LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.4.2022, 7 Sa 106/22
Leitsätze (amtlich)
1. Das Direktionsrecht des Arbeitgebers nach § 106 GewO beinhaltet auch die Anordnung, in bestimmten Situationen zum Gesundheitsschutz Masken zu tragen.
2. Im Vergütungsprozess ist der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass es ihm aus gesundheitlichen Gründen unzumutbar ist, eine Maske zu tragen. Ein ärztliches Attest erbringt keinen Anscheinsbeweis.
Sachverhalt
Aufgrund der Corona-Pandemie führte die Beklagte, ein Unternehmen, das im Schichtbetrieb Kakaobutter herstellt, im Oktober 2020 auf Grundlage ihres Direktionsrechts das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes ein, wonach die Mitarbeiter ab dem 7.10.2020 innerhalb des Firmengebäudes in allen öffentlichen Bereichen, beim Verlassen des jeweiligen Arbeitsbereichs und überall dort, wo der Mindestabstand von 1,5 m nicht eingehalten werden konnte, einen Mund-Nasen-Schutz tragen sollten. Der Kläger, der als "Schichtleiter Produktion" bei der Beklagten beschäftigt war, erhielt zur Umsetzung dieser Maßnahme am 6.10.2020 einen Karton mit Mund-Nasen-Bedeckungen, die er während seiner Schicht im Bedarfsfall an Mitarbeiter und externe Arbeitnehmer übergeben sollte. Allerdings warf er diesen Karton mit den Worten "Scheiß Masken" in einen Mülleimer und entleerte diesen später im Restmüllcontainer. Zudem übergab er der Beklagten am 7.10.2020 ein ärztliches Attest, nachdem ihm "aus medizinischer Sicht" dringend vom Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes abgeraten wurde. In einem weiteren Attest vom 8.10.2020 bescheinigte ihm dieselbe Ärztin, dass es ihm "aus hausärztlicher Sicht und medizinischen Gründen unzumutbar" sei, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Am 12.10.2020 ließ der Kläger der Beklagten durch ein anwaltliches Schreiben mitteilen, dass er zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes nicht verpflichtet und die arbeitgeberseitige Weisung unzulässig sei.
Die Beklagte setzte den Kläger daraufhin, da er auch die angebotene Möglichkeit des Tragens eines Gesichtsvisiers ablehnte, nicht mehr ein. Zudem zahlte sie auch keine Vergütung.
Hiergegen erhob der Kläger Klage. Er macht Vergütungsansprüche für die Monate November 2020 bis April 2021 geltend. Er brachte hierbei vor, dass die Maßnahme ein Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht sei. Zudem leide er an einer Lungenerkrankung; dies erschwere das dauerhafte Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes. Des Weiteren sei es mittlerweile anerkannt, dass auch das Tragen einer medizinischen Maske eine Infektion mit dem Coronavirus nicht verhindern könne.
Die Entscheidung
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Das LAG entschied, dass dem Kläger weder aus dem Arbeitsvertrag i. V. m. § 611a BGB noch aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges gem. §§ 293ff., 615 BGB der geltend gemachte Vergütungsanspruch zustehe; denn der Kläger hatte in diesem Zeitraum weder gearbeitet noch seine geschuldete Arbeitsleistung ordnungsgemäß angeboten. Das LAG begründete dies damit, dass es hierzu erforderlich gewesen sei, dass er der von der Beklagten angeordneten Maßnahme Folge geleistet hätte; denn diese sei im Rahmen ihres Direktionsrechts nach § 106 GewO berechtigt gewesen, das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes anzuordnen. Nach dieser Vorschrift könne der Arbeitgeber nicht nur Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, sondern auch Regelungen hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb treffen, wie hier die Anweisung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes. Hierbei spiele es keine Rolle, dass zum streitgegenständlichen Zeitpunkt weder das Infektionsschutzgesetz noch eine landesgesetzliche Regelung eine generelle Maskenpflicht am Arbeitsplatz vorgesehen hätten; denn Arbeitgeber seien aus Arbeitsschutz- und Fürsorgegesichtspunkten verpflichtet gewesen, in ihren Betrieben Hygienekonzepte umzusetzen. Die Beklagte des vorliegenden Falles habe hierbei nicht nur die Interessen des Klägers, sondern auch die der anderen Mitarbeiter zu berücksichtigen. Zudem stelle das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes eine geeignete Maßnahme dar, den Ausstoß von Aerosolen auf dem geringstmöglichen Niveau zu halten und damit das Übertragungsrisiko zu minimieren.
Die Weisung der Beklagten hielt sich nach Auffassung des LAG auch im Rahmen des billigen Ermessens, § 106 GewO; denn die Anordnung zum Tragen des Mund-Nasen-Schutzes habe sich auf das Maß beschränkt, das erforderlich gewesen sei, um den Zweck des betrieblichen Infektionsschutzes zu erreichen; es war nur dort verpflichtend, wo die Gefahr bestanden habe, dass der Abstand nicht gewahrt werden könne bzw. wo ein erhöhtes Infektionsrisiko bestanden habe. Dieses Interesse der Beklagten, die übrigen Arbeitnehmer vor Infektionen mit einer Krankheit, die auch einen tödlichen Verlauf aufweisen könne, zu schützen, sei gegenüber dem Interesse des Klägers, keine Maske zu tragen, vorrangig.
Der Kläger hatte vorliegend auch nicht hinreichend dargelegt, dass er aus gesundheitlichen Gründen von der Pflicht zum Tragen ei...