BAG, Vorlage vom 12.10.2021, 9 AZR 577/20 (A)
1. Stehen Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG oder Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union der Auslegung einer nationalen Regelung wie § 7 Abs. 3 des Bundesurlaubsgesetzes entgegen, der zufolge der in der Arbeitsphase eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses erworbene, bisher nicht erfüllte Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub in der Freistellungsphase mit Ablauf des Urlaubsjahres oder zu einem späteren Zeitpunkt erlischt?
Sollte der Gerichtshof die Frage verneinen:
2. Stehen Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG oder Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union der Auslegung einer nationalen Regelung wie § 7 Abs. 3 des Bundesurlaubsgesetzes entgegen, der zufolge der bisher nicht erfüllte Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub eines Arbeitnehmers, der im Verlauf des Urlaubsjahres aus der Arbeits- in die Freistellungsphase eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses eintritt, mit Ablauf des Urlaubsjahres oder zu einem späteren Zeitpunkt erlischt, wenn der Arbeitgeber – ohne zuvor seine Mitwirkungsobliegenheiten bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs erfüllt zu haben – dem Arbeitnehmer den gesamten Jahresurlaub antragsgemäß für einen Zeitraum unmittelbar vor Beginn der Freistellungsphase bewilligt hat, die Erfüllung des Urlaubsanspruchs aber – zumindest teilweise – nicht eintreten konnte, weil der Arbeitnehmer nach der Urlaubsbewilligung arbeitsunfähig erkrankte?
Sachverhalt
Der Kläger war vom 7.1.1986 bis zum 30.9.2019 bei der Beklagten beschäftigt. Die Parteien vereinbarten, ab dem 1.2.2013 ihr Arbeitsverhältnis als Altersteilzeitarbeitsverhältnis im Blockmodell fortzuführen, mir Arbeitsphase bis zum 31.5.2016 und eine Freistellungsphase vom 1.6.2016 bis zum 30.9.2019. Für den Zeitraum vom 4. bis zum 25.5.2016 gewährte die Beklagte dem Kläger 13 Arbeitstage – und damit bzgl. des Jahres 2016 vollständigen – Urlaub. Allerdings war der Kläger dann im Zeitraum vom 11. bis zum 31.5.2016 arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte hatte ihn zuvor weder aufgefordert, seinen Urlaub zu nehmen, noch darauf hingewiesen, dass nicht beantragter Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfallen könne.
Mit der Klage macht der Kläger u. a. Abgeltung von 2 ⅔ Arbeitstagen gesetzlichen Mindesturlaubs geltend. Er begründet dies damit, dass der Urlaub nicht verfallen sei, da die Beklagte es unterlassen habe, ihn rechtzeitig auf den drohenden Verfall hinzuweisen. Die Beklagte hat dagegen vorgebracht, der Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2016 sei mit Ablauf des 31.3.2017 erloschen.
Die Entscheidung
Die Klage hatte vor dem ArbG und dem LAG keinen Erfolg.
Auf die Revision des Klägers setzte das BAG das Verfahren aus und legte dem EuGH die Fragen vor.
Es begründet die Vorlage damit, dass es für die Entscheidung des Rechtstreits einer Klärung durch den Gerichtshof bedürfe, ob das Unionsrecht den Verfall des Urlaubsanspruchs nach Ablauf des Urlaubsjahres oder ggf. einer längeren Frist auch dann gestatte, wenn der Arbeitnehmer von der Arbeits- in die Freistellungsphase seines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses wechselt, ohne seinen aus demselben Kalenderjahr stammenden Urlaub – vollständig – genommen zu haben.
Insbesondere stelle sich die Frage, ob das Unionsrecht einem Verfall entgegenstehe, wenn der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten gegenüber einem Arbeitnehmer zwar nicht erfüllt hatte, diesem aber antragsgemäß den noch bestehenden Urlaub gewährt hatte und die – vollständige – Erfüllung des Urlaubsanspruchs nur deshalb nicht eintreten konnte, weil der Arbeitnehmer nach der Urlaubsbewilligung arbeitsunfähig erkrankte.