Cesare Vannucchi, Dr. Marcel Holthusen
Rz. 551
Das Erreichen eines bestimmten Lebensalters allein stellt keinen Grund dar, ein Arbeitsverhältnis personenbedingt wirksam kündigen zu können.
§ 8 Abs. 1 AltTZG regelt zudem, dass die Möglichkeit des Arbeitnehmers zur Inanspruchnahme von Altersteilzeit nicht als eine Tatsache gilt, die eine Kündigung sozial rechtfertigt oder bei der sozialen Auswahl zum Nachteil des Arbeitnehmers berücksichtigt werden kann.
Rz. 552
Das Erreichen der Regelaltersgrenze ist nicht nur für sich kein personenbedingter Kündigungsgrund, sondern begründet auch keine Vermutung einer Minderung der Leistungsfähigkeit. Die Frage des Alters ist nicht allein eine Frage des Lebensalters.
In der höchstrichterlichen Rechtsprechung wird aber davon ausgegangen, dass die altersbedingte Abnahme der Leistungsfähigkeit ein schleichender Prozess ist, der individuell verschieden schnell vor sich geht und sich je nach Tätigkeit unterschiedlich auswirkt. Die Feststellung, wann der Arbeitnehmer in vorgerücktem Lebensalter seine vertraglichen Pflichten aus altersbedingten Gründen nicht mehr ausreichend erfüllen kann, ist im Einzelfall schwierig.
Rz. 553
In der neueren Rechtsprechung des BAG wird dagegen infrage gestellt, ob ein Erfahrungssatz dahingehend besteht, dass es älteren Arbeitnehmern wegen sinkender Flexibilität regelmäßig schwerer fällt, auf Veränderungen zu reagieren, z. B. nach einer Versetzung unter veränderten Umständen zu arbeiten. Es bleibt zwar dabei, dass der Schutz des Arbeitnehmers vor altersbedingt steigenden Belastungen ein legitimes sozialpolitisches Ziel i. S. d. § 10 Satz 1 AGG bzw. der Richtlinie 2000/78/EG darstellt. Aber auch die Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen kann Altersgrenzenregelungen rechtfertigen. Die zugrunde liegenden Tatsachen müssen jedoch festgestellt und nicht nur als angebliche Erfahrungswerte behauptet werden.
Rz. 554
Die Tatsache, dass das Erreichen eines bestimmten Lebensalters für sich genommen keinen personenbedingten Grund darstellt, wird auch durch die Regelung des § 41 Satz 1 SGB VI zum Ausdruck gebracht, wonach der Anspruch des Versicherten auf eine Altersrente nicht als ein Grund anzusehen ist, der die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses bedingen kann. Zusätzlich gilt nach § 41 Satz 2 SGB VI eine Vereinbarung, die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Kündigung zu einem Zeitpunkt vorsieht, zu dem der Arbeitnehmer vor Erreichen der jeweiligen Regelaltersgrenze eine Altersrente beantragen kann, als auf das Erreichen der jeweiligen Regelaltersgrenze abgeschlossen. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Vereinbarung innerhalb der letzten 3 Jahre vor diesem Zeitpunkt abgeschlossen oder vom Arbeitnehmer bestätigt worden ist.
Rz. 555
In der Vertragsgestaltung kann dem Verbot des § 41 SGB VI, allein wegen des Erreichens der Altersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung zu kündigen, Rechnung getragen werden, indem eine Befristung des Arbeitsverhältnisses auf das Erreichen des Rentenalters vereinbart wird. Eine in einem Tarifvertrag enthaltene Befristung des Arbeitsvertrags auf den Zeitpunkt des Erreichens des Regelrentenalters ist sowohl sachlich gerechtfertigt nach § 14 Abs. 1 TzBfG als auch unionsrechtlich unbedenklich mit Blick auf die Richtlinie 2000/78/EG, wenn der Arbeitnehmer nach dem Vertragsinhalt und der Vertragsdauer eine Altersversorgung in der gesetzlichen Altersversorgung erwerben kann oder bei Vertragsschluss bereits die für den Bezug einer Altersrente erforderliche rentenrechtliche Wartezeit erfüllt hat.
Rz. 556
Fragen der Altersdiskriminierung aus unionsrechtlicher Sicht stellen sich zwar grds. erst dann, wenn auch ein gemeinschaftsrechtlicher Bezug vorliegt. Nach den Maßstäben der Urteile "Mangold" sowie "Kücükdeveci" ist jedoch von den nationalen Gerichten zu beachten, dass ein Verbot der Diskriminierung wegen des Alters als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts anzusehen ist (Art. 6 Abs. 1 EUV i. V. m. Art. 21 Abs. 1 Charta der Grundrechte der Europäischen Union), also durch die Richtlinie 2000/78 nur konkretisiert wird.
Nach § 2 Abs. 4 AGG gelten für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz und nicht die Bestimmungen des AGG. Die Frage, ob diese Regelung im Einklang mit den unionsrechtlichen Antidiskriminierungsvorschriften steht, hat das BAG dahingehend beantwortet, dass die Diskriminierungsverbote der §§ 1–10 AGG im Rahmen des Kündigungsschutzes nach dem KSchG Anwendung finden. In jedem Fall genügt es nicht, dass der gekündigte Arbeitnehmer ein Diskriminierungsmerkmal in seiner Person verwirklicht (etwa Schwerbehinderung, Lebensalter und Geschlecht), vielmehr muss ein Kausalzusammenhang zwischen einer Benachteiligung und dem Merkmal vorliegen.