Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewerkschaftseigenschaft einer Arbeitnehmervereinigung
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Arbeitnehmervereinigung muß Mindestvoraussetzungen erfüllen, um tariffähig und damit eine Gewerkschaft im Sinne von § 2 Abs 1 TVG zu sein. Die Arbeitnehmervereinigung muß sich als satzungsgemäße Aufgabe die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer gesetzt haben und willens sein, Tarifverträge abzuschließen. Sie muß frei gebildet, gegnerfrei, unabhängig und auf überbetrieblicher Grundlage organisiert sein und das geltende Tarifrecht als verbindlich anerkennen.
2. Tariffähigkeit setzt weiter voraus, daß die Arbeitnehmervereinigung ihre Aufgabe als Tarifpartner sinnvoll erfüllen kann. Das kann sie nur bei setzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler und bei ausreichender Leistungsfähigkeit ihrer Organisation (im Anschluß an BAG Beschluß vom 10. September 1985 - 1 ABR 32/83 = AP Nr 34 zu § 2 TVG, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt).
a. Im Einzelfall kann sich die Durchsetzungskraft einer Arbeitnehmervereinigung darin zeigen, daß sie schon aktiv in den Prozeß der tariflichen Regelung eingegriffen hat.
b. Der Abschluß von Anschlußtarifverträgen kann ein Indiz für die erforderliche Durchsetzungskraft sein. Es muß aber auch in diesem Fall geprüft werden, ob die Arbeitnehmervereinigung von der Arbeitgeberseite ernst genommen wurde, ob diese Verträge das Ergebnis von Verhandlungen sind oder ob sie einem Diktat der Arbeitgeberseite entspringen (im Anschluß an BVerfG 20.10.1981 - 1 BvR 404/78 = BVerfGE 58, 233 = AP Nr 31 zu § 2 TVG).
3a. Die Arbeitnehmervereinigung kann selbst die Feststellung beantragen, sie sei tariffähig und damit eine Gewerkschaft im Sinne von § 2 TVG.
b. Von Amts wegen sind an einem Beschlußverfahren mit diesem Antrag die Spitzenorganisationen der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite sowie die oberste Arbeitsbehörde des Bundes zu beteiligen.
c. Konkurrierende Gewerkschaften können sich am Verfahren beteiligen.
Orientierungssatz
Die Frage, ob die antragstellende Arbeitnehmervereinigung tariffähig und damit eine Gewerkschaft ist, war bereits Gegenstand eines Verfahrens, das durch Beschluß des Senats vom 14. März 1987 (1 ABR 2/75 = AP Nr 3 zu § 97 ArbGG 1953) abgeschlossen wurde. In diesem Verfahren wurde der Antrag der Arbeitnehmervereinigung abgewiesen. Eine von der Vereinigung eingelegte fassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG Beschluß vom 7. November 1978 - 1 BvR 411/78).
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 3; TVG § 2 Abs. 1; ArbGG § 97 Abs. 1 Fassung: 1979-07-02, § 2a Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1979-07-02
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 06.11.1984; Aktenzeichen 3 TaBV 41/83) |
ArbG Essen (Entscheidung vom 02.02.1983; Aktenzeichen 5 BV 47/82) |
Gründe
A. Die Arbeitnehmervereinigung unter dem Namen "Christliche Gewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie (CGBCE)" will festgestellt wissen, daß sie eine Gewerkschaft im arbeitsrechtlichen Sinne ist.
Die antragstellende Arbeitnehmervereinigung entstand 1973 aus dem Zusammenschluß der "Christlichen Gewerkschaft Bergbau und Energie" und der "Gewerkschaft Papier-Chemie-Keramik-Glas im CGB". Die "Christliche Gewerkschaft Bergbau und Energie" war die Nachfolgeorganisation des Christlichen Bergarbeiterverbandes. Diese Arbeitnehmervereinigung gehörte zu den Christlichen Gewerkschaften, die schon in der Weimarer Zeit bestanden und in den fünfziger Jahren wiedergegründet wurden. Dachverband dieser Christlichen Arbeitnehmervereinigungen ist der Christliche Gewerkschaftsbund Deutschland (CGB), Bonn, dem Arbeitnehmervereinigungen der Arbeiter, der Angestellten und der Angehörigen des öffentlichen Dienstes ("Drei-Säulen-Struktur") angehören. Der Zusammenschluß der Arbeitervereinigungen führt den Namen "Gesamtverband der Christlichen Gewerkschaften Deutschlands (CGD)". Diesem Verband gehörten der Christliche Bergarbeiterverband, die Christliche Gewerkschaft Bergbau und Energie und die antragstellende Arbeitnehmervereinigung an.
Die antragstellende Arbeitnehmervereinigung verfolgt nach § 2 ihrer Satzung folgenden Zweck:
"Die Wahrung der geistigen und materiellen In-
teressen der Mitglieder auf christlich-sozia-
ler Grundlage, die Schaffung von Eigentum, Mit-
eigentum und Mitbestimmung, und die Erstrebung
einer Staats-, Gesellschafts- und Wirtschafts-
ordnung nach christlichen Grundsätzen."
Nach § 3 der Satzung sind Mittel zur Erreichung der Zwecks insbesondere:
"a) Regelung der Arbeitsbedingungen durch Ab-
schluß von Tarifverträgen, durch Schlich-
tungsverfahren, sowie über Durchführung
von Arbeitskämpfen."
Der Kreis der möglichen Mitglieder umfaßt nach § 1 Abs. 3 der Satzung
"die Arbeitnehmer der
a) Bergbauindustrie,
b) chemischen und Gummi-Industrie,
c) Energiewirtschaft,
d) Kunststoff- und Papiererzeugung,
e) Feinkeramik, Keramik und feuerfesten In-
dustrie,
f) Glaserzeugung, Glasveredelung und Glasver-
arbeitung,
g) Färbereien, Wäschereien, chemischen Rei-
nigungsanstalten und Gebäudereinigung
der Bundesrepublik Deutschland und Westber-
lin ..."
Es werden Beiträge gestaffelt nach den Monatsverdiensten erhoben (§ 5). Bei Arbeitskämpfen wird eine Unterstützung gezahlt (§ 11). Bei allen arbeits- und sozialgerichtlichen Streitigkeiten wird Rechtsschutz gewährt (§ 6).
Die Frage, ob die antragstellende Arbeitnehmervereinigung tariffähig und damit eine Gewerkschaft ist, war bereits Gegenstand eines Verfahrens, das durch Beschluß des Senats vom 14. März 1978 (1 ABR 2/75 - AP Nr. 3 zu § 97 ArbGG 1953) abgeschlossen wurde. In diesem Verfahren wurde der Antrag der Arbeitnehmervereinigung abgewiesen. Eine von der Vereinigung eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG Beschluß vom 7. November 1978 - 1 BvR 411/78).
Die antragstellende Arbeitnehmervereinigung ist der Ansicht, die Rechtskraft dieses Verfahrens stünde dem 1982 erneut eingeleiteten Verfahren nicht entgegen. Sie hat behauptet, sie habe heute 22.000 Mitglieder. Das sei eine deutliche Steigerung im Vergleich zu den 14.000 Mitgliedern im Jahre 1974. Ihr Schwerpunkt liege im Bereich der chemischen Industrie. In diesem Wirtschaftszweig habe sie 13.750 Mitglieder. In der keramischen Industrie mit Schwerpunkt in Rheinland-Pfalz und dem Bayerischen Wald hätten sich 2.000 Arbeitnehmer angeschlossen; aus dem Wirtschaftszweig Bergbau und Steinkohle gehörten ihr 1.500 Mitglieder mit den Schwerpunkten Saargebiet, Aachen, Niederrhein und Westfalen-Lippe an. In der Glasindustrie habe sie 1.500 Mitglieder organisiert. Gemeinsam mit dem Deutschen Handels- und Industrieangestelltenverband im CGB und dem Verband der weiblichen Angestellten im CGB habe sie mit regionalen Arbeitgeberverbänden der chemischen Industrie Tarifverträge abgeschlossen. Im Bereich der keramischen Industrie gäbe es Tarifverträge mit dem Rheinischen Unternehmerverband Steine und Erden e.V., Neuwied, und mit dem Arbeitgeberverband Natursteinindustrie NRW, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz e.V., Bonn. Im Bereich der Energiewirtschaft sei es noch zu keinem Tarifabschluß gekommen, es bestünden aber Kontakte zum Arbeitgeberverband. Im Bereich des Bergbaus lehnten die Arbeitgeber Tarifverhandlungen ab, solange nicht die Industriegewerkschaft Bergbau und Energie dem zustimme. Sie beschäftige insgesamt 19 hauptamtliche Gewerkschaftssekretäre und unterhalte im Bundesgebiet zahlreiche Verwaltungsstellen. Bei den Aufsichtsratswahlen 1978 und den Betriebsratswahlen 1981 hätten ihre Mitglieder Mandate errungen. Ihre Mitglieder seien auch in den Selbstverwaltungsorganen der Berufsgenossenschaft, den Allgemeinen Ortskrankenkassen, Betriebskrankenkassen und als ehrenamtliche Richter in der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit tätig. Sie schule und bilde ihre Mitglieder in eigenen Veranstaltungen.
Die antragstellende Arbeitnehmervereinigung hat beantragt
festzustellen, daß sie eine Gewerkschaft
im arbeitsrechtlichen Sinne ist.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Industriegewerkschaft Bergbau und Energie, die Industriegewerkschaft Chemie-Papier-Keramik und die Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden haben beantragt, diesen Antrag als unzulässig, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.
Das Arbeitsgericht Essen hat dem Antrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat ihn zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde will die antragstellende Arbeitnehmervereinigung erreichen, daß die erstinstanzliche Entscheidung wiederhergestellt wird.
B. Die zulässige Rechtsbeschwerde der antragstellenden Arbeitnehmervereinigung führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.
I. Der Antrag ist zulässig.
1. Die zur Entscheidung gestellte Frage, ob die antragstellende Vereinigung von Arbeitnehmern eine Gewerkschaft im arbeitsrechtlichen Sinne ist, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats eine Frage nach ihrer Tariffähigkeit. Über die Tariffähigkeit einer Vereinigung ist nach § 2 a Abs. 1 Nr. 3 ArbGG in Verb. mit § 97 Abs. 1 ArbGG im Beschlußverfahren zu entscheiden.
2. Der Antrag kann von der Vereinigung, deren Tariffähigkeit umstritten ist, selbst gestellt werden. Zwar nennt § 97 Abs. 1 ArbGG als Antragsteller lediglich räumlich und sachlich zuständige Vereinigungen von Arbeitnehmern oder Arbeitgebern sowie die obersten Arbeitsbehörden des Bundes und der Länder. Nach § 97 Abs. 2 ArbGG sind jedoch die Vorschriften der §§ 80 bis 84, 87 bis 96 a ArbGG entsprechend anzuwenden. Damit gilt in diesem Verfahren auch § 81 ArbGG. Nach dieser Vorschrift ist antragsbefugt jeder, der geltend macht, durch die erbetene Entscheidung in seiner rechtlichen Stellung betroffen zu sein. Die Entscheidung, ob die antragstellende Arbeitnehmervereinigung tariffähig und damit eine Gewerkschaft ist, betrifft deren rechtliche Stellung im Arbeitsleben. Sie muß daher die Möglichkeit haben, eine bindende Entscheidung über ihre Tariffähigkeit herbeizuführen (Beschluß des Senats vom 15. März 1977, BAG 29, 72 = AP Nr. 24 zu Art. 9 GG).
3. Am Verfahren sind diejenigen Stellen und Organisationen, die von Amts wegen zu beteiligen sind, beteiligt worden.
a) Das Landesarbeitsgericht hat zwar die Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden (IG Bau) und die Gewerkschaft Textil-Bekleidung (GTB) am Verfahren nicht beteiligt. Diese beiden Gewerkschaften sind räumlich und sachlich zuständige Vereinigungen von Arbeitnehmern im Sinne von § 97 Abs. 1 ArbGG. Ihr Organisationsbereich deckt sich teilweise mit dem von der antragstellenden Arbeitnehmervereinigung in Anspruch genommenen Zuständigkeitsbereich. Das ist jedoch unschädlich. Von Amts wegen brauchten nur die Spitzenorganisationen beteiligt zu werden.
§ 97 Abs. 1 ArbGG bestimmt, welche Vereinigungen antragsbefugt sind. Welche Vereinigungen in einem anhängigen Verfahren von Amts wegen zu beteiligen sind, ergibt sich aus § 83 Abs. 3 ArbGG, der gemäß § 97 Abs. 2 ArbGG entsprechend anzuwenden ist. Danach sind im Verfahren "der Arbeitgeber" und "die Arbeitnehmer" zu hören. Für ein Verfahren nach § 97 in Verb. mit § 2 a Abs. 1 Nr. 3 ArbGG, in dem es nicht um die Entscheidung eines konkreten Rechtsverhältnisses geht, an dem bestimmte Personen oder Stellen beteiligt sind, sondern in dem eine gegenüber jedermann wirkende Feststellung der Tariffähigkeit einer Vereinigung getroffen werden soll, kann die entsprechende Anwendung von § 83 Abs. 3 ArbGG nur bedeuten, daß in diesem Verfahren die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite zu beteiligen ist, soweit die Entscheidung sie überhaupt berühren kann. Die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite wird aber durch ihre jeweiligen Spitzenorganisationen repräsentiert. Repräsentant der Arbeitgeberseite ist daher die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Sie ist berufen, die Interessen der möglichen Tarifpartner der antragstellenden Vereinigung in diesem Verfahren geltend zu machen. Der Senat hat es deshalb in seiner Entscheidung vom 1. Februar 1983 (BAG 41, 316 = AP Nr. 14 zu § 322 ZP0) genügen lassen, daß die Interessen der handwerklichen Arbeitgeber durch den jeweiligen Bundesinnungsverband vertreten werden.
Die Interessen der Arbeitnehmerseite werden von den Spitzenverbänden der Arbeitnehmervereinigungen wahrgenommen. Das ist hier der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG) als weitere Spitzenorganisation der Arbeitnehmerseite war dagegen im vorliegenden Verfahren nicht zu beteiligen. Die DAG ist eine Angestellten-Gewerkschaft, während die antragstellende Arbeitnehmervereinigung lediglich Arbeiter organisiert. Von einer Entscheidung über die Tariffähigkeit dieser Arbeiter-Gewerkschaft werden die Interessen der von der DAG repräsentierten Angestellten nicht berührt.
Erstreckt sich die Zuständigkeit der Vereinigung, deren Tariffähigkeit umstritten ist, auf das Gebiet mehrerer Bundesländer, so ist in dem Verfahren weiter die oberste Arbeitsbehörde des Bundes zu beteiligen. Diese ist berufen und in der Lage, die Interessen der Arbeitsverwaltung auch der weiter beteiligten Länder in diesem Verfahren geltend zu machen.
Die genannten Vereinigungen und Stellen, die BDA, der DGB sowie der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung sind vom Landesarbeitsgericht beteiligt worden.
b) Die Anhörung weiterer Stellen und Vereinigungen war von Amts wegen nicht geboten. Wollte man verlangen, daß auf Arbeitgeberseite alle nur denkbaren Tarifpartner der antragstellenden Vereinigung von Amts wegen zu beteiligen sind, müßten alle regionalen und überregionalen Vereinigungen von Arbeitgebern derjenigen Wirtschaftszweige, auf die sich die Zuständigkeit der Vereinigung erstreckt, angehört werden. Weiter müßten alle nicht einer Vereinigung von Arbeitgebern angeschlossenen Arbeitgeber dieser Wirtschaftszweige beteiligt werden, da auch sie als Tarifpartner eines Firmentarifvertrags in Betracht kommen. Auf Arbeitnehmerseite müßten ebenfalls alle räumlich und sachlich zuständigen Vereinigungen von Amts wegen gehört werden. Es liegt auf der Hand, daß dem Arbeitsgericht die Ermittlung aller danach zu beteiligenden Vereinigungen und auch einzelnen Arbeitgeber praktisch unmöglich ist. Ihre Beteiligung würde zudem das Verfahren in einem Ausmaß belasten, das in keinem Verhältnis zu der Möglichkeit stünde, durch deren Anhörung Entscheidungsgrundlagen zu gewinnen, die nicht schon von den zu beteiligenden Spitzenorganisationen beigebracht werden oder ohnehin nach § 83 Abs. 1 ArbGG von Amts wegen zu ermitteln sind. Eine entsprechende Anwendung von § 83 Abs. 3 ArbGG im Verfahren nach § 97 in Verb. mit § 2 a Abs. 1 Nr. 3 ArbGG kann daher nur bedeuten, daß die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite über ihre jeweiligen Spitzenorganisationen und die Arbeitsverwaltung in der Regel über die oberste Arbeitsbehörde des Bundes von Amts wegen zu hören und damit Beteiligte des Verfahrens sind.
4. Das schließt nicht aus, daß sich - abgesehen von § 97 Abs. 5 ArbGG - weitere Personen, Vereinigungen oder Behörden am Verfahren beteiligen können. Ebenso wie eine räumlich und sachlich zuständige Vereinigung von Arbeitnehmern oder Arbeitgebern durch einen entsprechenden Antrag ein Verfahren nach § 97 ArbGG anhängig machen kann, kann sie sich dadurch, daß sie einen eigenen auf die Tariffähigkeit der umstrittenen Vereinigung bezogenen Antrag stellt, an einem schon anhängigen Verfahren beteiligen. Das haben im vorliegenden Falle die IG Bergbau und Energie, die IG Chemie- Papier-Keramik und die IG Bau-Steine-Erden getan. Sie haben ebenso wie der DGB beantragt, den Antrag der Christlichen Gewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie abzuweisen. Sie wollen damit erreichen, daß die antragstellende Arbeitnehmervereinigung nicht tariffähig ist. Damit sind diese genannten drei Gewerkschaften Beteiligte des vorliegenden Verfahrens geworden. Sie waren daher auch berechtigt, gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts das Rechtsmittel der Beschwerde einzulegen.
5. Das Verfahren ist in die Beschwerdeinstanz gelangt. Jedenfalls die IG Chemie hat wirksam Beschwerde gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts eingelegt.
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts ist von der IG Chemie und der IG Bergbau mit der Beschwerde angefochten worden. Das Landesarbeitsgericht hat diese beiden Beschwerden für zulässig gehalten. Diese Entscheidung ist jedenfalls hinsichtlich der Beschwerde der IG Chemie nicht zu beanstanden. Ob auch die Beschwerde der IG Bergbau ordnungsgemäß begründet und damit zulässig war, kann dahingestellt bleiben. Wird im Beschlußverfahren nach § 97 ArbGG ein zulässiges Rechtsmittel von einem Beteiligten eingelegt, so führt dies dazu, daß der Rechtsstreit hinsichtlich aller Beteiligten in die Rechtsmittelinstanz gelangt, da über den Streitgegenstand hinsichtlich aller Beteiligten nur einheitlich entschieden werden kann (vgl. Beschluß des Senats vom 14. März 1978 - 1 ABR 2/75 - AP Nr. 3 zu § 97 ArbGG 1953).
6. Die Rechtskraft der Entscheidung des Senats vom 14. März 1978 in dem vorausgegangenen Verfahren (- 1 ABR 2/75 - AP Nr. 3 zu § 97 ArbGG 1953) steht einer Sachentscheidung in diesem Verfahren nicht entgegen. Auch darin ist dem Landesarbeitsgericht beizupflichten.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind zwar Beschlüsse im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren der materiellen Rechtskraft fähig (vgl. zuletzt Beschluß des Senats vom 1. Februar 1983, BAG 41, 316 = AP Nr. 14 zu § 322 ZP0). Die materielle Rechtskraft einer Entscheidung steht jedoch einer erneuten Sachentscheidung dann nicht entgegen, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse gegenüber demjenigen Sachverhalt, der Grundlage der rechtskräftigen Entscheidung war, erheblich verändert haben, und zwar in einem Ausmaß, das die Feststellung verbietet, der hinsichtlich der nunmehr vorliegenden tatsächlichen Verhältnisse bestehende Streit der Verfahrensbeteiligten sei schon gerichtlich entschieden worden (Beschluß des Senats vom 1. Februar 1983, aa0). Das ist hier der Fall.
Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß sich seit dem Schluß der letzten mündlichen Anhörung im vorausgegangenen Verfahren am 6. November 1974 eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ergeben hat. Während im damaligen Verfahren wegen des unmittelbar voraufgegangenen Zusammenschlusses zweier Vereinigungen noch darüber Unklarheit bestand, wem die Angaben zur organisatorischen Stärke und zu den bis dahin erfolgten Tarifabschlüssen zugeordnet werden konnten, kann die antragstellende Arbeitnehmervereinigung in diesem Verfahren zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Anhörung vor dem Beschwerdegericht am 6. November 1984 auf einen mehr als 10jährigen Bestand als Arbeitnehmervereinigung verweisen. Nach dem 6. November 1974 ist sie unter ihrem jetzigen Namen im Arbeitsleben in Erscheinung getreten. Sie hat unter diesem Namen zahlreiche Tarifverträge abgeschlossen; sie hat ihren Mitgliederbestand erheblich erweitert und eine eigene Verwaltung mit 19 hauptamtlichen Sekretären und mit Schreibkräften aufgebaut. Die im vorausgegangenen Verfahren noch offen gebliebene Frage, "um wen es sich bei der Antragstellerin handele", ist damit heute eindeutig beantwortet.
II. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, ob die antragstellende Arbeitnehmervereinigung tariffähig und damit eine Gewerkschaft ist.
1. Tariffähigkeit im Sinne von § 97 Abs. 1 in Verb. mit § 2 a Abs. 1 Nr. 3 ArbGG bedeutet die Fähigkeit, einen Tarifvertrag im Sinne von § 1 TVG abschließen zu können. Diese Tariffähigkeit besitzen u.a. Gewerkschaften (§ 2 Abs. 1 TVG); sie können Tarifvertragspartei sein. Weder das Tarifvertragsgesetz noch das Grundgesetz haben jedoch geregelt, wann eine Arbeitnehmervereinigung als Gewerkschaft im Sinne von § 2 Abs. 1 TVG anzusehen ist. Solange der Gesetzgeber auf die Normierung der Voraussetzungen für die Gewerkschaftseigenschaft und die Tariffähigkeit im einzelnen verzichtet hat, sind deshalb die Gerichte der Arbeitsgerichtsbarkeit gehalten, die unbestimmten Rechtsbegriffe im Wege der Auslegung des Tarifvertragsgesetzes im Lichte des Art. 9 Abs. 3 GG auszufüllen. Sie müssen die Voraussetzungen für die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung beschreiben (BVerfG Beschluß vom 20. Oktober 1981 - 1 BvR 404/78 - AP Nr. 31 zu § 2 TVG, zu B I 2 der Gründe).
2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind an die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung, und damit an eine Gewerkschaft im Sinne von § 2 Abs. 1 TVG, bestimmte Mindestanforderungen zu stellen. Die Arbeitnehmervereinigung muß sich als satzungsgemäße Aufgabe die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer gesetzt haben und willens sein, Tarifverträge abzuschließen. Sie muß frei gebildet, gegnerfrei, unabhängig und auf überbetrieblicher Grundlage organisiert sein und das geltende Tarifrecht als verbindlich anerkennen (vgl. zuletzt Beschluß vom 10. September 1985 - 1 ABR 32/83 - AP Nr. 34 zu § 2 TVG, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt).
Diese Voraussetzungen erfüllt die antragstellende Arbeitnehmervereinigung. Dies hat das Landesarbeitsgericht festgestellt. An diese Feststellungen ist der Senat gebunden (§ 561 Abs. 2 ZPO).
3. a) Tariffähigkeit setzt weiter voraus, daß die Arbeitnehmervereinigung ihre Aufgabe als Tarifpartner sinnvoll erfüllen kann. Dazu gehören einmal Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler, zum anderen aber auch Leistungsfähigkeit der Organisation. Durchsetzungskraft muß eine Arbeitnehmervereinigung besitzen, um sicherzustellen, daß der soziale Gegenspieler wenigstens Verhandlungsangebote nicht übersehen kann. Ein angemessener, sozial befriedigender Interessenausgleich kann nur zustande kommen, wenn die Arbeitnehmervereinigung zumindest soviel Druck ausüben kann, daß sich die Arbeitgeberseite veranlaßt sieht, sich auf Verhandlungen über eine tarifliche Regelung von Arbeitsbedingungen einzulassen. Die Arbeitnehmervereinigung muß von ihrem sozialen Gegenspieler ernst genommen werden, so daß die Regelung der Arbeitsbedingungen nicht einem Diktat der Arbeitgeberseite entspringt, sondern tatsächlich ausgehandelt wird. Dabei kann der Inhalt des Tarifvertrags selbst unberücksichtigt bleiben. Denn der Inhalt hängt von der unterschiedlichen Stärke der Vereinigungen auf der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberseite ab. Ob eine Arbeitnehmervereinigung eine solche Durchsetzungsfähigkeit besitzt, muß im Einzelfall beurteilt werden.
b) Darüber hinaus muß die Arbeitnehmervereinigung auch von ihrem organisatorischen Aufbau her in der Lage sein, die ihr gestellten Aufgaben zu erfüllen. Der Abschluß eines Tarifvertrags erfordert Vorbereitungen. Ein Tarifvertrag muß auch tatsächlich durchgeführt werden. Dies alles muß eine Arbeitnehmervereinigung sicherstellen, um als Tarifvertragspartei Tarifverträge abschließen zu können (vgl. BAG Beschluß vom 10. September 1985 - 1 ABR 32/83 - AP Nr. 34 zu § 2 TVG, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt).
c) Diese Rechtsprechung des Senats ist vom Bundesverfassungsgericht wiederholt, zuletzt in der Entscheidung vom 20. Oktober 1981 (BVerfGE 58, 233 = AP Nr. 31 zu § 2 TVG) gebilligt worden. Danach ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung von gewissen Mindestvoraussetzungen abhängig gemacht wird. Allerdings dürfen keine Anforderungen an die Tariffähigkeit gestellt werden, die die Bildung und Betätigung einer Koalition unverhältnismäßig einschränken und so zur Aushöhlung der durch Art. 9 Abs. 3 GG gesicherten freien Koalitionsbildung und -betätigung führen. Die Anforderungen an Durchsetzungskraft und Leistungsfähigkeit der Organisation höhlen diese durch Art. 9 Abs. 3 GG gesicherte freie Koalitionsbildung und -betätigung nicht aus. Das Vorhandensein einer "Verbandsmacht" bei einer Arbeitnehmerkoalition ist vielmehr ein Umstand, von dem die Tariffähigkeit abhängig gemacht werden kann, weil er von der Sache selbst gefordert wird und also der im allgemeinen Interesse liegenden Aufgabe der Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens dient (vgl. BVerfGE 50, 290, 369 = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG, zu C IV 1 der Gründe; BVerfGE 58, 233, 250 = AP Nr. 31 zu § 2 TVG, zu B I 2 der Gründe). Auch wenn Durchsetzungskraft und Leistungsfähigkeit für die Tariffähigkeit vorausgesetzt werden, bleiben die Bildung und Betätigung von Koalitionen frei. Der einzelne Arbeitnehmer ist rechtlich nicht gehindert, sich einer im Aufbau befindlichen Koalition anzuschließen und dazu beizutragen, daß ihr eine entsprechende Durchsetzungskraft zukommt (BVerfGE 58, 233, 250 = AP Nr. 31 zu § 2 TVG).
d) Im Einzelfall kann sich die Durchsetzungskraft einer Arbeitnehmervereinigung darin zeigen, daß sie schon aktiv in den Prozeß der tariflichen Regelung eingegriffen hat (BAG Beschluß vom 10. September 1985, aaO). Damit sind ernsthafte Verhandlungen über den Inhalt von Tarifverträgen gemeint. Solche Verhandlungen zeigen, daß die Arbeitnehmervereinigung von der Arbeitgeberseite tatsächlich ernst genommen wurde. So war es auch in dem dem Beschluß des Senats zugrunde liegenden Beschluß vom 10. September 1985. In jenem Verfahren hatte das Landesarbeitsgericht festgestellt, daß sich die Arbeitgeberseite tatsächlich auf Verhandlungen über die tarifliche Regelung von Arbeitsbedingungen eingelassen hatte (BAG, aaO, zu B IV 2 b der Gründe).
Ist es noch nicht zu ernsthaften Verhandlungen über einen Tarifvertrag gekommen, kann im Einzelfall auch eine Prognose ausreichen. Eine Arbeitnehmervereinigung besitzt dann Gewerkschaftseigenschaft, wenn aufgrund ihrer Organisationsstärke die Aufnahme von Tarifverhandlungen ernsthaft zu erwarten ist (BAG Beschluß vom 16. November 1982 - 1 ABR 22/78 - AP Nr. 32 zu § 2 TVG).
4. Der Abschluß von Anschlußtarifverträgen kann ein Indiz für Durchsetzungskraft sein. Auch hier muß jedoch geprüft werden, ob die Arbeitnehmervereinigung von der Arbeitgeberseite ernst genommen wurde, ob der Abschluß von Anschlußtarifverträgen ausgehandelt wurde oder ob er einem Diktat der Arbeitgeberseite entspringt (BVerfGE 58, 233, 249 = AP Nr. 31 zu § 2 TVG, zu B I 3 a der Gründe).
Im vorliegenden Fall hat das Landesarbeitsgericht dem Umstand, daß die antragstellende Arbeitnehmervereinigung schon mehr als 30 Anschlußtarifverträge abgeschlossen hat, nicht die erforderliche Bedeutung beigemessen. Es hat übersehen, daß diese Anschlußtarifverträge ein Anzeichen dafür sind, daß diese Vereinigung von den Arbeitgebern ernst genommen wurde. Andererseits kann die Arbeitnehmervereinigung ihre Tariffähigkeit dann nicht mit dem Hinweis auf Anschlußtarifverträge begründen, wenn es sich um Schein- oder Gefälligkeitstarifverträge handelt. Die Anschlußtarifverträge dürfen sich auch nicht im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts als Diktat der Arbeitgeberseite darstellen (vgl. BAG Beschluß vom 14. März 1978 - 1 ABR 2/76 - AP Nr. 30 zu § 2 TVG, zu IV 5 der Gründe; BVerfGE 58, 233, 249 = AP Nr. 31 zu § 2 TVG, zu B I 2 der Gründe). Das Landesarbeitsgericht wird daher prüfen müssen, aufgrund welcher Umstände es zum Abschluß dieser Tarifverträge gekommen ist und welcher Zweck mit ihnen verfolgt wurde. So muß geklärt werden, ob die antragstellende Arbeitnehmervereinigung über die Tarifverhandlungen der Arbeitgeberseite mit den tarifvertragschließenden Gewerkschaften unterrichtet war, ob sie eigene Vorstellungen zum Inhalt des abzuschließenden Tarifvertrags entwickelt hatte, ob sie Gelegenheit hatte, vor Abschluß des (Haupt-) Tarifvertrags ihre Vorstellungen in die Tarifverhandlungen einzubringen, ob diese Vorstellungen bei den Tarifverhandlungen eine Rolle gespielt haben und schließlich, welchen Zweck die Arbeitgeberseite mit dem Abschluß eines Anschlußtarifvertrags verfolgte.
5. Die Zurückverweisung ist nicht deshalb entbehrlich, weil die Arbeitnehmervereinigung mit einem Arbeitgeber Firmentarifverträge vereinbart hat. Der einmalige selbständige Abschluß eines solchen Firmentarifvertrags besagt noch nichts über die Durchsetzungsfähigkeit der Koalition (vgl. BAG Beschluß vom 14. März 1978
- 1 ABR 2/76 - AP Nr. 30 zu § 2 TVG, zu IV 5 der Gründe; BVerfGE 58, 233, 252 = AP Nr. 31 zu § 2 TVG, zu B I 3 d der Gründe).
Dr. Kissel Dr. Heither Matthes
Wolfgang Schneider Dr. Giese
Fundstellen
Haufe-Index 436785 |
BAGE 53, 347-358 (LT1-3) |
BAGE, 347 |
BB 1987, 967 |
DB 1987, 947-948 (LT1-3) |
NJW 1987, 2038 |
JR 1987, 308 |
NZA 1987, 492-493 (LT1-3) |
NZA 1987, 56 |
AP § 2 TVG (LT1-3), Nr 36 |
AR-Blattei, Berufsverbände Entsch 28 (LT1-3) |
AR-Blattei, ES 420 Nr 28 (LT1-3) |
ArbuR 1988, 222-224 (LT1-3) |
EzA § 2 TVG, Nr 17 (LT1-3) |