2.1 Behandlungsfehler
Rz. 13
Ein Behandlungsfehler ist eine nicht sorgfältige, fachgerechte oder zeitgerechte Behandlung des Patienten durch einen Arzt (BGH, Urteil v. 6.5.2003, VI ZR 259/02). Er betrifft alle Bereiche ärztlicher Tätigkeit beim Notfall, beim Krankentransport, in der ärztlichen Praxis, bei Hausbesuchen oder im Krankenhaus. Der Fehler kann medizinischer oder organisatorischer Natur sein. Dazu gehören auch Fehler nachgeordneter oder zuarbeitender Personen oder eine fehlende, unrichtige, unverständliche oder unvollständige Aufklärung des Patienten über medizinische Eingriffe und ihre Risiken sowie Dokumentationsmängel.
Rz. 14
Ein Behandlungsfehler ist als grob zu bewerten, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (BGH, Urteil v. 25.10.2011, VI ZR 139/10).
2.2 Schadenersatzansprüche
Rz. 15
Der Patient hat einen zivilrechtlichen Anspruch auf
- Ersatz des materiellen Schadens durch erforderliche Heilbehandlungen,
- Ersatz des Verdienstausfalls sowie
- Schmerzensgeld,
wenn der ärztliche Behandlungsfehler ursächlich für einen Gesundheitsschaden ist (haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität). Die Unterstützungsleistung durch die Krankenkasse wird unabhängig davon erbracht, ob der Schadensersatzanspruch mit einer Vertragsverletzung oder einer gesetzlichen Haftung begründet wird.
Rz. 16
Der Anspruch auf Schadensersatz geht auf die Krankenkasse über, soweit diese aufgrund des Gesundheitsschadens Sozialleistungen zu erbringen hat (§ 116 Abs. 1 SGB X). Der Anspruch auf Schadensersatz wegen des Verdienstausfalls geht auf den Arbeitgeber über, wenn und soweit dieser während einer Arbeitsunfähigkeit Entgeltfortzahlung leistet und Beiträge zur Sozialversicherung zahlt (§ 6 Abs. 1 EFZG). Der zu unterstützende Schadensersatzanspruch betrifft deshalb insbesondere einen Schmerzensgeldanspruch (§ 253 BGB) oder den Verdienstausfall, der über die Entgeltfortzahlung des Arbeitgebers (§§ 3ff. EFZG) oder das Krankengeld der Krankenkasse (§§ 44) hinausgeht.
Rz. 17
Die Krankenkasse trifft eine Ermessensentscheidung über die Art und Weise ihrer Unterstützungsleistung. Dabei berücksichtigt sie die Erfolgsaussichten einer Schadensersatzforderung (Koch, in: jurisPK-SGB V, 2. Aufl. 2012, § 66). Schließlich ist zu prüfen, ob und ggf. in welcher Höhe ein Schadensersatzanspruch besteht, der über den durch die Leistungen des Arbeitgebers und der Krankenkasse gedeckten Schaden hinausgeht. Wenn kein Schadensersatzanspruch beim Versicherten verbleibt, dann ist die Unterstützung durch die Krankenkasse ausgeschlossen.
2.3 Versicherungsleistungen
Rz. 18
Die Unterstützungspflicht der Krankenkasse entsteht, wenn der Versicherte die Leistungen der Krankenkasse wegen der Folgen eines Behandlungsfehlers in Anspruch nimmt. Leistungen der Krankenkasse sind Dienst-, Sach- oder Geldleistungen (§ 2 Abs. 2 Satz 1). Dazu gehören auch Kostenbeteiligungen (z. B. § 27a Abs. 3 Satz 3) oder Kostenerstattungen (z. B. § 13).
2.4 Unterstützung durch die Krankenkasse
Rz. 19
Die Unterstützung ist dem Versicherten aufgrund eines entsprechenden Antrags (§ 19 Satz 1 SGB IV) oder von Amts wegen zu erteilen (BSG, Urteil v. 6.3.2003, B 4 RA 15/02 R). Die Krankenkasse wird von Amts wegen tätig, wenn sich aus einem konkreten Verwaltungskontakt ein Beratungsbedarf ergibt (BSG, Urteil v. 26.4.2005, B 5 RJ 6/04 R m. w. N.).
Rz. 20
Die Krankenkasse trifft über ihre Unterstützungsleistung eine Ermessensentscheidung und entscheidet damit, ob und in welchem Umfang sie tätig wird. Den Krankenkassen steht nur ein eingeschränktes Ermessen zu. Der Versicherte ist immer dann bei Behandlungsfehlern zu unterstützen, wenn nicht besondere Gründe dagegen sprechen.
Rz. 21
Die Krankenkasse ist berechtigt, Informationen zu geben, die Versicherten die Beweisführung beim Nachweis eines Behandlungsfehlers erleichtern. Zu diesen Informationen gehören u. a.
- Diagnose und Therapie,
- Ursachen des Behandlungsfehlers,
- mögliche Verursacher,
- vorliegende Gutachten, z. B. des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen, und
- Erkenntnisse aus der Verfolgung eigener Schadensersatzansprüche nach § 116 SGB X.
Rz. 22
Leistungserbringer sind verpflichtet, den Krankenkassen die erforderlichen Daten für die Verfolgung eines Schadensersatzanspruchs (einschließlich der Angaben über Ursachen und den möglichen Verursacher) mitzuteilen (§ 294a Abs. 1), Die Krankenkasse kann durch den Medizinischen Dienst prüfen lassen, ob ein Schaden aus Behandlungsfehlern entstanden ist (§ 275 Abs. 3 Nr. 4). Dieser ist befugt, die Patientenunterlagen einzusehen. Das Gutachten des Medizinischen Dienstes beschränkt sich auf den medizinischen Bereich. Die rechtliche Beurteilung erfolgt durch die Krankenkasse.
Rz. 23
Die Krankenkasse darf keine Geldmittel für die Rechtsverfolgung durch den Versicherten aufwenden (BT-Drs. 11/2237). Im Rahmen der Unterstützung führt die Krankenkasse weder den Prozess für den Versicherten noch beteilig...