Rz. 18
Nach § 47 Abs. 1 Nr. 3 kann der Leistungsberechtigte auch dann ein Hilfsmittel beanspruchen, wenn es seinem Zweck entsprechend die Auswirkungen der Behinderung beseitigt oder mindert (Rz. 18a) und dadurch die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beeinflusst (Rz. 19). Der Mensch mit Behinderung wird im Rahmen des § 47 den Erfordernissen der Umwelt angepasst, nicht aber das Umfeld an die Bedürfnisse des betroffenen Menschen angeglichen (vgl. BSG, Urteil v. 18.6.2014, B 3 KR 8/13 R).
Rz. 18a
Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich werden nach dem Urteil des BSG v. 10.9.2020, B 3 KR 15/19 R, nicht mit dem vorrangigen Ziel eingesetzt, auf die Krankheit, d. h. auf den regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand als solchen, kurativ-therapeutisch einzuwirken. Sie sollen vielmehr in erster Linie die mit diesem regelwidrigen Zustand bzw. mit der Funktionsbeeinträchtigung verbundene (oder im Falle der Vorbeugung zu erwartende) Teilhabestörung ausgleichen, mildern, abwenden oder in sonstiger Weise günstig beeinflussen, um die Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern und Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken (vgl. § 1). Bei der Beurteilung eines Anspruchs auf Versorgung mit einem Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich ist daher dem Teilhabeaspekt die nach dem SGB IX vorgesehene Bedeutung zuzumessen. Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich zielen in erster Linie auf eine Verbesserung der beeinträchtigten Teilhabe in der Gesellschaft. Neben dem Ausgleich von körperlichen Funktionen erfasst der Behinderungsausgleich auch den von geistigen Fähigkeiten oder von seelischer Gesundheit (§ 2). Ein Einsatz im Rahmen einer ambulanten oder stationären Rehabilitationsmaßnahme in einer entsprechenden Rehabilitationseinrichtung ist nicht erforderlich.
Rz. 19
Nach dem Urteil des BSG v. 10.9.2020 (a. a. O.) ist ein Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich ferner von der Krankenkasse nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mindert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Deshalb ist der Anspruch auf Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich im Rehabilitationsrecht nach § 47 Abs. 1 Nr. 3 ausdrücklich auf solche zur Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens begrenzt. Denn unter dem Oberbegriff der Rehabilitation als Leistungen zur Teilhabe in der Gesellschaft (vgl. z. B. § 5) ist die medizinische Rehabilitation – in Abgrenzung zur beruflichen, sozialen und seit dem 1.1.2018 auch zur die Bildung betreffenden Rehabilitation – auf die Teilhabe am täglichen Leben, einschließlich der mit medizinischen Mitteln zu bewirkenden Selbstbestimmung und Selbstversorgung, gerichtet. Zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören danach das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Zur Erschließung eines geistigen Freiraums gehört u. a. die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen Menschen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens bzw. eines Schulwissens. Zum körperlichen Freiraum gehört – zum Ausgleich bei eingeschränkter Bewegungsfreiheit – die Fähigkeit, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die – üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden – Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (z. B. Supermarkt, Arzt, Apotheke, Geldinstitut, Post), nicht aber die Bewegung außerhalb dieses Nahbereichs. Für einen größeren Radius, mithin über das zu Fuß Erreichbare, sind zusätzliche qualitative Momente zu verlangen. Das zu befriedigende Grundbedürfnis der Erschließung des Nahbereichs darf nach dem Urteil des BSG v. 20.5.2020, B 3 KR 7/19 R, nicht zu eng gefasst werden. Der vom Wohnort zu definierende Nahbereich muss für den Menschen mit Behinderungen zumutbar und angemessen sein. Dies folgt unter Beachtung der Teilhabeziele des SGB IX (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 3 SGB V) und insbesondere aus dem Recht, ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben zu führen (vgl. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG sowie Art. 20 UN-Behindertenrechtskonvention).
Rz. 20
Nach der Rechtsprechung (zuletzt: BSG, Urteil v. 14.6.2023, B 3 KR 8/21 R) ist bezüglich des Leistungsrahmens bei Hilfsmitteln, die zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung und die Folgen einer Behinderung im Bereich der Grundbedürfnisse eines Menschen ausgleichen, zwischen
- dem unmittelbaren (direkt wirkender Ausgleich der Behinderung wie z. B. bei einer Beinprothese; Rz. 21) und
- dem mittelbaren (Rollstuhl; Rz. 22 ff.)
Behinderungsausgleich zu unterscheiden. Der Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung bei Hilfsmitteln ist beim unmittelbaren Behinder...