9.1 Allgemeines
Rz. 131
Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG betrifft die Sachvorschriften des Gesundheitsschutzes, also Regelungen, die die Arbeit selbst im Sinne der Verhütung von Arbeitsunfällen und Gesundheitsschädigungen gestalten.
Unfallverhütungsvorschriften sind die Vorschriften, die nach § 15 SGB VII von den Berufsgenossenschaften erlassen werden; sie bedürfen der Genehmigung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (§ 15 Abs. 4 SGB VII). Sie sind in der Anlage zum Unfallverhütungsbericht der Bundesregierung zusammengestellt. Besondere Bedeutung hat vor allem die von den gewerblichen Berufsgenossenschaften im Wesentlichen einheitlich erlassene Unfallverhütungsvorschrift "Allgemeine Vorschriften" (VBG 1). Dem Lärmschutz dient die Unfallverhütungsvorschrift "Lärm" (VBG 121), dem Umgang mit natürlichen und genetisch veränderten biologischen Arbeitsstoffen die Unfallverhütungsvorschrift "Biotechnologie" (VBG 102) und dem Schutz vor Gefahren der Kernenergie und den schädlichen Auswirkungen ionisierender Strahlen neben dem Atomgesetz, der StrahlenschutzVO und der RöntgenVO die Unfallverhütungsvorschrift "Kernkraftwerke" (VBG 30).
§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG befasst sich nicht schlechthin mit allen Regelungen des "Arbeitsschutzes". Der Gesetzgeber kennt den wesentlich weiter gefassten Begriff des "Arbeitsschutzes" durchaus, wie § 89 BetrVG zeigt. Er hat das Mitbestimmungsrecht also bewusst auf die Sachvorschriften des Gesundheitsschutzes beschränkt. Weiter gefasste und auf den Arbeitsschutz allgemein bezogene Mitwirkungsrechte finden sich in § 89 BetrVG und lassen sich aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ableiten.
Der Betriebsrat hat bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen, wenn der Arbeitgeber diese zwar aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Rahmenvorschrift zu treffen hat, ihm aber bei der Gestaltung Handlungsspielräume verbleiben. Tarifverträge gehören regelmäßig nicht zu den öffentlich-rechtlichen Rahmenvorschriften i. S. d. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG und lösen daher kein Mitbestimmungsrecht aus (z. B. bei Besetzungsregeln).
9.2 Tatbestandsvoraussetzungen
Rz. 132
Voraussetzung der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ist zunächst, dass eine ausfüllungsbedürftige Rahmenvorschrift zur Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten bzw. über den Gesundheitsschutz besteht. Die Rahmenvorschrift muss dem Arbeitgeber einen Regelungsspielraum, d. h. die Auswahl unter mehreren möglichen Regelungen zur Erreichung des Sicherheitsziels lassen. Dabei ist zu beachten, dass weitgefasste Tatbestände häufig durch speziellere Verordnungen oder ähnliche öffentlich-rechtliche Bestimmungen sehr genau konkretisiert werden. Es ist daher immer im Einzelfall zu prüfen, ob im Zusammenspiel der gesetzlichen Vorschriften wirklich noch ein Regelungsspielraum besteht oder letztlich nur noch die Möglichkeit bleibt, die gesetzlichen Vorgaben zu vollziehen. Im letzteren Fall fehlt es nicht nur an der Rahmenvorschrift; vielmehr ist nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG ohnehin kein Platz für die Mitbestimmung, soweit gesetzliche Regelungen bestimmte Fragen abschließend entscheiden. Das Bundesarbeitsgericht formuliert das so: "Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG setzt eine Handlungspflicht des Arbeitgebers voraus, die aus Vorschriften des Arbeits- und Gesundheitsschutzes folgt und die wegen Fehlens einer zwingenden Vorgabe einer konkreten betrieblichen Regelung bedarf."
Kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG besteht, wenn der Arbeitgeber beabsichtigt, eine Mobilfunkantenne auf dem Dach des Betriebsgebäudes zu installieren. Das Mitbestimmungsrecht greift erst dann ein, wenn der Arbeitgeber Maßnahmen des Gesundheitsschutzes aufgrund einer Rechtsvorschrift aktiv trifft oder zu treffen hat, nicht hingegen, wenn er eine Handlungspflicht bestreitet, weil er eine gesundheitliche Beeinträchtigung nicht sieht. Dementsprechend bleibt die Installation der Dachantenne mitbestimmungsfrei. Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechte aus den §§ 90, 91 BetrVG wurden in dem Fall auch abgelehnt haben.
Rz. 133
Als "gesetzliche" Rahmenregelung kommen grundsätzlich förmliche Gesetze, Rechtsverordnungen und die von den Berufsgenossenschaften erlassenen Unfallverhütungsvorschriften in Betracht. Keine "gesetzlichen Vorschriften" sind indes die arbeitsschutzrechtlichen EG-Richtlinien. Sie können jedoch mittelbare Auswirkungen haben, wenn nationale arbeitsschutzrechtliche Vorschriften richtlinienkonform auszulegen sind. Keine Rechtsnormen sind im übrigen DIN-Normen, GS-Standards sowie die allgemeinen Verwaltungsvorschriften der Arbeitsschutzbehörden oder Durchführungsanweisungen, Richtlinien, Sicherheitsregeln oder Merkblätter der Berufsgenossenschaften. Sie können allerdings einer sachgerechten inhaltlichen Ausfüllung der Rahmenvorschriften dienen. Der Arbeitgeber kann sich bei Erfüllung de...