Entscheidungsstichwort (Thema)
Rehabilitationsrecht. gesplittete Leistungserbringung nach § 15 Abs 1 S 2 SGB 9 2018 nur in sog echten Konsensfällen nach pflichtgemäß durchgeführter Teilhabeplanung
Orientierungssatz
Eine gesplittete Leistungserbringung nach § 15 Abs 1 S 2 SGB 9 2018 ist nur in sog echten Konsensfällen nach pflichtgemäß durchgeführter Teilhabeplanung möglich.
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 30.10.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.02.2020 wird aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von über den von der Krankenkasse gewährten Festbetrag hinausgehenden Kosten für Hörgeräte.
Der am 00.00.1962 geborene Kläger leidet unter einer beidseitigen Innenohrschwerhörigkeit. Er ist als Fachreferent Engineering Service bei der Firma … beschäftigt.
Der behandelnde Hals-Nasen-Ohrenarzt des Klägers Dr…. verordnete dem Kläger am 04.03.2019 eine Hörhilfe. Der Arbeitgeber des Klägers beantragte bei der gesetzlichen Krankenkasse des Klägers, der …., am 16.08.2019 unter Vorlage eines Kostenvoranschlags über 5.658,00 € der Firma … die Versorgung des Klägers mit einem Hörgerät Oticon Opn S 1 Ex-Hörer Mini. Ausweislich des Anpassungsberichts der Firma … vom 31.07.2019 testete der Kläger neben dem streitgegenständlichen Hörgerät auch ein eigenanteilsfreies Hörgerät (Widex Daily 30 D03-9). Mit beiden Hörgeräten erzielte der Kläger nach dem Freiburger Sprachtest ein Sprachverstehen von 100 % (Nutzschall 65 dB ohne Störschall) sowie von 77,5 % (Nutzschall 65 dB mit Störschall 60 dB).
Die …. bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 28.08.2019 den Festbetrag i.H.v. 1.635,00 € und leitete den Antrag wegen der restlichen Kosten am 28.08.2019 an die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg weiter, welche den Antrag an die Beklagte weiterleitete, wo er am 12.09.2019 einging.
Die Beklagte lehnte den Antrag auf Übernahme von weiteren Kosten ab, weil die Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht erfüllt seien. Die Höranforderungen in der Berufsausübung des Klägers als Fachreferent beinhalteten keine spezifisch berufsbedingte Notwendigkeit der Hörgeräteversorgung.
Dagegen legte der Kläger am 25.11.2019 Widerspruch ein, zu dessen Begründung er vortrug, sein Berufsalltag bringe einen deutlich erhöhten „Hörverständnisstress“ mit sich, welcher mit dem begehrten Hörgerät deutlich gelindert werden könne.
Der Kläger kaufte die streitgegenständlichen Hörgeräte sowie weiteres Zubehör am 23.12.2019 für insgesamt 5.595,00 €. Der Kläger bezahlte alleine für die beiden streitgegenständlichen Hörgeräte nach Abzug des von der …. geleisteten Festbetrags i.H.v. 1.635,00 € noch 4.043,00 €.
Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 06.02.2020 als unbegründet zurück.
Dagegen hat der Kläger am 12.02.2020 Klage erhoben, zu deren Begründung seine Prozessbevollmächtigte im Wesentlichen geltend macht, die Versorgung des Klägers mit den streitgegenständlichen Hörgeräten sei wegen Art oder Schwere seiner Behinderung zur Berufsausübung erforderlich. Der Kläger sei in seinem Beruf auf eine besonders gute Hörfähigkeit angewiesen. Der Kläger habe verschiedene Hörgeräte getestet und nur mit dem streitgegenständlichen Hörgerät das bestmögliche Hörverstehen erzielen können. Zwar habe der Freiburger Sprachtest keinen Unterschied zu einem zuzahlungsfreien Hörgerät ergeben. Jedoch habe das SG Hamburg mit Urteil vom 17.05.2016 (Az. S 8 KR 1568/15) festgestellt, dass der Freiburger Sprachtest nur einer ersten Orientierung diene. Schließlich zeigten verschiedene wissenschaftliche Publikationen, dass der Freiburger Sprachtest nicht als normiertes Verfahren gelten könne.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 30.10.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.02.2020 zu verurteilen, dem Kläger die Kosten für zwei Hörgeräte der Marke Oticon Opn S 1 Ex-Hörer Mini 85 i.H.v. 4.043,00 € zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, bei den Hörgeräten handele es sich um Hilfsmittel, welche in den Zuständigkeitsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung fielen. Eine Notwendigkeit einer über den Versorgungsauftrag der Krankenkasse hinausgehenden, höherwertigen Hörgeräteversorgung allein für die Ausübung eines bestimmten Berufes sei nicht gegeben.
Die …. hat unter dem 05.08.2020 mitgeteilt, es sei kein Teilhabeplan nach § 19 SGB IX erstellt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte sowie auf die Prozessakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht zum örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht erhobene kombinierte Anfechtungs- (hierzu unter 1.) und Leistungsklage (hierzu unter 2.) im Sinne von § 54 Abs. 1, 4 SGG ist zulässig und hinsichtlich des Aufhebungshauptantrags auch begründet. Die Leistungsklage ist hingege...