Rz. 1
Grundsätzlich fallen alle urlaubsstörenden Ereignisse als Teil des persönlichen Lebensschicksals in den Risikobereich des einzelnen Arbeitnehmers. Dies gilt z. B. auch dann, wenn die Möglichkeit selbstbestimmter Nutzung der Freizeit während des Urlaubs durch sozialversicherungsrechtliche Handlungsobliegenheiten eingeschränkt wird, die für den Bezug von Arbeitslosengeld erforderlich sind.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz stellt § 9 BUrlG dar. Danach geht der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers, d. h. der Anspruch auf bezahlte Freistellung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung, trotz ordnungsgemäßer Erfüllungshandlungen durch den Arbeitgeber (= Urlaubsfestsetzung) und trotz vom Arbeitgeber nicht verschuldeter Unmöglichkeit des Eintritts des Erfüllungserfolgs bei einer Erkrankung während des Urlaubs nicht unter. Maßgeblich hierfür ist, dass der Arbeitnehmer, der von seiner Arbeitspflicht bereits wegen der Arbeitsunfähigkeit befreit worden ist, nicht noch einmal suspendiert werden kann. Insbesondere beseitigt eine Beurlaubung die Unfähigkeit zur geschuldeten Arbeitsleistung in einem Arbeitsverhältnis nicht. Insoweit geht nicht der Urlaub der Krankheit vor, sondern die Krankheit dem Urlaub. Dem kann nicht entgegengehalten werden, aus § 9 BUrlG könne nicht abgeleitet werden, dass ein Nebeneinander von Arbeitsunfähigkeit und Urlaubsgewährung nicht möglich wäre, weil es von der Initiative des Arbeitnehmers abhänge, ob die Rechtsfolge der Nichtanrechnung eintrete (s. hierzu unten Rz. 9).
Ohne die Vorschrift des § 9 BUrlG würde der Arbeitnehmer seinen Urlaubsanspruch ersatzlos verlieren, wenn er während eines bereits bewilligten Urlaubs arbeitsunfähig erkrankt. Der Arbeitgeber wird nämlich von der Leistungspflicht frei, weil er mit der Festlegung des Urlaubszeitraums als Schuldner das nach § 7 Abs. 1 BUrlG Erforderliche getan hat. Bei bestehender Arbeitsunfähigkeit tritt somit Unmöglichkeit ein, die eigentlich zum Ausschluss einer Verpflichtung des Arbeitgebers führen würde, erneut Urlaub zu bewilligen. Hiervon enthält § 9 BUrlG eine Ausnahme zugunsten des Arbeitnehmers.
Er soll den Urlaub, wenn er initiativ wird, danach erneut beanspruchen können. Wird er nicht initiativ, bleibt es aber bei der Rechtsfolge, dass der Arbeitgeber von der Leistungspflicht frei wird. Nach Auffassung des EuGH wäre eine nationale Regelung, die vorsähe, dass ein Arbeitnehmer, der während des bezahlten Jahresurlaubs arbeitsunfähig wird, nicht berechtigt ist, den Jahresurlaub, der mit der Arbeitsunfähigkeit zusammenfällt, später in Anspruch zu nehmen, unionsrechtswidrig. Die Europäische Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG steht aber einer nationalen Regelung nicht entgegen, wonach die Nichtbeachtung von Modalitäten der Inanspruchnahme dazu führt, dass der Urlaubsanspruch untergeht. Der Arbeitnehmer muss tatsächlich nur die Möglichkeit haben, den Anspruch auszuüben. Das Unionsrecht will nach den vom EuGH aufgestellten Grundsätzen zu Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie nur denjenigen Arbeitnehmer schützen, der objektiv wegen Arbeitsunfähigkeit gehindert ist, seine Ansprüche zu realisieren, nicht hingegen auch den, der lediglich untätig bleibt. Insoweit genügt § 9 BUrlG den unionsrechtlichen Vorgaben.
Rz. 2
§ 9 BUrlG ist aber nicht allgemein auf Fälle des Zusammentreffens von Urlaub und einem anderen Tatbestand, aus dem sich die Beseitigung der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers ergibt, entsprechend anzuwenden. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) ist insoweit von der früher vertretenen Auffassung abgerückt. Letztlich käme es dann nämlich immer auf eine Einzelfallprüfung an, ob die dem Beschäftigungsverbot zugrunde liegenden arbeitsplatzbezogenen Beschränkungen die betroffenen Arbeitnehmer hindern, ihren Erholungsurlaub selbstbestimmt zu gestalten. Für eine analoge Gesetzesanwendung muss jedoch die typische Vergleichbarkeit und nicht der im Einzelfall festzustellende Grad der Beeinträchtigung ausschlaggebend sein.
Auch auf eine Arbeitsunfähigkeit während unbezahltem (Sonder-)Urlaub ist § 9 BUrlG nicht anzuwenden. Dies steht auch mit dem Unionsrecht im Einklang. Weder Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG noch Art. 31 Abs. 2 GRC verlangen es, im Fall eines allein auf Wunsch des Arbeitnehmers vereinbarten unbezahlten Sonderurlaubs diesen einem Zeitraum tatsächlicher Arbeitsleistung gleichzustellen.
Ebenso wenig ist § 9 BUrlG auf eine Arbeitsunfähigkeit während eines Überstundenausgleichs im Rahmen eines Arbeitszeitkontos analog anwendbar; auch nicht für Erkrankungen während arbeitsfreien Tagen bzw. Freischichten im Schichtsystem. Das Risiko, die durch Arbeitsbefreiung als Arbeitszeitausgleich gewonnene Freizeit auch tatsächlich nach seinen Vorstellungen nutzen zu können, trägt nämlich der Arbeitnehmer. Der Freizeitausgleich zum Abbau von Überstundenguthaben ist mit einer Urlaubsgewährung nicht vergleichbar. Der Arbeitnehmer erhält freie Tage unter Fortzahlung der Vergütung nämlich ...