Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwirkung des Rechts zur außerordentlichen Kündigung
Leitsatz (redaktionell)
Der Einwand der materiell-rechtlichen Verwirkung nach § 242 BGB wird hinsichtlich des Rechts zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund durch § 626 Abs 2 BGB konkretisiert. Dieses Kündigungsrecht kann deshalb ohne Kenntnis des Kündigungsberechtigten vom Kündigungssachverhalt nicht verwirken (Bestätigung und Klarstellung des Senatsurteils BAG 5.5.1977 2 AZR 297/76 = BAGE 29, 158 = AP Nr 11 zu § 626 BGB Ausschlußfrist).
Normenkette
BGB § 242; BetrVG § 103; BGB § 626 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
LAG Nürnberg (Entscheidung vom 29.05.1984; Aktenzeichen 7 TaBV 3/84) |
ArbG Nürnberg (Entscheidung vom 28.02.1984; Aktenzeichen 5 BV 24/83) |
Gründe
Gründe
I. Die Antragstellerin ist ein Unternehmen des pharmazeutischen Großhandels. Mit Schreiben vom 27. April 1983 bat sie den für ihre Nürnberger Niederlassung gewählten, aus sieben Mitgliedern bestehenden Betriebsrat, den Antragsgegner, der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung gegenüber seinem Vorsitzenden, dem Beteiligten Peter L, zuzustimmen. Dieser war bei ihr seit 1. September 1970 beschäftigt, seit 1974 als Inventur-Sachbearbeiter. Er ist anerkannter Schwerbehinderter. Der Antragsgegner verweigerte in einem undatierten Schreiben die Zustimmung. Daraufhin hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 5. Mai 1983, der am selben Tag beim Arbeitsgericht eingegangen ist, das vorliegende Beschlußverfahren eingeleitet mit dem Ziel, die Zustimmung des Antragsgegners zu der beabsichtigten Kündigung des Beteiligten zu ersetzen. Sie hatte ferner zuvor mit Schreiben vom 26. April 1983 die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zu der fristlosen Kündigung des Beteiligten beantragt und von dieser mit Schreiben vom 10. Mai 1983 die Mitteilung erhalten, daß die Zustimmung als erteilt gelte.
Die Antragstellerin hat vorgetragen, ihre Geschäftsleitung habe am 21. April 1983 erfahren, daß sich der Beteiligte gegenüber den Angestellten Angela K, geboren am 1. Oktober 1961, Doris Ko, geboren am 10. Mai 1963, Birgit B, geboren am 10. April 1964 sowie den Auszubildenden Margit O, geboren am 5. Oktober 1962 und Sabine Bö, geboren am 12. August 1965 teils durch Äußerungen teils durch Handgreiflichkeiten in sittlich anstößiger Weise benommen habe und deshalb seine Weiterbeschäftigung für sie unzumutbar geworden sei. So habe er u. a. die Angestellte K im Alter von 15 Jahren sexuell belästigt, die Angestellten Ko und B unsittlich berührt, der Auszubildenden O das T-Shirt hochgezogen, um darunterzusehen sowie der Auszubildenden Bö die Brust abgetastet und unter den Rock gegriffen. Über die Angestellte K habe er geäußert, sie sei sexuell verklemmt, ihre Brustwarzen würden bei seinem Anblick steif, und sie als prüde und arrogant bezeichnet.
Diesen Sachverhalt hätten die Mitarbeiterinnen den Herren Ba und Ro, beide Mitglieder der Geschäftsleitung, mitgeteilt. Eine Abmahnung des Beteiligten sei wegen Art und Schwere der Verfehlungen nicht erforderlich gewesen. Im übrigen sei ihm bereits im Jahre 1980 vorgeworfen worden, Auszubildenden gegenüber anstößige sexuelle Redensarten gebraucht zu haben. Der damalige Betriebsrat sei dem nachgegangen und zu der Erkenntnis gelangt, daß der Beteiligte als Ausbilder nicht geeignet sei. Es sei zum Ausdruck gebracht worden, bei weiteren Verstößen dieser Art komme eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht in Frage.
Die Antragstellerin hat beantragt, die Zustimmung des Antragsgegners zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden Peter L zu ersetzen.
Der Antragsgegner hat beantragt, den Antrag abzuweisen.
Er hat vorgetragen, die beiden Mitglieder der Geschäftsleitung seien zwischen dem 18. und 20. April 1983 und ein weiteres Mitglied der Geschäftsleitung, Herr M, bereits am 16. April 1983 von dem gesamten von der Antragstellerin vorgetragenen Sachverhalt unterrichtet worden. Das Ersetzungsverfahren sei somit nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingeleitet worden. Die gegen den Beteiligten erhobenen Vorwürfe seien in den wesentlichen Punkten falsch. Er habe keine der von der Antragstellerin angeführten Angestellten und Auszubildenden unsittlich berührt. Die ihm vorgeworfenen Äußerungen seien nicht gefallen oder entstellt wiedergegeben.
Das Arbeitsgericht hat die Angestellten O, Bö, Ko und K als Zeuginnen vernommen und sodann den Antrag abgewiesen. Es hat angenommen, die von dem Beteiligten teils tatsächlich, teils nur angeblich gemachten Äußerungen seien nicht so schwerwiegend, daß sie ohne vorherige Abmahnung zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigten, selbst wenn dieses Verhalten das Betriebsklima belastet haben sollte. Eine solche Abmahnung habe die Antragstellerin jedoch, trotz gerichtlicher Auflage, nicht substantiiert vorgetragen. Auch die Belästigungen der Zeuginnen stellten, so wie sie von diesen geschildert worden seien, keinen wichtigen Kündigungsgrund dar. Die Zeuginnen Bö, Ko und O hätten sich das Verhalten des Klägers sofort verbeten, es jedoch offensichtlich nicht als übermäßig schwerwiegend angesehen, da sie nicht mit einem Vorgesetzten darüber gesprochen und auch nicht weiteren Kontakt oder weitere Zusammenarbeit mit dem Beteiligten abgelehnt hätten. Die Vorfälle hätten sich in den Jahren 1980 und 1981 ereignet. Auch die Zeugin K habe nur Vorfälle aus den Jahren 1977 und 1981 geschildert. Das Verhalten des Beteiligten habe sich somit nicht negativ auf die betriebliche Zusammenarbeit ausgewirkt. Von einer Vernehmung der Zeugin B sei abzusehen gewesen, weil auch insoweit der Sachvortrag der Antragstellerin nicht erkennen lasse, wie sich die behaupteten unsittlichen Berührungen und die Beleidigungen durch den Beteiligten auf den Betriebsablauf ausgewirkt haben könnten.
Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen.
Mit der durch Senatsbeschluß vom 21. Februar 1985 - 2 ABN 40/84 - zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren Ersetzungsantrag weiter. Der Antragsgegner und der Beteiligte beantragen, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
II. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.
1. Das Beschwerdegericht hat den Ersetzungsantrag für unbegründet angesehen und hierzu im wesentlichen ausgeführt:
Was die Gründe für die Ablehnung der beantragten Ersetzung anbelange, schließe es sich in allen wesentlichen Punkten den Ausführungen des Arbeitsgerichts an. Insoweit werde von der Darstellung der Gründe abgesehen. Zu den Angriffen der Beschwerde gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts sei auszuführen:
Dem Ersetzungsantrag hätte möglicherweise stattgegeben werden müssen, wenn sich die Vorkommnisse, auf die er gestützt werde, unmittelbar vor Stellung des Zustimmungsantrages gegenüber dem Antragsgegner zugetragen hätten. Das Arbeitsgericht gehe von einer Einstellung aus, die notwendig zu einer Bagatellisierung des Verhaltens des Beteiligten gegenüber den betroffenen Frauen und damit zu einer Unterbewertung ihrer geschlechtlichen Ehre führe. Es gehe nicht um die Bewertung von Liebesbeziehungen zwischen dem Beteiligten und weiblichen Betriebsangehörigen. Der Beteiligte habe nicht im Einverständnis mit den betroffenen Frauen gehandelt und ihr Einverständnis auch nicht voraussetzen können. Er habe in jedem Falle bei den Belästigungen seine betriebliche Stellung als Vorgesetzter und Betriebsratsvorsitzender ausgenutzt.
Gleichwohl sehe das Beschwerdegericht keine Möglichkeit, die Zustimmung zu ersetzen. Die menschlichen Entgleisungen des Beteiligten reichten nicht bis in die Zeit unmittelbar vor der Antragstellung gegenüber dem Betriebsrat. Durch Zeitablauf könne eine zunächst zulässige Rechtsausübung unzulässig werden. Hier sei es zugunsten des Beteiligten, unabhängig vom Zeitpunkt der Kenntnisnahme von den Vorkommnissen durch die Antragstellerin, der Einwand der Verwirkung. Ganz allgemein habe der Zeitablauf zur Folge, daß Vorkommnisse je nach ihrer Intensität schneller oder langsamer an Gewicht verlören. Die Verwirkung könne auch eintreten, wenn der Berechtigte von seinem Recht keine Kenntnis erlangt habe. Hier habe der Zeitpunkt, zu welchem die Antragstellerin von den Vorkommnissen Kenntnis erlangt habe, deshalb außer Betracht zu bleiben, weil die Übergriffe des Beteiligten nicht gegen die Antragstellerin gerichtet gewesen seien. Ihr Verhältnis zu dem Beteiligten werde durch die Vorkommnisse nur indirekt berührt. Es sei kein Grund ersichtlich, warum es der Antragstellerin unmöglich sein sollte, in Zukunft mit dem Beteiligten störungsfrei zusammenzuarbeiten.
Die Schuld des Beteiligten sei inzwischen auch dadurch geringer geworden, daß sich bei ihm ein gewisser Lernprozeß vollzogen habe, wie im Anhörungstermin vor der Beschwerdekammer festgestellt worden sei. Das rechtfertige es, bezogen auf den Zeitpunkt der Antragstellung beim Betriebsrat, die Handlungsweise des Beteiligten milder zu beurteilen, als es vielleicht zum Zeitpunkt des Vertragsverstoßes der Fall gewesen wäre.
2. Gegen diese Würdigung wendet sich die Rechtsbeschwerde mit Erfolg.
a) Wie beide Vorinstanzen im Ausgangspunkt zutreffend angenommen haben, entscheidet das Gericht bereits im Ersetzungsverfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG darüber, ob ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vorliegt. Das Arbeitsgericht hat damit eine Entscheidung zu treffen, die praktisch den Kündigungsschutzprozeß vorwegnimmt. Wenn es durch Beschluß die Zustimmung des Betriebsrats ersetzt, dann wird damit zugleich festgestellt, daß für die Ersetzung ein Gestaltungs- oder Verpflichtungsgrund bestanden hat, weil die Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt werde (BAG 26, 219; 27, 113 = AP Nr. 1 und 3 zu § 103 BetrVG 1972). Ferner gilt auch für die außerordentliche Kündigung gegenüber den Arbeitnehmern, die - wie der Betriebsrat - den besonderen Kündigungsschutz des § 15 KSchG genießen, die Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB. Sie beginnt auch im Regelungsbereich des § 103 Abs. 2 BetrVG mit der Kenntnis des Arbeitgebers von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen. Der Arbeitgeber muß deshalb innerhalb dieser Frist das Zustimmungsverfahren bei dem Betriebsrat einleiten und, wenn der Betriebsrat die Zustimmung verweigert oder diese wegen Ablaufs der entsprechend § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG geltenden Erklärungsfrist als verweigert gilt, auch den Ersetzungsantrag beim Arbeitsgericht stellen (BAG 29, 270 = AP Nr. 10 zu § 103 BetrVG 1972).
b) Soweit das Beschwerdegericht das Recht des Antragstellers, dem Beteiligten wegen des ihm zur Last gelegten sittlichen Fehlverhaltens gegenüber weiblichen Angestellten und Auszubildenden aus wichtigem Grund außerordentlich zu kündigen, als verwirkt angesehen hat, kann ihm nicht gefolgt werden.
aa) Wie der Senat in dem von der Rechtsbeschwerde angezogenen Urteil BAG 29, 158, 168 (AP Nr. 11 zu § 626 BGB Ausschlußfrist, zu III 3 der Gründe) ausgeführt hat, ist der Einwand der materiell-rechtlichen Verwirkung eines Rechts ein Sonderfall des Verbots der unzulässigen Rechtsausübung. Verwirkt ist ein Anspruch oder ein Recht wie das Kündigungsrecht dann, wenn der Berechtigte längere Zeit hindurch untätig geblieben ist, dadurch den Eindruck erweckt hat, er wolle das Recht nicht mehr geltend machen, sein Vertragspartner sich auf den dadurch geschaffenen Vertrauenstatbestand eingestellt hat und es ihm deshalb nicht mehr zugemutet werden kann, sich auf das verspätete Begehren des Berechtigten zu berufen. Eine Verwirkung des Kündigungsrechts setzt somit jedenfalls voraus, daß hiervon der Kündigungsberechtigte Kenntnis hatte. Für diesen Fall greift aber die Sondervorschrift des § 626 Abs. 2 BGB ein. Mit diesen Ausführungen hat der Senat nicht allgemein den Eintritt der Verwirkung eines Rechts nach § 242 BGB von der Kenntnis des Berechtigten von den sein Recht begründenden Tatsachen abhängig gemacht (insoweit unzutreffend Herschel, AR- Blattei, Kündigung VIII, Anm. zu Entscheidung 56). Er hat vielmehr nur die Auffassung vertreten, die Verwirkung des Rechts zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund werde durch § 626 Abs. 2 BGB konkretisiert und deshalb sei eine Verwirkung dieses Rechts ohne diese Kenntnis des Kündigungsberechtigten nicht möglich (vgl. Bleistein, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 2. Aufl., Rz 134; KR-Hillebrecht, 2. Aufl., § 626 BGB Rz 219; MünchKomm-Schwerdtner, BGB, § 626 Rz 131; Staudinger/Neumann, BGB, 12. Aufl., § 626 Rz 70). Bei der in dieser Bestimmung enthaltenen Zwei-Wochen-Frist handelt es sich um eine materiell- rechtliche Ausschlußfrist für die Kündigungserklärung, die sachlich den Tatbestand einer Verwirkung des wichtigen Grundes wegen des reinen Zeitablaufs regelt. Nach ihrem Ablauf greift die unwiderlegliche gesetzliche Vermutung ein, daß auch ein möglicherweise erheblicher wichtiger Grund nicht mehr geeignet ist, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar zu machen (BAG 24, 341, 343 = AP Nr. 3 zu § 626 BGB Ausschlußfrist, zu I 2 der Gründe).
Dieser Auffassung stehen die vom Rechtsbeschwerdegegner angezogenen Urteile des Ersten Senats vom 5. August 1969 (- 1 AZR 441/68 - AP Nr. 18 zu § 794 ZPO) und des Bundesgerichtshofs (BGHZ 25, 47, 52) sowie das Urteil des erkennenden Senats vom 28. Juli 1960 (- 2 AZR 105/59 - AP Nr. 17 zu § 242 BGB Verwirkung) nicht entgegen. Danach kommt es bei der allgemeinen Verwirkung nach § 242 BGB grundsätzlich nicht auf ein von dem Berechtigten zu vertretendes Verhalten, sondern auf den objektiv von ihm geschaffenen Rechtsschein ohne Rücksicht auf den Grund hierfür an, so daß sie auch unabhängig von der Kenntnis des Berechtigten von den anspruchsbegründenden Tatsachen eintreten kann (insoweit zutreffend Herschel, aaO). Hinsichtlich des Rechts zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund stellt jedoch § 626 Abs. 2 BGB eine Sonderregelung dar, die für den Eintritt der Verwirkung die Kenntnis des Berechtigten voraussetzt, andererseits aber bei Erfüllung dieser Voraussetzung dann die Verwirkung durch reinen Zeitablauf eintreten läßt, ohne daß, im Gegensatz zur allgemeinen Verwirkung nach § 242 BGB, noch weitere Bedingungen (Umstandsmoment, vgl. dazu das Senatsurteil vom 28. Juli 1960, aaO) erfüllt sein müssen.
bb) Das Beschwerdegericht hat somit den Verwirkungseinwand bereits deshalb zu Unrecht durchgreifen lassen, weil es die Kenntnis der Antragstellerin von den zur Rechtfertigung der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung vorgetragenen Tatsachen für unerheblich gehalten hat. Es hat ausdrücklich aufgeführt, die Verwirkung könne auch ohne Kenntnis des Berechtigten von seinem Recht eintreten, und es deshalb für bedeutungslos angesehen, ob die Antragstellerin erst unmittelbar vor der Antragstellung gegenüber dem Antragsgegner von den behaupteten Vorfällen Kenntnis erlangt hatte.
c) Auf der unrichtigen Annahme der Verwirkung beruht auch der angefochtene Beschluß.
Das Berufungsgericht führt zwar einleitend aus, es schließe sich in allen wesentlichen Punkten den Ausführungen des Arbeitsgerichts an. Anschließend bemerkt es jedoch, dem Ersetzungsantrag hätte möglicherweise stattgegeben werden müssen, wenn sich die Vorkommnisse unmittelbar vor Stellung des Zustimmungsantrages zugetragen hätten. Es beanstandet an der Würdigung des Arbeitsgerichts, es habe verkannt, daß der Beteiligte nicht im Einverständnis der betroffenen Frauen gehandelt habe, ein solches auch nicht habe voraussetzen dürfen und in Ausnützung seiner Stellung als Vorgesetzter gehandelt habe. Gleichwohl könne dem Ersetzungsantrag nicht stattgegeben werden, weil das Kündigungsrecht verwirkt sei. Hieraus wird deutlich, daß das Beschwerdegericht die Würdigung des Arbeitsgerichts, es liege kein wichtiger Grund vor, nicht als Haupt- oder Hilfsbegründung übernehmen und lediglich die Verwirkung als weitere Entscheidungsgrundlage hinzufügen wollte.
Gleiches gilt für den abschließenden Hinweis des Beschwerdegerichts, die Schuld des Beteiligten sei inzwischen auch geringer geworden, daß sich bei ihm ein gewisser Lernprozeß vollzogen habe und es deshalb gerechtfertigt sei, seine Handlungsweise milder zu beurteilen als vielleicht im Zeitpunkt des Vertragsverstoßes. In jedem Fall kommt in diesen Ausführungen nicht klar zum Ausdruck, daß das Beschwerdegericht insoweit eine eigenständige weitere Begründung geben und nicht nur einen die vorausgegangenen Ausführungen zur Verwirkung unterstützenden Gesichtspunkt anführen wollte.
3. Der Rechtsstreit muß somit zurückverwiesen werden (§ 565 Abs. 1 ZPO). Das Beschwerdegericht hat nunmehr zunächst den umstrittenen Sachverhalt zur Wahrung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu klären und, falls diese Frist gewahrt sein sollte, zu prüfen, ob ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung vorgelegen hat. Hierfür weist der Senat auf folgendes hin:
a) Beide Vorinstanzen sind dem unter Beweis gestellten und von der Antragstellerin bestrittenen Vortrag des Antragsgegners nicht nachgegangen, die Mitglieder der Geschäftsleitung M, Ba und Ro hätten sich bereits in der Zeit vom 16. bis 20. April 1983 von dem gesamten Kündigungssachverhalt durch die Zeuginnen K, Ko, B, O und Bö unterrichten lassen. Die Zeugin O habe auch bekundet, die Zeugin K habe ihr am 18. April 1983 erzählt, daß sie mit Herrn M über die Vorfälle gesprochen habe. Erfuhr die Geschäftsleitung noch vor dem 21. April durch die betroffenen Zeuginnen von den wesentlichen Umständen der einzelnen Vorgänge, so war die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB am 4. Mai 1983 abgelaufen und der erst am 5. Mai bei Gericht eingegangene und zur Fristwahrung erforderliche Ersetzungsantrag verspätet.
b) Sollte die Ausschlußfrist gewahrt sein, so bestehen gegen die Würdigung der Aussagen der vernommenen Zeuginnen durch das Arbeitsgericht insbesondere insoweit Bedenken, wie es um Zudringlichkeiten des Beteiligten diesen Zeuginnen gegenüber geht. Hierauf hat das Beschwerdegericht bereits zutreffend hingewiesen, diesen Vorfällen aber nur wegen der nach seiner Ansicht eingetretenen Verwirkung keine Bedeutung mehr beigemessen.
aa) Treffen die Aussagen der Zeuginnen zu, so hat der Beteiligte in seiner Eigenschaft als Ausbilder in der Abteilung Bestandskontrolle unter anderem Auszubildende (Zeuginnen Bö und O) mehrfach unsittlich berührt. Diese Vorfälle ereigneten sich zum Teil in der Zeit, in der ihm nach Darstellung des Antragsgegners die Ausbildung entzogen war (März 1980), teilweise in der Zeit, in der er wieder als Ausbilder eingesetzt war (ab September 1981). Aus dem Umstand, daß die Zeuginnen es dabei bewenden ließen, sich diese Zudringlichkeiten zu verbitten und nicht ihre Vorgesetzten unterrichteten, kann nicht gefolgert werden, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beteiligten sei der Antragstellerin zumutbar gewesen, weil der Betriebsablauf durch sein Verhalten nicht wesentlich beeinträchtigt worden sei. Es ist auch denkbar, daß sie sich nicht beschwerten, weil sie sich - zum Teil als Auszubildende - vom Antragsgegner abhängig fühlten. Es kommt auch nicht allein auf die Beurteilung des Verhaltens durch die Betroffenen, sondern darauf an, ob das Vertrauensverhältnis, das zwischen einem als Ausbilder eingesetzten Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber hinsichtlich der moralischen Integrität des Ausbilders bestehen muß, durch ein solches Verhalten erschüttert wird. Deshalb ist auch für die Beurteilung der Zumutbarkeitsfrage der vom Beschwerdegericht in anderem Zusammenhang betonte Gesichtspunkt unerheblich, das Verhalten des Beteiligten habe sich nicht gegen die Antragstellerin gerichtet, sondern ihr Verhältnis zu ihm nur indirekt berührt.
bb) Dieses Verhalten des Beteiligten liegt nach den Aussagen der Zeuginnen mehr als ein Jahr oder zwei Jahre - gegenüber der Zeugin K teilweise noch länger - vor der Antragstellung zurück. Der Zeitablauf kann zwar auch für die Würdigung eines Ereignisses unter dem Gesichtspunkt des wichtigen Grundes von Bedeutung sein. Eine außerordentliche Kündigung kann nur auf solche Gründe gestützt werden, die sich konkret nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken. Da der Kündigungsgrund seiner Natur nach zukunftsbezogen ist, kommt es auf seine Auswirkungen für die Zukunft an. Zurückliegende Ereignisse, die das Arbeitsverhältnis nicht mehr belasten, sind auch dann unerheblich, wenn sie zunächst schwerwiegend waren. Entscheidend ist, ob die Gründe ein Indiz für die künftige Belastung des Arbeitsverhältnisses sind (vgl. KR-Hillebrecht, aaO, § 626 BGB Rz 89, m. w. N.). Im vorliegenden Fall handelt es sich bei den von den Zeuginnen bekundeten Zudringlichkeiten des Beteiligten aber um Störungen im Vertrauensbereich der Vertragspartner. Wie bereits ausgeführt, muß der Arbeitgeber insbesondere auf die moralische Integrität seiner Ausbilder vertrauen können. Dem Beteiligten waren nach der Darstellung des Antragsgegners nach einer Unterbrechung ab März 1980 von September 1981 an wie in der Zeit zuvor Auszubildende für jeweils zwei Monate in der Bestandskontrolle zur Ausbildung anvertraut. Ist er nach der Darstellung der Zeuginnen auch noch zu diesem Zeitpunkt ihnen gegenüber handgreiflich geworden, so kann sein Verhalten insgesamt deswegen auch noch im Zeitpunkt der Antragstellung im Frühjahr 1983 das Vertrauensverhältnis der Vertragspartner belastet haben.
Dies gilt um so mehr, als der Beteiligte, trifft die Aussage der Zeugin Ko zu, diese noch am 15. April 1983 gefragt hat, ob sie wisse, warum die Zeugin K bei seinem Anblick in sinnliche Erregung gerate. Eine solche Äußerung ist geeignet, die Ehre der Zeugin K herabzusetzen, und zwar auch dann, wenn sie nicht unmittelbar in einem Gespräch mit der Zeugin K erfolgt sein sollte. Dieses Verhalten wäre vielmehr ein Anzeichen dafür, daß der Beteiligte jedenfalls insoweit seine Einstellung zu den weiblichen Angestellten nicht geändert hatte.
cc) Eine Abmahnung des Beteiligten als Voraussetzung für eine außerordentliche Kündigung ist hinsichtlich dieses Verhaltens nicht erforderlich. Ist der Vertrauensbereich der Vertragspartner betroffen, bedarf es einer Abmahnung nur, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen (vgl. Senatsurteil vom 30. Juni 1983 - 2 AZR 524/81 -, EzA § 1 KSchG Tendenzbetrieb Nr. 14, zu IV 1 der Gründe).
Hillebrecht Triebfürst Dr. Weller
Dr. Wolter Mauer
I. Die Antragstellerin ist ein Unternehmen des pharmazeutischen Großhandels. Mit Schreiben vom 27. April 1983 bat sie den für ihre Nürnberger Niederlassung gewählten, aus sieben Mitgliedern bestehenden Betriebsrat, den Antragsgegner, der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung gegenüber seinem Vorsitzenden, dem Beteiligten Peter L, zuzustimmen. Dieser war bei ihr seit 1. September 1970 beschäftigt, seit 1974 als Inventur-Sachbearbeiter. Er ist anerkannter Schwerbehinderter. Der Antragsgegner verweigerte in einem undatierten Schreiben die Zustimmung. Daraufhin hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 5. Mai 1983, der am selben Tag beim Arbeitsgericht eingegangen ist, das vorliegende Beschlußverfahren eingeleitet mit dem Ziel, die Zustimmung des Antragsgegners zu der beabsichtigten Kündigung des Beteiligten zu ersetzen. Sie hatte ferner zuvor mit Schreiben vom 26. April 1983 die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zu der fristlosen Kündigung des Beteiligten beantragt und von dieser mit Schreiben vom 10. Mai 1983 die Mitteilung erhalten, daß die Zustimmung als erteilt gelte.
Die Antragstellerin hat vorgetragen, ihre Geschäftsleitung habe am 21. April 1983 erfahren, daß sich der Beteiligte gegenüber den Angestellten Angela K, geboren am 1. Oktober 1961, Doris Ko, geboren am 10. Mai 1963, Birgit B, geboren am 10. April 1964 sowie den Auszubildenden Margit O, geboren am 5. Oktober 1962 und Sabine Bö, geboren am 12. August 1965 teils durch Äußerungen teils durch Handgreiflichkeiten in sittlich anstößiger Weise benommen habe und deshalb seine Weiterbeschäftigung für sie unzumutbar geworden sei. So habe er u. a. die Angestellte K im Alter von 15 Jahren sexuell belästigt, die Angestellten Ko und B unsittlich berührt, der Auszubildenden O das T-Shirt hochgezogen, um darunterzusehen sowie der Auszubildenden Bö die Brust abgetastet und unter den Rock gegriffen. Über die Angestellte K habe er geäußert, sie sei sexuell verklemmt, ihre Brustwarzen würden bei seinem Anblick steif, und sie als prüde und arrogant bezeichnet.
Diesen Sachverhalt hätten die Mitarbeiterinnen den Herren Ba und Ro, beide Mitglieder der Geschäftsleitung, mitgeteilt. Eine Abmahnung des Beteiligten sei wegen Art und Schwere der Verfehlungen nicht erforderlich gewesen. Im übrigen sei ihm bereits im Jahre 1980 vorgeworfen worden, Auszubildenden gegenüber anstößige sexuelle Redensarten gebraucht zu haben. Der damalige Betriebsrat sei dem nachgegangen und zu der Erkenntnis gelangt, daß der Beteiligte als Ausbilder nicht geeignet sei. Es sei zum Ausdruck gebracht worden, bei weiteren Verstößen dieser Art komme eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht in Frage.
Die Antragstellerin hat beantragt, die Zustimmung des Antragsgegners zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden Peter L zu ersetzen.
Der Antragsgegner hat beantragt, den Antrag abzuweisen.
Er hat vorgetragen, die beiden Mitglieder der Geschäftsleitung seien zwischen dem 18. und 20. April 1983 und ein weiteres Mitglied der Geschäftsleitung, Herr M, bereits am 16. April 1983 von dem gesamten von der Antragstellerin vorgetragenen Sachverhalt unterrichtet worden. Das Ersetzungsverfahren sei somit nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingeleitet worden. Die gegen den Beteiligten erhobenen Vorwürfe seien in den wesentlichen Punkten falsch. Er habe keine der von der Antragstellerin angeführten Angestellten und Auszubildenden unsittlich berührt. Die ihm vorgeworfenen Äußerungen seien nicht gefallen oder entstellt wiedergegeben.
Das Arbeitsgericht hat die Angestellten O, Bö, Ko und K als Zeuginnen vernommen und sodann den Antrag abgewiesen. Es hat angenommen, die von dem Beteiligten teils tatsächlich, teils nur angeblich gemachten Äußerungen seien nicht so schwerwiegend, daß sie ohne vorherige Abmahnung zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigten, selbst wenn dieses Verhalten das Betriebsklima belastet haben sollte. Eine solche Abmahnung habe die Antragstellerin jedoch, trotz gerichtlicher Auflage, nicht substantiiert vorgetragen. Auch die Belästigungen der Zeuginnen stellten, so wie sie von diesen geschildert worden seien, keinen wichtigen Kündigungsgrund dar. Die Zeuginnen Bö, Ko und O hätten sich das Verhalten des Klägers sofort verbeten, es jedoch offensichtlich nicht als übermäßig schwerwiegend angesehen, da sie nicht mit einem Vorgesetzten darüber gesprochen und auch nicht weiteren Kontakt oder weitere Zusammenarbeit mit dem Beteiligten abgelehnt hätten. Die Vorfälle hätten sich in den Jahren 1980 und 1981 ereignet. Auch die Zeugin K habe nur Vorfälle aus den Jahren 1977 und 1981 geschildert. Das Verhalten des Beteiligten habe sich somit nicht negativ auf die betriebliche Zusammenarbeit ausgewirkt. Von einer Vernehmung der Zeugin B sei abzusehen gewesen, weil auch insoweit der Sachvortrag der Antragstellerin nicht erkennen lasse, wie sich die behaupteten unsittlichen Berührungen und die Beleidigungen durch den Beteiligten auf den Betriebsablauf ausgewirkt haben könnten.
Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen.
Mit der durch Senatsbeschluß vom 21. Februar 1985 - 2 ABN 40/84 - zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren Ersetzungsantrag weiter. Der Antragsgegner und der Beteiligte beantragen, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
II. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.
1. Das Beschwerdegericht hat den Ersetzungsantrag für unbegründet angesehen und hierzu im wesentlichen ausgeführt:
Was die Gründe für die Ablehnung der beantragten Ersetzung anbelange, schließe es sich in allen wesentlichen Punkten den Ausführungen des Arbeitsgerichts an. Insoweit werde von der Darstellung der Gründe abgesehen. Zu den Angriffen der Beschwerde gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts sei auszuführen:
Dem Ersetzungsantrag hätte möglicherweise stattgegeben werden müssen, wenn sich die Vorkommnisse, auf die er gestützt werde, unmittelbar vor Stellung des Zustimmungsantrages gegenüber dem Antragsgegner zugetragen hätten. Das Arbeitsgericht gehe von einer Einstellung aus, die notwendig zu einer Bagatellisierung des Verhaltens des Beteiligten gegenüber den betroffenen Frauen und damit zu einer Unterbewertung ihrer geschlechtlichen Ehre führe. Es gehe nicht um die Bewertung von Liebesbeziehungen zwischen dem Beteiligten und weiblichen Betriebsangehörigen. Der Beteiligte habe nicht im Einverständnis mit den betroffenen Frauen gehandelt und ihr Einverständnis auch nicht voraussetzen können. Er habe in jedem Falle bei den Belästigungen seine betriebliche Stellung als Vorgesetzter und Betriebsratsvorsitzender ausgenutzt.
Gleichwohl sehe das Beschwerdegericht keine Möglichkeit, die Zustimmung zu ersetzen. Die menschlichen Entgleisungen des Beteiligten reichten nicht bis in die Zeit unmittelbar vor der Antragstellung gegenüber dem Betriebsrat. Durch Zeitablauf könne eine zunächst zulässige Rechtsausübung unzulässig werden. Hier sei es zugunsten des Beteiligten, unabhängig vom Zeitpunkt der Kenntnisnahme von den Vorkommnissen durch die Antragstellerin, der Einwand der Verwirkung. Ganz allgemein habe der Zeitablauf zur Folge, daß Vorkommnisse je nach ihrer Intensität schneller oder langsamer an Gewicht verlören. Die Verwirkung könne auch eintreten, wenn der Berechtigte von seinem Recht keine Kenntnis erlangt habe. Hier habe der Zeitpunkt, zu welchem die Antragstellerin von den Vorkommnissen Kenntnis erlangt habe, deshalb außer Betracht zu bleiben, weil die Übergriffe des Beteiligten nicht gegen die Antragstellerin gerichtet gewesen seien. Ihr Verhältnis zu dem Beteiligten werde durch die Vorkommnisse nur indirekt berührt. Es sei kein Grund ersichtlich, warum es der Antragstellerin unmöglich sein sollte, in Zukunft mit dem Beteiligten störungsfrei zusammenzuarbeiten.
Die Schuld des Beteiligten sei inzwischen auch dadurch geringer geworden, daß sich bei ihm ein gewisser Lernprozeß vollzogen habe, wie im Anhörungstermin vor der Beschwerdekammer festgestellt worden sei. Das rechtfertige es, bezogen auf den Zeitpunkt der Antragstellung beim Betriebsrat, die Handlungsweise des Beteiligten milder zu beurteilen, als es vielleicht zum Zeitpunkt des Vertragsverstoßes der Fall gewesen wäre.
2. Gegen diese Würdigung wendet sich die Rechtsbeschwerde mit Erfolg.
a) Wie beide Vorinstanzen im Ausgangspunkt zutreffend angenommen haben, entscheidet das Gericht bereits im Ersetzungsverfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG darüber, ob ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vorliegt. Das Arbeitsgericht hat damit eine Entscheidung zu treffen, die praktisch den Kündigungsschutzprozeß vorwegnimmt. Wenn es durch Beschluß die Zustimmung des Betriebsrats ersetzt, dann wird damit zugleich festgestellt, daß für die Ersetzung ein Gestaltungs- oder Verpflichtungsgrund bestanden hat, weil die Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt werde (BAG 26, 219; 27, 113 = AP Nr. 1 und 3 zu § 103 BetrVG 1972). Ferner gilt auch für die außerordentliche Kündigung gegenüber den Arbeitnehmern, die - wie der Betriebsrat - den besonderen Kündigungsschutz des § 15 KSchG genießen, die Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB. Sie beginnt auch im Regelungsbereich des § 103 Abs. 2 BetrVG mit der Kenntnis des Arbeitgebers von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen. Der Arbeitgeber muß deshalb innerhalb dieser Frist das Zustimmungsverfahren bei dem Betriebsrat einleiten und, wenn der Betriebsrat die Zustimmung verweigert oder diese wegen Ablaufs der entsprechend § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG geltenden Erklärungsfrist als verweigert gilt, auch den Ersetzungsantrag beim Arbeitsgericht stellen (BAG 29, 270 = AP Nr. 10 zu § 103 BetrVG 1972).
b) Soweit das Beschwerdegericht das Recht des Antragstellers, dem Beteiligten wegen des ihm zur Last gelegten sittlichen Fehlverhaltens gegenüber weiblichen Angestellten und Auszubildenden aus wichtigem Grund außerordentlich zu kündigen, als verwirkt angesehen hat, kann ihm nicht gefolgt werden.
aa) Wie der Senat in dem von der Rechtsbeschwerde angezogenen Urteil BAG 29, 158, 168 (AP Nr. 11 zu § 626 BGB Ausschlußfrist, zu III 3 der Gründe) ausgeführt hat, ist der Einwand der materiell-rechtlichen Verwirkung eines Rechts ein Sonderfall des Verbots der unzulässigen Rechtsausübung. Verwirkt ist ein Anspruch oder ein Recht wie das Kündigungsrecht dann, wenn der Berechtigte längere Zeit hindurch untätig geblieben ist, dadurch den Eindruck erweckt hat, er wolle das Recht nicht mehr geltend machen, sein Vertragspartner sich auf den dadurch geschaffenen Vertrauenstatbestand eingestellt hat und es ihm deshalb nicht mehr zugemutet werden kann, sich auf das verspätete Begehren des Berechtigten zu berufen. Eine Verwirkung des Kündigungsrechts setzt somit jedenfalls voraus, daß hiervon der Kündigungsberechtigte Kenntnis hatte. Für diesen Fall greift aber die Sondervorschrift des § 626 Abs. 2 BGB ein. Mit diesen Ausführungen hat der Senat nicht allgemein den Eintritt der Verwirkung eines Rechts nach § 242 BGB von der Kenntnis des Berechtigten von den sein Recht begründenden Tatsachen abhängig gemacht (insoweit unzutreffend Herschel, AR- Blattei, Kündigung VIII, Anm. zu Entscheidung 56). Er hat vielmehr nur die Auffassung vertreten, die Verwirkung des Rechts zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund werde durch § 626 Abs. 2 BGB konkretisiert und deshalb sei eine Verwirkung dieses Rechts ohne diese Kenntnis des Kündigungsberechtigten nicht möglich (vgl. Bleistein, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 2. Aufl., Rz 134; KR-Hillebrecht, 2. Aufl., § 626 BGB Rz 219; MünchKomm-Schwerdtner, BGB, § 626 Rz 131; Staudinger/Neumann, BGB, 12. Aufl., § 626 Rz 70). Bei der in dieser Bestimmung enthaltenen Zwei-Wochen-Frist handelt es sich um eine materiell- rechtliche Ausschlußfrist für die Kündigungserklärung, die sachlich den Tatbestand einer Verwirkung des wichtigen Grundes wegen des reinen Zeitablaufs regelt. Nach ihrem Ablauf greift die unwiderlegliche gesetzliche Vermutung ein, daß auch ein möglicherweise erheblicher wichtiger Grund nicht mehr geeignet ist, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar zu machen (BAG 24, 341, 343 = AP Nr. 3 zu § 626 BGB Ausschlußfrist, zu I 2 der Gründe).
Dieser Auffassung stehen die vom Rechtsbeschwerdegegner angezogenen Urteile des Ersten Senats vom 5. August 1969 (- 1 AZR 441/68 - AP Nr. 18 zu § 794 ZPO) und des Bundesgerichtshofs (BGHZ 25, 47, 52) sowie das Urteil des erkennenden Senats vom 28. Juli 1960 (- 2 AZR 105/59 - AP Nr. 17 zu § 242 BGB Verwirkung) nicht entgegen. Danach kommt es bei der allgemeinen Verwirkung nach § 242 BGB grundsätzlich nicht auf ein von dem Berechtigten zu vertretendes Verhalten, sondern auf den objektiv von ihm geschaffenen Rechtsschein ohne Rücksicht auf den Grund hierfür an, so daß sie auch unabhängig von der Kenntnis des Berechtigten von den anspruchsbegründenden Tatsachen eintreten kann (insoweit zutreffend Herschel, aaO). Hinsichtlich des Rechts zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund stellt jedoch § 626 Abs. 2 BGB eine Sonderregelung dar, die für den Eintritt der Verwirkung die Kenntnis des Berechtigten voraussetzt, andererseits aber bei Erfüllung dieser Voraussetzung dann die Verwirkung durch reinen Zeitablauf eintreten läßt, ohne daß, im Gegensatz zur allgemeinen Verwirkung nach § 242 BGB, noch weitere Bedingungen (Umstandsmoment, vgl. dazu das Senatsurteil vom 28. Juli 1960, aaO) erfüllt sein müssen.
bb) Das Beschwerdegericht hat somit den Verwirkungseinwand bereits deshalb zu Unrecht durchgreifen lassen, weil es die Kenntnis der Antragstellerin von den zur Rechtfertigung der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung vorgetragenen Tatsachen für unerheblich gehalten hat. Es hat ausdrücklich aufgeführt, die Verwirkung könne auch ohne Kenntnis des Berechtigten von seinem Recht eintreten, und es deshalb für bedeutungslos angesehen, ob die Antragstellerin erst unmittelbar vor der Antragstellung gegenüber dem Antragsgegner von den behaupteten Vorfällen Kenntnis erlangt hatte.
c) Auf der unrichtigen Annahme der Verwirkung beruht auch der angefochtene Beschluß.
Das Berufungsgericht führt zwar einleitend aus, es schließe sich in allen wesentlichen Punkten den Ausführungen des Arbeitsgerichts an. Anschließend bemerkt es jedoch, dem Ersetzungsantrag hätte möglicherweise stattgegeben werden müssen, wenn sich die Vorkommnisse unmittelbar vor Stellung des Zustimmungsantrages zugetragen hätten. Es beanstandet an der Würdigung des Arbeitsgerichts, es habe verkannt, daß der Beteiligte nicht im Einverständnis der betroffenen Frauen gehandelt habe, ein solches auch nicht habe voraussetzen dürfen und in Ausnützung seiner Stellung als Vorgesetzter gehandelt habe. Gleichwohl könne dem Ersetzungsantrag nicht stattgegeben werden, weil das Kündigungsrecht verwirkt sei. Hieraus wird deutlich, daß das Beschwerdegericht die Würdigung des Arbeitsgerichts, es liege kein wichtiger Grund vor, nicht als Haupt- oder Hilfsbegründung übernehmen und lediglich die Verwirkung als weitere Entscheidungsgrundlage hinzufügen wollte.
Gleiches gilt für den abschließenden Hinweis des Beschwerdegerichts, die Schuld des Beteiligten sei inzwischen auch geringer geworden, daß sich bei ihm ein gewisser Lernprozeß vollzogen habe und es deshalb gerechtfertigt sei, seine Handlungsweise milder zu beurteilen als vielleicht im Zeitpunkt des Vertragsverstoßes. In jedem Fall kommt in diesen Ausführungen nicht klar zum Ausdruck, daß das Beschwerdegericht insoweit eine eigenständige weitere Begründung geben und nicht nur einen die vorausgegangenen Ausführungen zur Verwirkung unterstützenden Gesichtspunkt anführen wollte.
3. Der Rechtsstreit muß somit zurückverwiesen werden (§ 565 Abs. 1 ZPO). Das Beschwerdegericht hat nunmehr zunächst den umstrittenen Sachverhalt zur Wahrung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu klären und, falls diese Frist gewahrt sein sollte, zu prüfen, ob ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung vorgelegen hat. Hierfür weist der Senat auf folgendes hin:
a) Beide Vorinstanzen sind dem unter Beweis gestellten und von der Antragstellerin bestrittenen Vortrag des Antragsgegners nicht nachgegangen, die Mitglieder der Geschäftsleitung M, Ba und Ro hätten sich bereits in der Zeit vom 16. bis 20. April 1983 von dem gesamten Kündigungssachverhalt durch die Zeuginnen K, Ko, B, O und Bö unterrichten lassen. Die Zeugin O habe auch bekundet, die Zeugin K habe ihr am 18. April 1983 erzählt, daß sie mit Herrn M über die Vorfälle gesprochen habe. Erfuhr die Geschäftsleitung noch vor dem 21. April durch die betroffenen Zeuginnen von den wesentlichen Umständen der einzelnen Vorgänge, so war die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB am 4. Mai 1983 abgelaufen und der erst am 5. Mai bei Gericht eingegangene und zur Fristwahrung erforderliche Ersetzungsantrag verspätet.
b) Sollte die Ausschlußfrist gewahrt sein, so bestehen gegen die Würdigung der Aussagen der vernommenen Zeuginnen durch das Arbeitsgericht insbesondere insoweit Bedenken, wie es um Zudringlichkeiten des Beteiligten diesen Zeuginnen gegenüber geht. Hierauf hat das Beschwerdegericht bereits zutreffend hingewiesen, diesen Vorfällen aber nur wegen der nach seiner Ansicht eingetretenen Verwirkung keine Bedeutung mehr beigemessen.
aa) Treffen die Aussagen der Zeuginnen zu, so hat der Beteiligte in seiner Eigenschaft als Ausbilder in der Abteilung Bestandskontrolle unter anderem Auszubildende (Zeuginnen Bö und O) mehrfach unsittlich berührt. Diese Vorfälle ereigneten sich zum Teil in der Zeit, in der ihm nach Darstellung des Antragsgegners die Ausbildung entzogen war (März 1980), teilweise in der Zeit, in der er wieder als Ausbilder eingesetzt war (ab September 1981). Aus dem Umstand, daß die Zeuginnen es dabei bewenden ließen, sich diese Zudringlichkeiten zu verbitten und nicht ihre Vorgesetzten unterrichteten, kann nicht gefolgert werden, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beteiligten sei der Antragstellerin zumutbar gewesen, weil der Betriebsablauf durch sein Verhalten nicht wesentlich beeinträchtigt worden sei. Es ist auch denkbar, daß sie sich nicht beschwerten, weil sie sich - zum Teil als Auszubildende - vom Antragsgegner abhängig fühlten. Es kommt auch nicht allein auf die Beurteilung des Verhaltens durch die Betroffenen, sondern darauf an, ob das Vertrauensverhältnis, das zwischen einem als Ausbilder eingesetzten Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber hinsichtlich der moralischen Integrität des Ausbilders bestehen muß, durch ein solches Verhalten erschüttert wird. Deshalb ist auch für die Beurteilung der Zumutbarkeitsfrage der vom Beschwerdegericht in anderem Zusammenhang betonte Gesichtspunkt unerheblich, das Verhalten des Beteiligten habe sich nicht gegen die Antragstellerin gerichtet, sondern ihr Verhältnis zu ihm nur indirekt berührt.
bb) Dieses Verhalten des Beteiligten liegt nach den Aussagen der Zeuginnen mehr als ein Jahr oder zwei Jahre - gegenüber der Zeugin K teilweise noch länger - vor der Antragstellung zurück. Der Zeitablauf kann zwar auch für die Würdigung eines Ereignisses unter dem Gesichtspunkt des wichtigen Grundes von Bedeutung sein. Eine außerordentliche Kündigung kann nur auf solche Gründe gestützt werden, die sich konkret nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken. Da der Kündigungsgrund seiner Natur nach zukunftsbezogen ist, kommt es auf seine Auswirkungen für die Zukunft an. Zurückliegende Ereignisse, die das Arbeitsverhältnis nicht mehr belasten, sind auch dann unerheblich, wenn sie zunächst schwerwiegend waren. Entscheidend ist, ob die Gründe ein Indiz für die künftige Belastung des Arbeitsverhältnisses sind (vgl. KR-Hillebrecht, aaO, § 626 BGB Rz 89, m. w. N.). Im vorliegenden Fall handelt es sich bei den von den Zeuginnen bekundeten Zudringlichkeiten des Beteiligten aber um Störungen im Vertrauensbereich der Vertragspartner. Wie bereits ausgeführt, muß der Arbeitgeber insbesondere auf die moralische Integrität seiner Ausbilder vertrauen können. Dem Beteiligten waren nach der Darstellung des Antragsgegners nach einer Unterbrechung ab März 1980 von September 1981 an wie in der Zeit zuvor Auszubildende für jeweils zwei Monate in der Bestandskontrolle zur Ausbildung anvertraut. Ist er nach der Darstellung der Zeuginnen auch noch zu diesem Zeitpunkt ihnen gegenüber handgreiflich geworden, so kann sein Verhalten insgesamt deswegen auch noch im Zeitpunkt der Antragstellung im Frühjahr 1983 das Vertrauensverhältnis der Vertragspartner belastet haben.
Dies gilt um so mehr, als der Beteiligte, trifft die Aussage der Zeugin Ko zu, diese noch am 15. April 1983 gefragt hat, ob sie wisse, warum die Zeugin K bei seinem Anblick in sinnliche Erregung gerate. Eine solche Äußerung ist geeignet, die Ehre der Zeugin K herabzusetzen, und zwar auch dann, wenn sie nicht unmittelbar in einem Gespräch mit der Zeugin K erfolgt sein sollte. Dieses Verhalten wäre vielmehr ein Anzeichen dafür, daß der Beteiligte jedenfalls insoweit seine Einstellung zu den weiblichen Angestellten nicht geändert hatte.
cc) Eine Abmahnung des Beteiligten als Voraussetzung für eine außerordentliche Kündigung ist hinsichtlich dieses Verhaltens nicht erforderlich. Ist der Vertrauensbereich der Vertragspartner betroffen, bedarf es einer Abmahnung nur, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen (vgl. Senatsurteil vom 30. Juni 1983 - 2 AZR 524/81 -, EzA § 1 KSchG Tendenzbetrieb Nr. 14, zu IV 1 der Gründe).
Hillebrecht Triebfürst Dr. Weller
Dr. Wolter Mauer
Fundstellen
Haufe-Index 437447 |
DB 1986, 1339-1340 (LT1) |
NJW 1986, 2338 |
AuB 1986, 296-296 (T) |
EzB BGB § 626, Nr 25 |
ARST 1987, 38-39 (LT1) |
NZA 1986, 467-468 (LT1) |
RdA 1986, 139 |
RzK II 3, 10 (LT1, ST1) |
AP § 626 BGB Ausschlußfrist (LT1), Nr 20 |
AR-Blattei, ES 1010.8 Nr 67 (LT) |
AR-Blattei, Kündigung VIII Entsch 67 (LT) |
EzA § 626 BGB nF, Nr 98 (LT1) |