Rz. 3
Nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 SGB I haben die Rehabilitationsträger darauf hinzuwirken, dass jeder Berechtigte die ihm zustehenden Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend und zügig erhält. Durch die zum 1.1.2018 in Kraft getretene Neufassung des § 18 zwingt der Gesetzgeber die Rehabilitationsträger, über Anträge auf Teilhabeleistungen zügig und zeitnah zu entscheiden. Dem Berechtigten wird zur schnellen Verwirklichung seiner Ansprüche auf Teilhabeleistungen mit § 18 ein Instrument an die Hand gegeben, sich die beantragte Leistung bei "Untätigkeit" des nach den § 14 zuständigen Rehabilitationsträgers bzw. bei unaufschiebbaren Leistungen selbst zu beschaffen. Diese Selbstbeschaffung rechtfertigt dann gegenüber dem "säumigen" Rehabilitationsträger einen Kostenerstattungsanspruch.
Anzumerken ist, dass die fingierte Genehmigung keinen eigenständigen Sach- oder Dienstleistungsanspruch in Natur (§ 11 SGB I) begründet, sondern dem Antragsteller (nur) eine vorläufige Rechtsposition vermittelt, die es ihm erlaubt, sich die Leistung selbst zu beschaffen. Das durch die Genehmigungsfiktion begründete Recht zur Selbstbeschaffung auf Kosten des Rehabilitationsträgers besteht auch bei materieller Rechtswidrigkeit der selbstbeschafften Leistung, sofern der Versicherte im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung keine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vom Nichtbestehen des materiellen Leistungsanspruchs hat (vgl. BSG, Urteil v. 26.5.2020, B 1 KR 9/18 R; das Urteil bezieht sich zwar eigentlich auf die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB V, allerdings gibt es aufgrund der Urteilsbegründung viele Parallelen zu § 18 SGB IX hinsichtlich des Umgangs mit fiktiven Verwaltungsakten; vgl. auch BSG, Urteil v. 18.6.2020, B 3 KR 14/18 R). Letztendlich bedeutet dies:
- Der Antragsteller kann sich mit Eintritt der Genehmigungsfiktion (Tag nach Fristablauf) die beantragte Leistung selbst beschaffen – und zwar solange, wie die Entscheidung des Rehabilitationsträgers über den Antrag noch keine bestandskräftige Bindung erlangt hat. Die durch die Genehmigungsfiktion eröffnete Möglichkeit der Selbstbeschaffung endet erst dann, wenn über den materiell-rechtlichen Leistungsanspruch bindend entschieden worden ist oder sich der Antrag anderweitig erledigt hat.
- Durch den Eintritt der Genehmigungsfiktion wird das durch den Antrag in Gang gesetzte Verwaltungsverfahren in Bezug auf die Genehmigung oder Ablehnung der Leistung nicht abgeschlossen. Der Rehabilitationsträger ist weiterhin berechtigt und verpflichtet, über den gestellten Antrag zu entscheiden und damit das laufende Verwaltungsverfahren abzuschließen.
- Die bestandskräftige Entscheidung über den Leistungsantrag vermittelt dem Versicherten positive Kenntnis darüber, ob er die beantragte Leistung beanspruchen kann. Während eines laufenden Widerspruchs- oder Sozialgerichtsverfahrens bleibt das Recht, sich die Leistung selbst zu beschaffen, erhalten, solange der Versicherte gutgläubig (Einzelheiten: vgl. Rz. 12 f.) ist.
- Es besteht nur ein Anspruch auf Kostenerstattung für eine selbstbeschaffte Leistung. Der Antragsteller kann aufgrund der eingetretenen Genehmigungsfiktion des § 18 nicht verlangen, dass er zulasten des säumigen Rehabilitationsträgers ohne Umweg über die Vorfinanzierung direkt Naturalleistungen (Sach- oder Dienstleistungen) beanspruchen kann; bei der Selbstbeschaffung der Leistung i. S. des § 18 trägt somit der Selbstbeschaffer das Risiko, die verauslagten Kosten evtl. nicht erstattet zu bekommen.
Die Pflicht zur Erstattung selbst beschaffter Leistungen richtet sich an den leistenden Rehabilitationsträger i. S. d. § 14 Abs. 2. Das bedeutet, dass sich der Kostenerstattungsanspruch auch dann gegen ihn richtet, wenn im Rahmen von § 15 ein weiterer Rehabilitationsträger am Prozess beteiligt ist und diesem die Schuld für die säumige Leistungsentscheidung zugeschrieben wird.
Rz. 4
§ 18 befasst sich mit den Fallgestaltungen, in denen sich ein Rehabilitationsträger pflichtwidrig verhält, weil er
- nicht rechtzeitig über einen Teilhabeantrag entschied oder
- den Leistungsberechtigten nicht rechtzeitig über die ausstehende Leistungsentscheidung informierte oder
- eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder
- eine Teilhabeleistung zu Unrecht ablehnte
und dem Antragsteller daraus ein Anspruch auf Selbstbeschaffung der Leistung mit späterer Kostenerstattung erwächst.
Dabei unterscheidet die Vorschrift zwischen 2 Rechtskreisen – und zwar dem des § 18 Abs. 1 bis 5 einerseits (siehe a) und dem des § 18 Abs. 6 andererseits (siehe b):
In § 18 Abs. 1 bis 5 werden notwendige Tätigkeiten der Rehabilitationsträger innerhalb einer vom Gesetzgeber gewählten 2-monatigen Frist geregelt. Innerhalb der 2 Monate ist der Antragssteller von dem nach § 14 zuständigen Rehabilitationsträger
- über dessen Entscheidung bezüglich der vom Teilhabeantrag ausgelösten Leistungsansprüche oder
- über die Ursachen der Verzögerungen
zu informieren. Die 2-Monats-Frist verlängert sich bei Verzögerungen ausschli...