer gesetzlichen Grundlage für Vergütungsminderungen ist neu, so dass kein unmittelbarer Vorläufer der Regelungen vorhanden ist. Allerdings eröffnet § 75 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII (i. d. F. bis zum 31.12.2019) den Abschluss von Vergütungsvereinbarungen, wobei auch Abmachungen über die Kürzung der Vergütung im Fall der Pflichtverletzung möglich sind; was häufig aber nicht erfolgte.
0.2 Vergleich zum Vertragsrecht des Zehnten Kapitels SGB XII ab 1.1.2020
Rz. 2
Die Vorschrift entspricht § 79 SGB XII i. d. F. Art. 13 BTHG ab 1.1.2020.
0.3 Nur formales Inkrafttreten zum 1.1.2018 – materielles Inkrafttreten zum 1.1.2020
Rz. 3
§ 129 tritt zwar formal bereits zum 1.1.2018 in Kraft. Ihre volle Wirksamkeit entfaltet die Regelung aber erst mit Inkrafttreten der Strukturreform der Eingliederungshilfe (neu) zum 1.1.2020. Die Vorschrift ist eine Ermächtigungsgrundlage bei neuen Verträgen nach dem Achten Kapitel Teil 2 BTHG bei Fehlleistungen die Vergütung zu kürzen und kann daher nach Sinn und Zweck frühestens mit deren Außenwirkung zum 1.1.2020 angewendet werden (vgl. auch Komm. zu § 123 Rz 6).
1 Allgemeines
Rz. 4
Der neue Tatbestand des § 129 ermöglicht erstmals gesetzlich eine Kürzung der Vergütung in Fällen, in denen ein Leistungserbringer seine gesetzlichen oder vertraglichen Verpflichtungen ganz oder teilweise nicht einhält. Er dient damit auch der Verwirklichung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als milderes Mittel im Vergleich zu einer außerordentlichen Kündigung gemäß § 130 (vgl. Komm. § 130 Rz. 10). § 129 zählt zum besonderen Vertragsrecht für die Eingliederungshilfe und ist in Teil 2 des Achten Kapitels SGB IX eingefügt worden.
Rz. 5
In Ergänzung des neuen gesetzlichen Prüfungsrechts bestimmt Abs. 1 Satz 1, dass im Falle der teilweisen oder vollständigen Nichterfüllung der gesetzlichen oder vertraglichen Verpflichtungen des Leistungserbringers die vereinbarte Vergütung für die Dauer der Pflichtverletzung entsprechend zu kürzen ist.
Nähere Vorgaben, nach welchen Kriterien die Vergütung zu kürzen ist, enthält die Vorschrift nicht; jedenfalls kann die Vergütung bis zur Höhe zurückgefordert werden, in der die Leistung vom Träger der Eingliederungshilfe erbracht worden ist, im Übrigen ist an den selbstzahlenden Leistungsberechtigten zurückzuzahlen (Abs. 2).
Abs. 1 Satz 2 ordnet allerdings an, dass zur Vermeidung von rechtlichen Auseinandersetzungen bezüglich der Höhe des Kürzungsbetrags zwischen den Vertragsparteien Einvernehmen herzustellen ist (Abs. 1 Satz 2) und im Falle der Nichteinigung die Schiedsstelle auf Antrag einer Vertragspartei entscheidet (Abs. 1 Satz 3 und 4).
Abs. 3 stellt klar, dass der Kürzungsbetrag nicht refinanzierbar ist und die Kürzung der Vergütung auch keine unvorhergesehene Änderung der Annahmen im Sinne von § 127 Abs. 3 ist, die einen Anspruch auf Nachverhandlung begründen könnte.
2 Rechtspraxis
2.1 Nichterfüllung der gesetzlichen oder vertraglichen Verpflichtungen des Leistungserbringers
Rz. 6
Eine Kürzung der Vergütung setzt zunächst voraus, dass dem Leistungserbringer die Nichterfüllung der gesetzlichen oder vertraglichen Verpflichtungen nachzuweisen sind. Die Kriterien sind mit den Voraussetzungen der außerordentlichen Kündigung gemäß § 130 SGB IX i. d. F. des Art. 1 BTHG identisch (vgl. Komm. zu § 130 Rz. 11).
Die Kürzungsmöglichkeit ist gegenüber dem außerordentlichen Kündigungsrecht nach § 130 eine vorgeschaltete Möglichkeit der Vergütungsminderung durch den Träger der Eingliederungshilfe und gibt diesem erstmals ein gesetzlich geregeltes Sanktionsmittel insbesondere in Fällen, in denen aufgrund des eingeschränkten Ausmaßes der Pflichtverletzung eine (außerordentliche) Kündigung nicht in Betracht kommt (vgl. Begründung Regierungsentwurf BTHG, BR-Drs. 428/16 S. 305).
Sie dient nicht zuletzt auch den Interessen der Leistungsberechtigten, indem die Leistungserbringer zur Vermeidung der Vergütungskürzung zur Erfüllung der gesetzlichen oder vertraglichen Verpflichtungen angehalten werden (vgl. Begründung Regierungsentwurf BTHG, BR-Drs. 428/16 S. 305).
Im Sinne des § 129 relevante gesetzliche oder vertragliche Verpflichtungen des Leistungserbringers sind – wie bei der außerordentlichen Kündigung gemäß § 130 – Verpflichtungen, die unmittelbar den Leistungsberechtigten oder den Träger der Eingliederungshilfe als Kostenträger vor schädigenden Handlungen schützen (vgl. Komm. zu § 130 Rz. 11).
2.2 Höhe des Kürzungsbetrages
Rz. 7
Kriterien, nach denen die Vergütung zu kürzen ist oder die konkrete Höhe des Kürzungsbetrags, bestimmt § 129 nicht. Die Vergütung kann jedenfalls bis zur der Höhe zurückgefordert werden, in der die Leistung vom Träger der Eingliederungshilfe erbracht worden ist. Soweit der Leistungsberechtigte Selbstzahler ist oder gemäß § 136 einen Beitrag zu leisten hat, der nach § 137 Abs. 3 von den Leistungen des Trägers der Eingliederungshilfe abzuziehen ist, steht der Kürzungsbetrag in dieser Höhe dem Leistungsberechtigten zu (Abs. 2 HS 2).
Dem Wortlaut nach, wirkt sich die Kürzung in voller Höhe bis zur Grenze nur auf Leistungen des Trägers der Eingliederungshilfe aus. Erst wenn dieser Betrag erreicht ist, ist an den selbstzahlenden Leistungsberechtigten zurückzuzahlen. Es erfolgt keine proportionale Beteiligung des Leistungsberechtigten (bezogen auf seinen Kostenanteil) ...