Rz. 9
Nach § 24e Abs. 2 HS 2 gilt die unter Rz. 8 aufgeführte Zuzahlungsfreiheit sowie die Nichtanwendung der Festbetragsregelung lediglich bei Schwangerschaftsbeschwerden und während der Entbindung. Unter Schwangerschaftsbeschwerden versteht die Rechtsprechung Befindlichkeitsstörungen, die für die Schwangerschaft typisch sind und mit ihr kommen und gehen (BSG, Urteil v. 15.9.1977, 6 RKa 6/77). Zu den typischen Schwangerschaftsbeschwerden zählen u.a. Schwangerschaftsdiabetes, Blutarmut (Anämie), Genitalinfektionen, Kreislaufbeschwerden, Muttermundschwäche, zeitweise psychische Probleme wegen der Schwangerschaft, Rückenschmerzen, Ödeme, Übelkeit, Erbrechen und Wadenkrämpfe.
Rz. 10
In der Praxis bestehen unterschiedliche Meinungen darüber, ob die schwangere Frau von der Entrichtung der Zuzahlung befreit ist, wenn die Schwangerschaftsbeschwerden über das normale Maß hinausgehen und somit als Krankheit anzusehen sind.
Der Autor vertritt im Gegensatz zu den Ausführungen unter Rz. 11 die Auffassung, dass sich die Befreiung von der Zuzahlung lediglich auf solche schwangerschaftsbedingten Störungen bezieht, die über das mit einer Schwangerschaft gewöhnlich verbundene Maß nicht hinausgehen und damit keinen Krankheitswert haben. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass sich der Anspruch auf Arznei-, Verband-, Heilmittel und Hilfsmittel mit der damit verbundenen Zuzahlungsfreiheit auf alle durch die Schwangerschaft begründeten Folgewirkungen – also auch auf die mit Krankheitswert – bezieht, hätte er dieses in § 24e aufnehmen müssen. Im Übrigen kann eine Befreiung von Zuzahlungen für Arznei, Verband-, Heil- oder Hilfsmittel, die wegen einer Krankheit notwendig werden, nicht allein deshalb erfolgen, weil die Mittel während einer Schwangerschaft verordnet werden.
Diese Auffassung wird von den Spitzenverbänden der Krankenkassen und dem GKV-Spitzenverband, Berlin, geteilt; in ihrem Gemeinsamen Rundschreiben zu den Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft v. 3.12.2020 heißt es unter Abschnitt 4.1 Abs. 5:
"Sofern eine schwangere Frau Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmittel nicht zum Zwecke der Entbindung, sondern wegen der über das gewöhnliche Maß hinausgehenden Schwangerschaftsbeschwerden (vgl. BSG, vom 15.09.1977 – 6 RKa 6/77, BAG vom 14.11.1984 – 5 AZR 394/82) benötigt, handelt es sich um Krankenbehandlung nach § 27 Abs. 1 SGB V, sodass die diesbezüglichen Zuzahlungsregelungen gelten."
Eine krankenversicherte Frau muss während der Schwangerschaft dauernd liegen, um wegen ihrer Bindegewebsschwäche ihr Kind nicht zu verlieren (= drohende Fehlgeburt). Deshalb benötigt sie ständig Arzneien (zur Verhinderung des Eintretens einer Lungenembolie). Weil die Arzneien wegen eines Körperzustandes, der über das normale Maß von Schwangerschaftsbeschwerden hinausgeht, verordnet werden, erfolgt die Verordnung nicht mehr im Rahmen des § 24e, sondern im Rahmen der §§ 27, 31. Die Versicherte ist von der für Arzneimittel vorgesehenen Zuzahlung (§ 31 Abs. 3) nicht befreit.
Rz. 11
In diesem Zusammenhang weist der Autor auf ein Urteil des LSG Baden-Württemberg v. 7.5.2014 (L 5 KR 898/13) hin. Hier ging es im Zusammenhang mit der Haushaltshilfe um die Differenzierung zwischen "üblichen Schwangerschaftsfolgen" und Krankheitswert im Zusammenhang mit der Entbindung. Das LSG begründet sein Urteil wie folgt:
"Dass die "normalen oder üblichen"Schwangerschaftsbeschwerden und die pathologischen, präventive oder sogar kurative ärztliche Behandlungsmaßnahmen auslösende Zustände im Verlauf einer Schwangerschaft sehr nahe beieinander liegen können, ergibt sich auch aus dem Gesetz, das Schwangeren und Entbindenden Anspruch auf ärztliche Betreuung, Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmittel sowie auf stationäre Entbindung gibt. Dieselben Ansprüche, die Versicherten im Falle einer Erkrankung gegeben werden, stehen auch Schwangeren zur Verfügung. Nichts anderes gilt im Grundsatz für Frauen, die frisch entbunden haben. Wegen mit Schwangerschaft und Entbindung verbundenen Beschwerden bzw. den dabei möglicherweise auftretenden Problemen und Gefahrensituationen für Mutter und Kind wird die gesamte Betreuung von Schwangeren und Entbindenden in die fachkundigen Hände von Hebammen bzw. Ärzten gelegt. Die Ausgestaltung der gesetzlichen Regelungen nach § 24c SGB V bzw. § 27 SGB V spricht somit eher für die vom Senat vertretene Auffassung, weil sie eine sachgerechte Anwendung dieser Vorschriften ermöglicht."
"Die Auffassung, die zwischen üblichen Schwangerschaftsbeschwerden und darüber hinausgehenden pathologischen Beschwerden unterscheidet, ist zur Abgrenzung des Anwendungsbereichs der Vorschriften über Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft nach den §§ 24c ff. SGB V von denen bei Krankheit nach § 27 SGB V demgegenüber nicht sinnvoll. So dürfte es in tatsächlicher Hinsicht schon schwierig sein, zuverlässig zwischen üblichen Schwangerschaftsbeschwerden ohne eigentlichen Krankheitswert und Schwangerschaftsbeschwerden mit Krankheitswert zu u...