1.1 Übersicht über die gesetzliche Regelung
Rz. 1
In den §§ 112 und 112a BetrVG sind der Interessenausgleich und der Sozialplan im Fall von Betriebsänderungen mit wesentlichen Nachteilen für die Belegschaft geregelt. Während in § 112 BetrVG das Zustandekommen und der Inhalt von Interessenausgleich und Sozialplan normiert sind, statuiert § 112a BetrVG weitere Voraussetzungen für die Erzwingbarkeit eines Sozialplans, wenn die Betriebsänderung sich in einem reinen Personalabbau erschöpft oder wenn sie in einem neu gegründeten Unternehmen stattfindet. Der Interessenausgleich behandelt die Durchführung der geplanten Betriebsänderung, der Sozialplan die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die dadurch für die Arbeitnehmer entstehen. Beide sind voneinander zu unterscheiden: sie haben unterschiedliche Regelungen zum Inhalt und ihre Durchsetzbarkeit im Streitfall ist unterschiedlich geregelt.
Beide Normen regeln aber nicht, wann eine Betriebsänderung vorliegt und wann folglich Verhandlungen über einen Interessenausgleich und eventuell auch über einen Sozialplan stattzufinden haben. Dies ergibt sich vielmehr aus § 111 BetrVG, der die Betriebsänderung definiert und die Unterrichtungs- und Beratungspflicht des Arbeitgebers fixiert.
Wichtige Ergänzungen dieses Regelungskomplexes finden sich in §§ 110, 111 SGB III sowie in § 1 Abs. 5 KSchG. In den genannten Bestimmungen des SGB III sind verschiedene Fördermöglichkeiten durch die Bundesagentur für Arbeit vorgesehen, insbesondere auch sogenannte Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften (BQG) in § 111 SGB III. § 1 Abs. 5 KSchG schränkt die Überprüfbarkeit einer betriebsbedingten Kündigung im Kündigungsschutzprozess ein, wenn der gekündigte Arbeitnehmer in eine Namensliste im Rahmen eines Interessenausgleichs aufgenommen wurde (§ 1 Abs. 5 KSchG).
Für die Bedeutung des Interessenausgleichs und des taktischen Vorgehens der Beteiligten ist wichtig, § 113 BetrVG in den Blick zu nehmen. Er regelt in § 113 Abs. 3 BetrVG die Sanktion, wenn der Arbeitgeber mit der Umsetzung der Betriebsänderung beginnt, ohne vorher einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben. Die Folge ist, dass die Arbeitnehmer dann Ansprüche auf Abfindungen erwerben, die von den Gerichten in der Regel deutlich höher als Sozialplanabfindungen festgesetzt werden (bis zu einem Gehalt pro Jahr Betriebszugehörigkeit). Daher hat gerade der Arbeitgeber ein eigenes erhebliches Interesse daran, dass die Verhandlungen über den Interessenausgleich zügig und korrekt geführt werden, während der Betriebsrat durch Verzögerungen dieser Verhandlungen versuchen wird, die Umsetzung der Maßnahme, insbesondere den Ausspruch von Kündigungen zu verzögern, wenigstens aber im Wege eines "Deals" für die zügige Abwicklung des Interessenausgleichs höhere Abfindungen im Rahmen des zu vereinbarenden Sozialplan zu erhalten.
1.2 Übersicht über das Verfahren
Rz. 2
Plant der Arbeitgeber eine Betriebsänderung, so kann er die ersten Planungsschritte zunächst intern vollziehen. Vor der definitiven Festlegung und der Umsetzung der Maßnahme hat er jedoch nach § 111 BetrVG den Betriebsrat umfassend über das Vorhaben zu informieren. Das Gesetz sieht weitere Informationspflichten vor (weiter dazu Rz. 136). Insbesondere muss der Arbeitgeber den Wirtschaftsausschuss nach § 106 Abs. 1 und Abs. 3 BetrVG und gegebenenfalls auch den Sprecherausschuss der leitenden Angestellten nach § 32 Abs. 2 SprAuG (Sprecherausschussgesetz) informieren und bei Massenentlassungen auch das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG durchführen. Regelmäßig kann die Unternehmensleitung in Kapitalgesellschaften eine größere Betriebsänderung auch nicht ohne Beschluss des Aufsichtsgremiums fassen, sodass beispielsweise in Aktiengesellschaften auch der Aufsichtsrat zu informieren ist und über die Angelegenheit zu beschließen hat. Auch ohne gesetzliche Regelung empfiehlt sich ferner die Information der betroffenen Arbeitnehmer.
Nach der Information hat der Arbeitgeber die Betriebsänderung mit dem Betriebsrat zu beraten. "Beratung" bedeutet, dass über einen Interessenausgleich und über einen Sozialplan verhandelt wird. Nach der gesetzlichen Konzeption sollte die Einigung über den Interessenausgleich den Verhandlungen und der Einigung über den Sozialplan vorausgehen. In der Praxis verknüpft aber insbesondere der Betriebsrat häufig beide Beratungsgegenstände. Dies ist zulässig, auch wenn der Betriebsrat damit den Arbeitgeber und Druck setzen will und kann, höhere Mittel für den Sozialplan zur Verfügung zu stellen, weil der Arbeitgeber im Hinblick auf die Sanktion des § 113 Abs. 3 BetrVG faktisch mit der Betriebsänderung vor der Vereinbarung eines Interessenausgleichs nicht beginnen kann. In der Fachliteratur wird teilweise vertreten, der Arbeitgeber könne mit der Umsetzung der Maßnahme beginnen, wenn der Betriebsrat die Zustimmung zum Interessenausgleich nur deswegen verweigert, um höhere Abfindungen zu erzielen. Für die Praxis ist vor einem solchen Vorgehen zu warnen, weil die Auffassung nicht durch Rechtsprechung gedeckt ist un...