Rz. 48
Der mit Wirkung zum 26.2.2013 (Patientenrechtegesetz v. 20.2.2013, BGBl. I S. 277) neu eingefügte Abs. 3a dient der Beschleunigung von Bewilligungsverfahren zugunsten der Versicherten durch Einführung verbindlicher Fristen für die Entscheidung über einen Leistungsantrag. Die Vorschrift sanktioniert die Nichteinhaltung der Fristen durch den Eintritt einer Genehmigungsfiktion. Grundgedanke der Vorschrift ist, dass eine Leistung nach Ablauf der maßgeblichen Fristen als genehmigt gilt und der Leistungsberechtigte sich die Leistung selbst verschaffen kann und zwar auch dann, wenn auf diese nach den Vorschriften des GKV-Leistungsrechts eigentlich kein Anspruch besteht (vgl. BSG, Urteil v. 26.5.2020, B 1 KR 9/18 R; BSG, Urteil v. 8.3.2016, B 1 KR 25/15 R). Im Gegenzug erhält der Leistungsberechtigte einen Kostenerstattungsanspruch gegenüber der Krankenkasse. Eine vergleichbare Regelung enthielt für Teilhabeleistungen zuvor bereits § 15 SGB IX (seit 1.1.2018 § 18 SGB IX). § 13 Abs. 3a normiert – neben § 13 Abs. 3 – einen weiteren Fall eines Systemversagens in welchem abweichend vom Sachleistungsprinzip (§ 2 Abs. 2 Satz 1) ausnahmsweise Kostenerstattung verlangt werden kann, weil das Sachleistungssystem – durch Nichtentscheidung über einen Antrag innerhalb einer zumutbaren Frist – als gescheitert anzusehen ist (BSG, Urteil v. 27.10.2020, B 1 KR 3/20 R, Rz. 12).
2.4.1 Übersicht zu Änderungen der Rechtsprechung
Rz. 49
Die Vorschrift hat in Anwendung und Rechtsprechung nach ihrer Einführung erhebliche Probleme bereitet. Dies betraf insbesondere die Frage von Art (nur Erstattungsanspruch oder auch Sachleistungsanspruch?) sowie Umfang des resultierenden Anspruchs (auch Leistungen auf die nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung eigentlich kein Sachleistungsanspruch besteht?), der Rechtsnatur der Genehmigungsfiktion (Verwaltungsakt?) sowie die hiermit im Zusammenhang stehende Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen sich die Krankenkassen von dieser nachträglich lösen konnten. Die meisten dieser Fragestellungen dürften nach mehreren BSG Entscheidungen aus dem Jahr 2020 nunmehr als gelöst anzusehen sein (BSG, Urteil v. 26.5.2020, B 1 KR 9/18 R; BSG, Urteile v. 18.6.2020, B 3 KR 14/18 R, B 3 KR 6/19 R, und B 3 KR 18/19 R).
Nach umstrittener "alter" Rechtsprechung des BSG (vgl. dazu BSG, Urteil v. 8.3.2016, B 1 KR 25/15 R; BSG, Urteil v. 27.8.2019, B 1 KR 36/18 R) sollte aus der Genehmigungsfiktion (Abs. 6) ein vom materiellen Recht unabhängiger Sachleistungsanspruch resultieren. Der fingierten Genehmigung kam nach dieser Rechtsprechung die Qualität eines fingierten Verwaltungsaktes zu. Eine Rücknahme der fingierten Genehmigung sollte – jedenfalls nach Auffassung des 1. Senat – unabhängig vom materiellen Leistungsrecht nur dann möglich sein, wenn die Voraussetzungen für den Eintritt der Genehmigungsfiktion nicht vorlagen (BSG, Urteil v. 27.8.2019, B 1 KR 36/18 R). Dem Sachleistungsanspruch aus Abs. 6 entsprach vom Umfang her der Selbstbeschaffungs- und Kostenersatzanspruch des Abs. 7. Von diesem waren grundsätzlich auch vom materiellen Leistungsrecht des SGB V nicht gedeckte Leistungsansprüche umfasst, die der Versicherte subjektiv für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung ("Leistungrenzen, die jedem Versicherten klar sein müssen") lagen (BSG, Urteil v. 26.2.2019, B 1 KR 20/18 R; BSG, Urteil v. 8.3.2016, B 1 KR 25/15 R).
In seiner aktuellen Rechtsprechung (BSG, Urteil v. 26.5.2020, B 1 KR 9/18 R; BSG, Urteile v. 18.6.2020, B 3 KR 14/18 R, B 3 KR 6/19 R, und B 3 KR 18/19 R) geht das BSG davon abweichend nunmehr davon aus, dass aus dem Eintritt der Genehmigungsfiktion kein Sachleistungs-, sondern ausschließlich ein Kostenersatzanspruch resultiert, sodass eine Inanspruchnahme der Leistung jetzt immer die Vorfinanzierung durch den Berechtigten voraussetzt. In Bezug auf die Rechtsnatur der Genehmigungsfiktion nimmt das BSG jetzt an, dass es sich nicht um einen (fingierten) Verwaltungsakt, sondern um eine "Rechtsposition sui generis" handelt, die es dem Leistungsberechtigten erlaubt, nach erfolgter Selbstbeschaffung die Leistung auch dann zu behalten, wenn hierauf nach allgemeinen Grundsätzen der gesetzlichen Krankenversicherung eigentlich kein Anspruch besteht, und die es ihm ermöglicht, einen Kostenerstattungsanspruch gegen die Krankenkasse geltend zu machen. Hinsichtlich der Reichweite des Anspruchs hat das BSG seine Rechtsprechung, dass sich der Anspruch auf Leistungen erstreckt, auf die eigentlich nach dem Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung kein Anspruch besteht, fortentwickelt und fordert nunmehr, dass der Berechtigte im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung insoweit gutgläubig ist und keine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vom Nichtbestehen des Anspruchs besitzt (der neuen Rechtsprechung des BSG folgend bislang etwa LSG Sachsen, Urteil v. 21.4.2021, L 1 KR 539/17; LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 3.3.2021, L 5 KR 4214/1; Bay. LSG, Urteil v. 26.2.2021, L...