3.1 Verfahren zur Feststellung der Mehrheitsgewerkschaft
Das BVerfG hat konkrete Vorgaben aufgestellt hinsichtlich des Verfahrens zur Feststellung der Mehrheitsgewerkschaft.
Zunächst seien die maßgeblichen gesetzlichen Regelungen dargestellt:
- Die Arbeitsgerichte sind zuständig für die Entscheidung über den nach § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG im Betrieb anwendbaren Tarifvertrag (§ 2a Abs. 1 Nr. 6 ArbGG).
- Insbesondere über die Zahl der in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder oder das Vertretensein einer Gewerkschaft in einem Betrieb kann Beweis auch durch die Vorlegung öffentlicher Urkunden angetreten werden (§ 58 ArbGG).
- Das Verfahren vor dem Arbeitsgericht wird auf Antrag einer Tarifvertragspartei eines kollidierenden Tarifvertrags eingeleitet (§ 99 Abs. 1 ArbGG).
Hierzu hat das BVerfG festgestellt (Rn. 198–199):
Die gerichtliche Feststellung der Mehrheitsverhältnisse im Beschlussverfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 6, § 99 ArbGG birgt die Gefahr, dass die Mitgliederstärke der Gewerkschaften im Betrieb gegenüber dem Arbeitgeber offen gelegt wird. Dies ist mit Rücksicht auf die in Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Parität zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeber (oben …) nach Möglichkeit zu vermeiden. Denn die Ungewissheit über die für die tatsächliche Durchsetzungskraft der Gewerkschaft wesentliche Mitgliederstärke (vgl. BVerfGE 93, 352 <358>) in einer konkreten Verhandlungssituation ist von besonderer Bedeutung dafür, dessen Verhandlungsbereitschaft zu fördern und zu einem angemessenen Interessenausgleich zu gelangen (vgl. BAG, Urteil vom 18.11.2014 – 1 AZR 257/13 –, juris, Rn. 30).
Die Fachgerichte haben dem Rechnung zu tragen. Sie müssen unter Nutzung der prozessrechtlichen Möglichkeiten eine Offenlegung der Mitgliederzahlen soweit möglich vermeiden. Mit dem in das Arbeitsgerichtsgesetz eingefügten § 58 Abs. 3 ArbGG eröffnet der Gesetzgeber jedenfalls die Möglichkeit, die namentliche Nennung der Gewerkschaftsmitglieder im Beschlussverfahren zu verhindern (vgl. BT-Drucks. 18/4062, S. 16). Notariell kann auch bescheinigt werden, wer die Mehrheit im Betrieb organisiert, um so die Offenlegung der konkreten Kampfstärke einer Gewerkschaft zu verhindern. Hierauf ist im Beschlussverfahren hinzuwirken. Wenn dies nicht in allen Fällen gelingt, ist das mit Blick auf das hier vom Gesetzgeber verfolgte Ziel insgesamt zumutbar.
Keine Offenlegung von Namen und Zahl der Gewerkschaftsmitglieder
Letztlich wird es also auch über das Tarifeinheitsgesetz nicht zu einer Offenlegung der Namen von Mitgliedern und/oder Mitgliederzahlen der konkurrierenden Gewerkschaften kommen. Der Notar wird i. d. R. nur bescheinigen, welche Gewerkschaft im Betrieb zahlenmäßig mehr Arbeitnehmer organisiert.
3.2 Die Beteiligungsrechte der Minderheitsgewerkschaft
Verfahrens- und Beteiligungsrechte der Minderheitsgewerkschaft in § 4a Abs. 5 TVG mindern die Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit durch die Verdrängung abgeschlossener Tarifverträge. So ist der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgebervereinigung nach § 4a Abs. 5 Satz 1 TVG verpflichtet, die Aufnahme von Tarifverhandlungen rechtzeitig und in geeigneter Weise im Betrieb bekannt zu geben. Zudem hat die nicht selbst verhandelnde, aber nach ihrer Satzung ebenfalls tarifzuständige Gewerkschaft nach § 4a Abs. 5 Satz 2 TVG einen Anspruch darauf, dem Arbeitgeber bzw. der Arbeitgebervereinigung ihre Vorstellungen mündlich vorzutragen. Dieses Vortragsrecht ist selbstständig einklagbar (vgl. BT-Drucks. 18/4062, S. 15).
Das BVerfG hat hierzu erklärt (Rn. 196):
Die Bekanntgabepflicht und das der betroffenen Gewerkschaft eingeräumte Vortragsrecht bei den Tarifverhandlungen mit einer anderen Gewerkschaft dienen ihrer Beteiligung und sichern so verfahrensrechtlich ihre Rechte aus Art. 9 Abs. 3 GG, die durch die mögliche Verdrängung nach § 4a Abs. 2 TVG bedroht sind. Zudem geben sie im Vorfeld von Tarifverhandlungen Gelegenheit, Tarifforderungen aufeinander abzustimmen und damit Tarifkollisionen autonom zu vermeiden (vgl. BT-Drucks. 18/4062, S. 15). Diese Verfahrenspositionen dürfen nicht lediglich als bloße Formalitäten oder schlichte Obliegenheiten behandelt werden. […] Die angegriffenen Bestimmungen des § 4a Abs. 5 TVG sind deshalb so auszulegen und anzuwenden, dass der Tatbestand einer nach § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG verdrängenden Tarifkollision nur erfüllt ist, wenn die Pflichten zur Bekanntgabe von Tarifverhandlungen und zur Anhörung nicht verletzt worden sind. Soweit es in der Begründung des Gesetzentwurfs heißt, die Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit stehe nicht unter dem Vorbehalt der Anhörung (BT-Drucks. 18/4062, S. 15), darf daraus kein gegenteiliger Schluss gezogen werden. Welche Anforderungen an eine wirksame Anhörung und Bekanntgabe nach § 4a Abs. 5 TVG zu stellen sind, ist von den Fachgerichten zu konkretisieren.
Bekanntmachung der Führung von Tarifverhandlungen, Anhörung der Minderheitsgewerkschaft
Der Tarifvertrag der Minderheitsgewerkschaft wird nur dann durch den Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft verdrängt, wenn die Aufnahme von Tarifverhandlungen ordnungsgemäß bekanntgegeben und die Minderheitsge...