Cesare Vannucchi, Dr. Marcel Holthusen
2.1.1 Begriff
Rz. 318
Eine Kündigung kann nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG dann sozial gerechtfertigt sein, wenn sie durch Gründe, die im Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG). Der Wortlaut gibt nur wenig Anhaltspunkte, um welche Gründe es sich hier handelt.
Rz. 319
Die Abgrenzung zur aus dringenden betrieblichen Gründen bedingten Kündigung besteht darin, dass es bei der betriebsbedingten Kündigung um Gründe geht, die aus der Sphäre des Arbeitgebers stammen, während bei der verhaltensbedingten Kündigung die Gründe der Sphäre des Arbeitnehmers entspringen. Im Allgemeinen wird bei der verhaltensbedingten Kündigung ein Verstoß des Arbeitnehmers gegen Pflichten aus dem Arbeitsvertrag vorausgesetzt.
Beispiel
Wird ein Auftrag nicht neu erteilt und fällt damit mangels Arbeitskräftebedarf der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers weg (Sphäre des Arbeitgebers), kann ggf. eine betriebsbedingte Kündigung gerechtfertigt sein. Wird dagegen ein Auftrag nicht erfüllt, weil der Arbeitnehmer unentschuldigt nicht zur Arbeit erscheint und damit seine benötigte Arbeitskraft nicht zur Verfügung stellt (Sphäre des Arbeitnehmers), kann ggf. eine verhaltensbedingte Kündigung gerechtfertigt sein.
Rz. 320
Die nicht immer einfache Abgrenzung zur personenbedingten Kündigung besteht darin, dass es bei der verhaltensbedingten Kündigung um steuerbares Verhalten geht, der Arbeitnehmer also seine arbeitsvertraglich geschuldete Leistung eigentlich erbringen könnte, während bei der personenbedingten Kündigung eine – nicht steuerbare – Fähigkeit oder Eignung fehlt, der Arbeitnehmer sich also nicht anders verhalten kann (selbst wenn er wollte) und deshalb seine arbeitsvertraglich geschuldete Leistung nicht erbringen kann.
Beispiel
Erscheint ein Arbeitnehmer nicht zur Arbeit, weil er erkrankt und psychisch oder physisch nicht in der Lage ist, seine arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen, kann ggf. eine personenbedingte Kündigung ausgesprochen werden. Erscheint ein Arbeitnehmer nicht zur Arbeit, weil er keine Lust hat, kann eine verhaltensbedingte Kündigung gerechtfertigt sein.
Rz. 321
Voraussetzung der verhaltensbedingten Kündigung ist ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Arbeitnehmers, also ein vorsätzliches oder fahrlässiges Tun oder Unterlassen, welches nicht gerechtfertigt ist (Pflichtwidrigkeit).
Rz. 322
Wichtig für das Verständnis ist der Umstand, dass die verhaltensbedingte Kündigung kein präventives Mittel ist. Zweck der Kündigung ist also nicht die Sanktion für eine begangene Vertragspflichtverletzung, sondern die Vermeidung des Risikos weiterer erheblicher Pflichtverletzungen (Prognoseprinzip). Die vergangene Pflichtverletzung muss sich deshalb noch in der Zukunft belastend auswirken. Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde auch zukünftig den Arbeitsvertrag erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Für die Rechtfertigung der Kündigung kommt es darauf an, ob dem Kündigenden die Weiterbeschäftigung aus Sicht eines objektiven und verständigen Betrachters noch zumutbar ist.
Rz. 323
Gesetz und Rechtsprechung kennen keine absoluten Kündigungsgründe, die in jedem Fall eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen. Zunächst sind immer die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Nach der Prüfung der Pflichtwidrigkeit und der negativen Prognose ist stets noch eine Abwägung zwischen den Arbeitnehmer- und den Arbeitgeberinteressen vorzunehmen. Ist also der Kündigungsgrund dem Grunde nach geeignet und besteht Wiederholungsgefahr, bedarf es stets noch einer umfassenden, auf den Einzelfall bezogenen Prüfung und Interessenabwägung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht.
2.1.2 Arten
2.1.2.1 Tatkündigung
Rz. 324
Die Rechtfertigung einer Kündigung wegen einer erwiesenen Pflichtverletzung – Tatkündigung – hängt davon ab, ob im Kündigungszeitpunkt objektiv Tatsachen vorlagen, die zu der Annahme berechtigen, dem Kündigenden sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses – im Fall einer außerordentlichen Kündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – unzumutbar gewesen. Bei der Tatkündigung ist für den Kündigungsentschluss maßgebend, dass der Arbeitnehmer nach der Überzeugung des Arbeitgebers eine Pflichtwidrigkeit tatsächlich begangen hat und dem Arbeitgeber aus diesem Grund die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar ist. Bei einer Tatkündigung muss das Gericht davon überzeugt sein, der Arbeitnehmer habe eine kündigungsrelevante Pflichtverletzung begangen. Die diese Würdigung tragenden (Indiz-)Tatsachen müssen entweder unstreitig oder bewiesen sein.