Cesare Vannucchi, Dr. Marcel Holthusen
Rz. 170
Die gesetzlichen Regelungen, die die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers zum Schutz des strukturell unterlegenen Arbeitnehmers einschränken, haben einseitig zwingende Wirkung. D. h., sie können allenfalls zum Vorteil, aber nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers abgeändert werden.
Danach ist jedenfalls ein Ausschluss oder eine Beschränkung des Kündigungsschutzes vor Ausspruch einer Kündigung – etwa im Arbeitsvertrag, in einer Betriebsvereinbarung oder in einem Tarifvertrag – unwirksam.
Rz. 171
Eine Regelung in einem Sozialplan, die eine Abfindung nur bei Klageverzicht vorsieht, ist unwirksam. Damit überschreiten die Betriebsparteien ihre Regelungsbefugnis und verstoßen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Der Zweck des Sozialplans ist in § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG gesetzlich festgelegt. Er soll dem Ausgleich oder der Milderung der mit der Betriebsänderung verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Nachteile dienen. Daher werden diejenigen Arbeitnehmer "funktionswidrig" und somit "gleichheitswidrig" behandelt, die wie ihre Kollegen aufgrund der Betriebsänderung ihren Arbeitsplatz verlieren, im Gegensatz zu den Kollegen die Kündigung aber nicht ungeprüft hinnehmen wollen.
Die Betriebsparteien können anlässlich einer Betriebsänderung jedoch zusätzlich zu einem Sozialplan in einer freiwilligen Betriebsvereinbarung nach § 88 BetrVG im Interesse des Arbeitgebers an alsbaldiger Planungssicherheit Leistungen davon abhängig machen, dass die Arbeitnehmer von der Erhebung einer Kündigungsschutzklage absehen. Dabei ist es i. d. R. nicht möglich, bestimmte Arbeitnehmergruppen von der Leistung auszuschließen.
Rz. 172
Eine Regelung über sog. absolute Kündigungsgründe, die eine Kündigung stets ohne Berücksichtigung der Umstände rechtfertigen sollen, verstößt gegen die gesetzliche Grundkonzeption. Sie gibt allerdings Aufschluss über die Einstellung der Parteien und kann daher vom Arbeitsgericht bei der Interessenabwägung berücksichtigt werden.
Rz. 173
Die Gefahr bei einem Verzicht auf den Kündigungsschutz liegt darin, dass das Recht des Arbeitgebers zur einseitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses erweitert wird und die genauen Umstände der späteren Kündigung im Voraus nicht unbedingt abschätzbar sind. Faktisch verzichtet der Arbeitnehmer auch auf den Kündigungsschutz, wenn er mit dem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag schließt. Diese Art von Verzicht ist aber für den Arbeitnehmer nicht so nachteilig, weil hier die konkrete Vertragsbeendigung von seinem Einverständnis abhängt und er beim Vertragsschluss auch Vorteile für sich aushandeln kann, wie z. B. eine Auslauffrist und/oder eine Abfindung (zu Einzelheiten zum Aufhebungsvertrag vgl. Rz. 65).
Rz. 174
Nach Zugang der Kündigung kann der Arbeitnehmer durchaus auf den Kündigungsschutz verzichten. Ihm drohen aber ggf. nachteilige sozialrechtliche Konsequenzen. Darauf muss der Arbeitgeber ihn nicht hinweisen.
Der Verzicht ist ein materiell-rechtlicher Vertrag, der nach §§ 133, 154 BGB auszulegen ist und auf den die Vorschriften des BGB über Willensmängel Anwendung finden. Es handelt sich weder um einen Erlassvertrag i. S. d. § 397 Abs. 1 BGB noch um ein negatives Schuldanerkenntnis i. S. d. § 397 Abs. 2 BGB, da kein schuldrechtlicher Anspruch betroffen ist.
Der wirksame Verzicht führt dazu, dass die Kündigungsschutzklage als unzulässig abgewiesen wird.
Beispiele
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie der Verzicht erklärt werden kann:
- durch einen Vertrag über den Klageverzicht,
- durch einen Vertrag über das Versprechen der Klagerücknahme,
- durch einen Vergleich,
- im Rahmen eines Abwicklungsvertrags,
- im Rahmen einer Ausgleichsquittung.
Rz. 175
Klageverzichtsvereinbarungen, die im unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem Ausspruch einer Kündigung getroffen werden ("Hiermit bestätige ich den Erhalt der obigen Kündigung und verzichte auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage."), sind Auflösungsverträge i. S. d. § 623 BGB und bedürfen daher der Schriftform. Allein die zeitliche Nähe rechtfertigt aber nicht die Annahme, Kündigung und Klageverzicht seien gemeinsam nur ein anderes Mittel, um das Arbeitsverhältnis in Wirklichkeit im gegenseitigen Einvernehmen zu lösen. Der Klageverzicht muss ausdrücklich erfolgen, denn da der Arbeitnehmer nicht gezwungen ist, auf die Kündigung überhaupt zu reagieren, kann sein Schweigen nicht als Klageverzicht gedeutet werden. Enthält eine zur Mehrfachverwendung vorformulierte Klausel einen Klageverzicht ohne jede arbeitgeberseitige Kompensation (etwa in Bezug auf den Beendigungszeitpunkt, die Beendigungsart, Zahlung einer Entlassungsentschädigung, Verzicht auf eigene Ersatzansprüche, etc.), ist die Klausel unangemessen i. S. v. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Das gilt auch dann, wenn der Klageverzicht Hauptabrede eines Vertrages ist, der innerhalb von 3 Wochen nach Zugang der Kündigung geschlossen wird, denn dann weicht die Abrede von dem gesetzlichen Leitb...