Rz. 2
Die von § 242 BGB erfassten Fälle lassen sich kaum kategorisch umschreiben. Die dazu ergangene Rechtsprechung ist von einer Kasuistik mit kaum verallgemeinerungsfähigen Besonderheiten geprägt. Dem entspricht, dass das BAG stets betont, es lasse sich nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls entscheiden, welche Anforderungen sich aus Treu und Glauben im Einzelnen ergeben. Vereinzelt stützt sich das BAG auf die Formel des BVerfG, es dürfe "nicht das Recht des Stärkeren gelten", unter Bezugnahme auf BVerfG. Allerdings kommt ein Verstoß gegen Treu und Glauben durch eine Kündigung nicht selten in Fallkonstellationen in Betracht, die nicht durch ein Machtungleichgewicht im Arbeitsverhältnis gekennzeichnet sind, sodass die Durchsetzung eines "Rechts des Stärkeren" weder notwendige noch hinreichende Bedingung für die Beurteilung einer Kündigung als treuwidrig ist.
Rz. 3
§ 242 BGB gilt für Kündigungen (ordentliche, außerordentliche Kündigung, Beendigungs- und Änderungskündigung) sowie Arbeitsverhältnisse aller Art (unbefristete und befristete Arbeitsverhältnisse). Das BAG misst auch die Eigenkündigung des Arbeitnehmers an § 242 BGB: Unter Berufung auf § 242 BGB kann der Arbeitnehmer seine eigene Kündigung nicht deshalb widerrufen, weil ihm der Arbeitgeber vor Unterzeichnung der Kündigung keine Bedenkzeit eingeräumt hatte; § 242 BGB vermag einen derart schwerwiegenden Eingriff in die Privatautonomie, wie ihn die Gewährung eines gesetzlich nicht vorgesehenen Widerrufsrechts darstellen würde, nicht zu begründen. Das Gebot fairen Verhandelns, das bei dem Zustandekommen eines Aufhebungsvertrags beachtet werden muss, leitet das BAG aus § 241 Abs. 2 BGB her.
Rz. 4
Grds. ist § 242 BGB auf die Kündigung sowohl eines solchen Arbeitsverhältnisses anzuwenden, das dem allgemeinen Kündigungsschutz (§§ 1 bis 14 KSchG) unterliegt, als auch eines solchen, bei dem dies – etwa im Kleinbetrieb (§ 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG) oder während der Wartezeit (§ 1 Abs. 1 KSchG) – nicht der Fall ist. Problematisch ist die Reichweite des § 242 BGB in den beiden letztgenannten Fällen, denn insbesondere außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 1 ff. KSchG könnte die Kündigung bei Anwendung des § 242 BGB Maßstäben unterworfen werden, die denen der §§ 1 ff. KSchG entsprechen, obwohl der Gesetzgeber offenkundig gerade deren Ausschluss anordnet (§§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 Sätze 2, 3 KSchG; vgl. zur Bedeutung des § 242 BGB für die Kündigung im Kleinbetrieb Rz. 22 ff., für die Kündigung während der Wartezeit Rz. 7 f.).
Rz. 5
Nach ständiger Rechtsprechung des BAG gilt daher allgemein, dass die Vorschrift des § 242 BGB auf Kündigungen neben § 1 KSchG nur in beschränktem Umfang anwendbar ist: Das KSchG hat die Voraussetzungen und Wirkungen des Grundsatzes von Treu und Glauben konkretisiert und abschließend geregelt, soweit es um den Bestandsschutz und das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes geht. Eine Kündigung verstößt deshalb nur dann gegen § 242 BGB, wenn sie Treu und Glauben aus solchen Gründen verletzt, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind. Umstände, die im Rahmen des § 1 KSchG zu würdigen sind und die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt erscheinen lassen können, kommen als Verstöße gegen Treu und Glauben nicht in Betracht. Dabei ist im Rahmen der Generalklauseln der §§ 242 und 138 BGB der objektive Gehalt der Grundrechte zu berücksichtigen, um den Arbeitnehmer vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen. Für typische Tatbestände einer in diesem Sinne treuwidrigen Kündigung werden insbesondere ein widersprüchliches Verhalten des Arbeitgebers, der Ausspruch einer Kündigung zur Unzeit oder in ehrverletzender Form und eine Kündigung, die den Arbeitnehmer – außerhalb des besonderen Anwendungsbereichs des § 612a BGB – diskriminiert, gehalten (zu Einzelheiten s. Rz. 7 ff.). Diese Grundsätze gelten auch für eine dem allgemeinen Kündigungsschutz nicht unterfallende Änderungskündigung.