Sven Franke, Stefanie Hornung
Zitat
Mein Eindruck ist, vom Volumen schaffen wir das Gleiche wie bei 8 Stunden, aber das, was wir schaffen, ist besser!
Lasse Rheingans, Geschäftsführer, Rheingans Digital Enabler
In den ersten 3 Unternehmensbeispielen haben wir uns sehr unterschiedlichen Vergütungsmodellen gewidmet. Nach dem Einheitsgehalt bei CPP, dem partizipativen Ansatz bei elobau und dem Wahlmodell bei der Deutschen Bahn machen wir nun einen kleinen Exkurs, einen Ausflug zu einem Unternehmen, das in den vergangenen Monaten für ziemliche Furore sorgte. Aber nicht etwa mit seinem Vergütungsmodell, sondern mit einem radikalen Arbeitszeitmodell – dem 5-Stunden-Tag. Warum wir dieses Praxisbeispiel in dieses Buch aufgenommen haben, werden wir an dieser Stelle noch nicht offenlegen. Wir glauben, das wird sich Dir als Leserin oder Leser Seite für Seite erschließen.
Wir haben Lasse Rheingans, Inhaber und Geschäftsführer der Rheingans GmbH, im Sommer 2018 kennengelernt. Damals hatten wir schon eine Vielzahl von Artikeln und Pressemeldungen über ihn und sein Unternehmen gelesen. Wir waren interessiert an seinem radikalen Ansatz und hatten deshalb Kontakt zu ihm aufgenommen. Was uns fast noch mehr faszinierte, war die mediale Aufmerksamkeit, die er für sein Experiment des 5-Stunden-Tags bekam. Bereits innerhalb der ersten 9 Monate brachte es die Bielefelder IT-Agentur auf ein Presseecho von über 90 Artikeln in Online- und Printmedien sowie mehreren Berichterstattungen im Fernsehen – und das nicht nur national, sondern auch international.
Lasse ist ein smarter und unkomplizierter Typ. Wir sind gleich beim Du und er führt uns zum Besprechungsraum. Der Raum ist funktional eingerichtet. Weit und breit kein Schnickschnack. An der Wand hängt lediglich ein Whiteboard mit ein paar Kritzeleien darauf. In den ersten Minuten zeigt sich bereits: Lasse nimmt sich selbst nicht zu wichtig. Kein oberflächliches oder verkünsteltes Marketingsprech, mit dem er den 5-Stunden-Tag anpreist. Uns gegenüber sitzt einfach nur Lasse, der sich neugierig unsere Fragen anhört und aus dem Bauch heraus über seine Erfahrungen berichtet. Lasse hatte das Unternehmen, die Agentur "überblick", im Oktober 2017 mit damals 11 Beschäftigten übernommen. Doch neben einem neuen Unternehmensnamen sollte sich für das Team noch deutlich mehr ändern. Nicht einmal einen Monat nach der Übernahme wechselte das Team vom 8- zum 5-Stunden-Tag und das bei vollem Gehalt. "Zuerst hatte ich vor, das Experiment im darauffolgenden Sommer zu starten. Doch mir wurde bewusst, dass wir so einen Bruch sehr viel besser hinkriegen, wenn die Kollegen mich noch nicht kennen, wenn ich mich selbst im Team noch nicht kenne, wenn die ganzen Prozesse eh auf dem Prüfstand stehen und die Kunden merken, dass ein frischer Wind weht", so Lasse über die damalige Entscheidung.
Lasse hatte die Jahre davor mit 3 Partnern ein anderes IT-Unternehmen in Bielefeld aufgebaut. Im Mai 2017 war er dort ausgestiegen und hatte sich Zeit genommen darüber nachzudenken, wie es für ihn weitergehen sollte. "Ich hatte mir bereits in den letzten beiden Jahren in meiner alten IT-Agentur das Recht herausgenommen, 2 Nachmittage frei zu machen. So hatte ich Zeit für meine Familie und die Kinder. Dabei ist mir aufgefallen, dass ich mein Pensum trotzdem schaffe und das hat mich zum Denken gebracht. Gleichzeitig war ich deutlich entspannter und neben der Zeit für meine Familie blieb noch Zeit mich fortzubilden oder zum Bücher lesen." Eines dieser Bücher war "The Five-Hour Workday" von Stephan Aarstol. "Das war für mich der Impuls, das mal selbst mit einem Team ausprobieren zu wollen. Dieses starre "nine to five" oder oft auch "nine to eight" im Agenturbusiness, das macht die Leute auf Dauer doch kaputt. Das wollte ich einfach nicht mehr, weder für meine Mitarbeiter noch für mich."
Wieso gerade 5 Stunden und nicht 6 oder viereinhalb Stunden, haben wir uns gefragt. Für den Unternehmer liegt die Antwort auf der Hand: "Das Team startet gemeinsam um 8 Uhr. Irgendwann muss man einfach mal zu Mittag essen. Doch wenn ich von mir ausgehe, dann bin ich die Stunde nach dem Mittagessen nicht wirklich produktiv. Deshalb dachte ich mir, dann können wir es auch gleich mit den 5 Stunden ausprobieren und um 13 Uhr Feierabend machen."
Der Start des 5-Stunden-Experiments
Jana ist eine von 2 Projektleiterinnen bei Rheingans. Sie war bereits beim Vorgängerunternehmen "überblick" angestellt. Als Lasse mit dem Team seine Überlegungen zum 5-Stunden-Tag teilte, hatte sie, wie ein Großteil des Teams, gemischte Gefühle. "Ich dachte: Wow, das klingt ja super! Wer hätte nicht gerne mehr Freizeit und das bei gleicher Bezahlung. Aber wie soll das nur gehen?" Lasse war zu diesem Zeitpunkt klar, dass der 5-Stunden-Tag kläglich scheitern könnte. "Ich habe dem Team damals gesagt, dass ich erwarte, dass wir Fehler machen und wir wahrscheinlich auch scheitern werden. Wer solch ein Experiment in Angriff nimmt, kann nicht voraussehen, wie es sich entwickelt. Das Scheitern vorab als mögliches Sz...