BAG, Urteil v. 26.10.2016, 5 AZR 168/16 u. a.
Amtl. Leitsätze
1. Das Umkleiden ist Teil der vom Arbeitnehmer geschuldeten und ihm zu vergütenden Arbeitszeit, wenn der Arbeitgeber das Tragen einer bestimmten Kleidung vorschreibt, die im Betrieb an- und abgelegt werden muss.
2. Steht fest (§ 286 ZPO), dass Umkleide- und Wegezeiten auf Veranlassung des Arbeitgebers entstanden sind, kann aber der Arbeitnehmer seiner Darlegungs- oder Beweislast für den zeitlichen Umfang, in dem diese erforderlich waren, nicht in jeder Hinsicht genügen, darf das Gericht die erforderlichen Umkleide- und damit verbundenen Wegezeiten nach § 287 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ZPO schätzen.
Sachverhalt
Der Kläger ist bei der nicht tarifgebundenen Beklagten, die technische und handwerkliche Serviceleistungen erbringt, beschäftigt. Er wird in der Lebensmittelproduktion eingesetzt. Laut seines Arbeitsvertrages ist er verpflichtet, "den Dienst täglich mit sauberer und vollständiger Dienstkleidung anzutreten und zu erfüllen. Die Bedienung der Zeiterfassungsanlage, d. h. das An- und Abstempeln hat ausschließlich persönlich und zwar immer in einwandfreier Dienstkleidung zu erfolgen. Die Wegezeiten zu bzw. von den Stempeluhren oder Pausenräumen sind leistungsentgeltfrei." Die Arbeitskleidung wird von der Beklagten gestellt. Sie darf aufgrund der geltenden Hygienevorschriften nicht mit nach Hause genommen werden und ist im Betrieb an- und abzulegen, wozu der Kläger nach Betreten des Betriebsgeländes die Arbeitskleidung an einer Ausgabestelle abzuholen hat, sich dann in einem Umkleideraum umziehen und anschließend im Bereich der Pforte an einer 1. Stempeluhr, die dazu dient, die Anwesenheit im Betrieb zu registrieren, abstempeln muss. Im Anschluss an diesen Vorgang muss er sich zum Betriebsgebäude begeben, um dort an einer 2. Stempeluhr erneut zu stempeln. Nach Schichtende erfolgt der Vorgang in umgekehrter Folge.
Der Kläger macht nun für den Zeitraum vom 1.1.2011 bis zum 31.12.2014 für 737 Arbeitstage die mit dem An- und Ablegen der Arbeitskleidung verbundenen Umkleide- und innerbetrieblichen Wegezeiten geltend. Er gab hierzu an, arbeitstäglich 36 Minuten benötigt zu haben.
Die Entscheidung
Die Klage hatte teilweise Erfolg. Dem Kläger wurde das Entgelt für den streitgegenständlichen Zeitraum für arbeitstäglich 27 Minuten zugesprochen.
Das Gericht begründetet dies mit § 611 BGB, wonach der Kläger einen Anspruch auf Vergütung der Zeit hat, die er unter Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit benötigt, um sich umzukleiden und die damit verbundenen Wege zwischen Ausgabestelle und 2. Stempeluhr zurückzulegen; denn er hat mit dem An- und Ablegen der Arbeitskleidung und dem Zurücklegen der damit verbundenen innerbetrieblichen Wege eine Arbeitsleistung erbracht, die als Teil der versprochenen Dienste vergütungspflichtig ist. Hierzu führte das Gericht aus, dass nach ständiger Rechtsprechung zur geschuldeten Arbeitsleistung auch das Umkleiden und Zurücklegen der hiermit verbundenen innerbetrieblichen Wege gehören, "wenn der Arbeitgeber das Tragen einer bestimmten Kleidung vorschreibt, die im Betrieb an- und abgelegt werden muss, und er das Umkleiden nicht am Arbeitsplatz ermöglicht, sondern dafür eine vom Arbeitsplatz getrennte Umkleidestelle einrichtet". Im vorliegenden Fall, so das BAG, ergebe sich die Fremdnützigkeit aus der Weisung des Arbeitgebers, die Arbeitskleidung erst im Betrieb anzulegen und sich dort an einer zwingend vorgegebenen, vom Arbeitsplatz getrennten Umkleidestelle umzuziehen.
Auch war vorliegend die Vergütungspflicht nicht durch die arbeitsvertragliche Regelung abbedungen worden; denn die Auslegung ergab, dass sich die Regelung des Arbeitsvertrags nur auf Leistungsentgelte und nicht auf den dem Kläger zugesagten Stundenlohn bezog.
Nach Auffassung des BAG haben die Vorinstanzen den zeitlichen Umfang der vergütungspflichtigen Umkleide- und Wegezeit in Höhe von 27 Minuten rechtsfehlerfrei unter Anwendung von § 287 Abs. 2 ZPO ermittelt.
Hierzu führte das Gericht aus, dass vergütungspflichtig die Zeit sei, die für das An- und Ablegen der Arbeitskleidung und das Zurücklegen der damit verbundenen innerbetrieblichen Wege erforderlich sei. Nach ständiger Rechtsprechung ist zur Ermittlung der Zeitspanne ein modifizierter subjektiver Maßstab anzulegen, d. h. der Arbeitnehmer darf seine Leistungspflicht nicht frei selbst bestimmen, sondern muss unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeiten, sodass "erforderlich" nur die Zeit sei, die der einzelne Arbeitnehmer für das Umkleiden und den Weg zur und von der Umkleidestelle im Rahmen der objektiven Gegebenheiten unter Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit benötige. Hierbei seien zudem die Variablen des Umkleidevorgangs zu berücksichtigen wie z. B. notwendige Wartezeiten oder jahreszeitabhängige Bekleidung. Kann ein Arbeitnehmer hierfür seiner Darlegungs- oder Beweislast nicht in jeder Hinsicht genügen, darf das Gericht die erforderlichen Umk...