Cesare Vannucchi, Dr. Marcel Holthusen
2.1.2.1 Tatkündigung
Rz. 324
Die Rechtfertigung einer Kündigung wegen einer erwiesenen Pflichtverletzung – Tatkündigung – hängt davon ab, ob im Kündigungszeitpunkt objektiv Tatsachen vorlagen, die zu der Annahme berechtigen, dem Kündigenden sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses – im Fall einer außerordentlichen Kündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – unzumutbar gewesen. Bei der Tatkündigung ist für den Kündigungsentschluss maßgebend, dass der Arbeitnehmer nach der Überzeugung des Arbeitgebers eine Pflichtwidrigkeit tatsächlich begangen hat und dem Arbeitgeber aus diesem Grund die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar ist. Bei einer Tatkündigung muss das Gericht davon überzeugt sein, der Arbeitnehmer habe eine kündigungsrelevante Pflichtverletzung begangen. Die diese Würdigung tragenden (Indiz-)Tatsachen müssen entweder unstreitig oder bewiesen sein.
2.1.2.2 Verdachtskündigung
Rz. 325
Der Verdacht einer Pflichtverletzung stellt gegenüber dem verhaltensbezogenen Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Pflichtverletzung tatsächlich begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Kündigungsentschluss bei der Verdachtskündigung ist der auf objektive Tatsachen gegründete starke Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens. Der Arbeitgeber begründet also seine Kündigung damit, gerade der Verdacht eines – nicht erwiesenen – vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört. Der durch den Verdacht bewirkte Verlust der Vertrauenswürdigkeit kann einen Eignungsmangel begründen, der damit einen Kündigungsgrund in der Person des Arbeitnehmers darstellt, auch wenn die den Verdacht und den daraus folgenden Vertrauensverlust begründenden Umstände nicht unmittelbar mit seiner Person zusammenhängen müssen.
Beispiel
Anlässlich einer Stichprobenkontrolle stellt der Arbeitgeber fest, dass der Arbeitnehmer mehrfach gegen die Verpflichtung verstößt, verkaufte Ware zu bonieren. Eine unerlaubte Geldentnahme des Arbeitnehmers kann er nicht positiv feststellen. Bei der Kassenabrechnung ergibt sich allerdings kein Überschuss. Hieraus zieht er den dringenden Verdacht, dass der Arbeitnehmer eingenommene Gelder unterschlägt.
Rz. 326
Voraussetzung für die Rechtswirksamkeit einer Verdachtskündigung ist, dass der Verdacht auf konkrete Tatsachen gestützt ist, welche sich aus Umständen ergeben, die so beschaffen sind, dass sie einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung veranlassen können. Es kommt nicht darauf an, dass eine Tat nachgewiesen werden kann, sondern darauf, ob die vom Arbeitgeber zur Begründung des Verdachts vorgetragenen Tatsachen vorliegen und den Verdacht rechtfertigen.
Der Verdacht muss dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Spekulationen oder Verdächtigungen reichen nicht aus. An die Darlegung und die Qualität der schwerwiegenden Verdachtsmomente sind deswegen besonders strenge Anforderungen zu stellen, weil bei einer Verdachtskündigung immer die Gefahr besteht, dass ein "Unschuldiger" betroffen ist.
Zur Wirksamkeit der Verdachtskündigung ist daher erforderlich, dass der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen hat, wobei sich der Umfang der Nachforschungspflichten nach den Umständen des Einzelfalls richtet. Für die außerordentliche Kündigung gilt aber in Bezug auf die 2-Wochen Frist nach § 626 Abs. 2 BGB, dass der Arbeitgeber aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführen muss, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts und der Beweismittel verschaffen sollen. Dabei ist fallbezogen zu beurteilen, ob diese Ermittlungen hinreichend zügig betrieben wurden. Sind diese abgeschlossen und hat der Arbeitgeber hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt, beginnt der Lauf der Ausschlussfrist ungeachtet dessen, ob die Ermittlungsmaßnahmen tatsächlich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder überflüssig waren. Der Arbeitgeber kann sich nicht auf die Wahrung der 2-Wochen-Frist berufen, wenn er zielgerichtet verhindert hat, dass eine für ihn kündigungsberechtigte Person bereits zu einem früheren Zeitpunkt Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erlangt hat oder wenn sonst eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ergibt, dass sich die späte Kenntniserlangung einer kündigungsberechtigten Person als unredlich darstellt.
Rz. 327
Eine Verdachtskündigung kann zwar als ordentliche oder außerordentliche Kündigung ausgesprochen werden. Sie ist aber auch als ordentliche Kündigung sozial nur gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten. Dies gilt einerseits für die Anfor...