Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergütungsabsenkung durch Firmentarifvertrag für Kureinrichtungen einer Krankenkasse
Leitsatz (amtlich)
Die Nachbindung an den Tarifvertrag (§ 3 Abs. 3 TVG) gilt für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen.
Normenkette
TVG §§ 1-4; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 9. Februar 2000 – 3 Sa 63/99 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Vergütungsanspruch des Klägers durch Firmentarifvertrag neben dem fortbestehenden Verbandstarifvertrag wirksam abgesenkt wurde.
Der Kläger steht seit dem 1. Januar 1978 in einem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten, zuletzt als „Dienststellenleiter der Klinik ‚Haus S’ in B”.
In dem Formulararbeitsvertrag vom 5. Dezember 1977 heißt es ua.:
„Für das Anstellungsverhältnis gilt der mit den Gewerkschaften abgeschlossene Ersatzkassentarifvertrag (EKT) mit den dazugehörigen Anlagen.
Künftige Änderungen des EKT oder an seine Stelle tretende Tarifverträge gelten vom Tage des Inkrafttretens auch für Ihr Anstellungsverhältnis.”
Der Ersatzkassentarifvertrag (EKT) bestehend aus dem Manteltarifvertrag (MTV) und diversen Anlagen, ua. Anlage 3 „Gehaltstabelle II”, wurde mit Wirkung ab 1. Januar 1962 mit späteren Änderungen von der Tarifgemeinschaft der Ersatzkassen, der die Beklagte als Mitglied angehört, einerseits und ua. von der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) andererseits abgeschlossen, deren Mitglied der Kläger von 1987 bis zum 30. September 1998 war.
Die Anlage 5 „Tätigkeitsmerkmale” ist ein „Haustarifvertrag” zwischen der Beklagten und diversen Gewerkschaften, ua. der DAG. Die Tarifgemeinschaft der Ersatzkassen ist für den Bereich „Tätigkeitsmerkmale” nicht zuständig. Der Kläger ist in der VergGr. 12 des Abschnitts D „Kureinrichtungen und Bildungszentrum” der Anlage 5 zum EKT eingruppiert. Er erhält Vergütung nach VergGr. 12. Die Höhe richtet sich nach Anlage 3 „Gehaltstabelle II” zum EKT. Danach betrug das Gehalt des Klägers für die Monate Januar bis März, Mai und Juni 1999 je 9.603,00 DM brutto, für den Monat April 1999 19.206,00 DM brutto. Diese Beträge zahlte die Beklagte unter Hinweis auf den wegen der wirtschaftlichen Folgen der Einschnitte im „Kurwesen” mit dem „Verband der weiblichen Arbeitnehmer e.V.”, dem „DHV Deutscher Handels- und Industrieangestelltenverband” und der DAG mit Wirkung zum 1. Februar 1998 abgeschlossenen gleich lautenden „Ergänzungstarifvertrag Nr. 4 b zum EKT”, einem Firmentarifvertrag, nicht voll aus, sondern kürzte sie entsprechend.
In ihm „wird vereinbart”, daß die „Anlage 5 zum EKT – Tätigkeitsmerkmale – … wie folgt geändert” wird:
„I.
Anlage 5 zum EKT – Abschnitt D. Kureinrichtungen und Bildungszentrum
Protokollnotizen
Nach der Protokollnotiz Nr. 2 wird folgende Protokollnotiz Nr. 3 angefügt:
3. Vergütungsgruppen in den Kureinrichtungen „Haus Q”, „Haus S” und „Haus W”
In den Kureinrichtungen „Haus Q”, „Haus S” und „Haus W” entspricht das sich aus den Vergütungsgruppen ergebende Gehalt der Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter ab dem 1. Februar 1998 dem Faktor 0,85. Für die am 31. Januar 1998 in den Kureinrichtungen nach Satz 1 beschäftigten Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter vollzieht sich dies in folgender Weise:
- Ab 1. Februar 1998 beträgt das monatliche Gehalt (§ 11 EKT) einschließlich persönlicher Zulagen nach § 10 Abs. 2 bis 4 EKT und Anlage 5 zum EKT 90 v.H.
- Darüber hinaus vermindert sich das monatliche Gehalt (§ 11 EKT) einschließlich persönlicher Zulagen nach § 10 Abs. 2 bis 4 EKT und Anlage 5 zum EKT ab 1. Februar 1998 in 36 Monatsschritten, bis am 31. Januar 2001 monatlich 5 v.H. Minderung erreicht sind.
- Die nach den Ziffern 3.1 und 3.2 verminderten Bezüge stellen die maßgeblichen Bezüge iSd. EKT und seiner Anlagen dar.
- Die monatlichen Minderungsbeträge nach 3.2 bis einschließlich des Monats der Zahlung des Urlaubsgeldes nach § 23 EKT können jeweils mit dem Urlaubsgeld auf Antrag der Mitarbeiterin/des Mitarbeiters insgesamt verrechnet werden.
Die Texte nach der Überschrift „Inkrafttreten/Kündigung” ändern sich wie folgt:
„Inkrafttreten/Kündigung
Die durch den Ergänzungstarifvertrag Nr. 4 b geänderte Fassung der Anlage 5 zum EKT – Abschnitt D – tritt am 1. Februar 1998 in Kraft.
Die vorliegende Fassung der Anlage 5 zum EKT – Abschnitt D – kann mit einer Frist von drei Monaten zum Schluß eines Kalendervierteljahres frühestens zum 31. März 2001 gekündigt werden.”
II.
Die DAK verpflichtet sich, die kasseneigenen Kureinrichtungen „Haus S”, „Haus W” und „Haus Q” selbst in Eigenregie wirtschaftlich auf Dauer, mindestens jedoch auf zehn Jahre, weiterzubetreiben. Ist die Erreichung dieses Ziels, diese Einrichtung wirtschaftlich weiterzubetreiben, durch eine Änderung wesentlicher Umstände gefährdet, verpflichtet sich die DAK unter Einbeziehung der tarifabschließenden Gewerkschaften, durch geeignete Anpassungsmaßnahmen für eine weitere Erreichung dieses Ziels zu sorgen.”
Als Datum des Vertragsabschlusses ist in der Urkunde der „17.3.1998” genannt. Die Deutsche Angestelltengewerkschaft schickte die ihr von der Beklagten am 17. März 1998 bereits unterzeichnet übersandte Urkunde mit Schreiben vom 30. April 1998 von ihr unterschrieben zurück, das bei der Beklagten am 7. Mai 1998 einging.
Mit der beim Arbeitsgericht am 22. Juni 1999 eingegangenen Klage macht der Kläger die der Höhe nach unstreitigen Gehaltsdifferenzen zwischen der VergGr. 12 nach Maßgabe der Anlage 3 „Gehaltstabelle II” zum EKT und der Anlage 5 idF vom 17. März/7. Mai 1998 für die Monate Januar bis Juni 1999 geltend. Er hat die Auffassung vertreten, die Gehaltskürzungen seien ihm gegenüber unzulässig. Die Beklagte sei nach der Satzung der Tarifgemeinschaft der Ersatzkassen nur für die Anlagen 5, 7 a, 12 zum EKT zuständige Tarifpartnerin der Gewerkschaften, nicht aber für die Anlagen 2 bis 4. Der Sache nach seien nicht Tätigkeitsmerkmale, sondern die Anlage 3 „Gehaltstabelle II”, ein Verbandstarifvertrag, geändert worden. Da die Anlage 3 „Gehaltstabelle II” im März 1998 nicht gekündigt gewesen sei, habe sich die Beklagte an diesen Tarifvertrag halten müssen und habe nicht im Wege eines Firmentarifvertrages tätig werden dürfen. Im übrigen liege, und zwar insbesondere im Verhältnis zu den Beschäftigten der Bildungseinrichtung, ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz vor.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu bezahlen
- 1.120,35 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den entsprechenden Nettobetrag seit dem 1. Februar 1999
- 1.133,69 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den entsprechenden Nettobetrag seit dem 1. März 1999
- 1.147,03 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den entsprechenden Nettobetrag seit dem 1. April 1999
- 2.320,73 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den entsprechenden Nettobetrag seit dem 1. Mai 1999
- 1.173,70 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den entsprechenden Nettobetrag seit dem 1. Juni 1999
- 1.187,04 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den entsprechenden Nettobetrag seit dem 1. Juli 1999.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Abzüge seien berechtigt. Insoweit weiche der „Firmentarifvertrag” Anlage 5 zum EKT von dem Verbandstarifvertrag MTV iVm. Anlage 3 „Gehaltstabelle II” zum EKT ab. Anlage 5 zum EKT Abschnitt D sehe für die Beschäftigten der Kureinrichtungen ab 1. Februar 1998 ein um bis zu 15 % vermindertes Gehalt vor. Die Beklagte habe mit dem „Haustarifvertrag” Anlage 5 zum EKT eigene Regelungen geschaffen, wozu sie berechtigt gewesen sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die geltend gemachten Gehaltsdifferenzen. Die Absenkung des Vergütungsniveaus des Verbandstarifvertrages durch Ergänzung eines Firmentarifvertrages ist wirksam. Aus dem Arbeitsvertrag der Parteien ergibt sich zu Gunsten des Klägers nichts anderes.
I. Die Klage ist zulässig. Der Kläger macht für die Monate Januar bis Juni 1999 je eine zahlenmäßig ausgewiesene Vergütungsdifferenz geltend. Damit ist der Streitgegenstand oder sind die Streitgegenstände hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO.
II. Die Klage ist unbegründet.
1. Der Kläger hat keinen tarifvertraglichen Anspruch auf die geltend gemachten Vergütungsdifferenzen. Der Kläger muß sich den „Ergänzungstarifvertrag Nr. 4 b zum EKT” kraft Tarifgebundenheit entgegenhalten lassen und die Kürzung des Tarifgehalts (er)tragen.
a) Der Kläger war kraft seiner Mitgliedschaft in der DAG an die ua. von der DAG mit abgeschlossenen Verbandstarifverträge EKT, MTV und Anlage 3 „Gehaltstabelle II” zum EKT gem. § 4 Abs. 1, § 3 Abs. 1 TVG und an den „Haustarifvertrag” Anlage 5 „Tätigkeitsmerkmale” zum EKT gebunden, § 4 Abs. 1, § 3 Abs. 1 TVG. Danach hatte er Anspruch auf das ungekürzte Gehalt. Diese Sachlage hat sich aber durch den „Ergänzungstarifvertrag Nr. 4 b zum EKT” geändert. Danach steht dem Kläger nur das nach Maßgabe der Ziff. 3.1 und 3.2 der Protokollnotiz Nr. 3 gekürzte Gehalt zu.
b) Dieser „Ergänzungstarifvertrag Nr. 4 b zum EKT” ist ein formgerecht abgeschlossener Tarifvertrag und als solcher rechtswirksam. Er verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
aa) Bei dem „Ergänzungstarifvertrag Nr. 4 b zum EKT” handelt es sich um einen Tarifvertrag. Sowohl die Beklagte als Arbeitgeberin als auch die DAG als Gewerkschaft sind tariffähig (§ 2 Abs. 1 TVG). Der Vertrag enthält ua. Bestimmungen über die Vergütung von Beschäftigten im Bereich „Kureinrichtungen”. Er regelt damit einen Teilaspekt der üblichen Inhaltsnormen von Tarifverträgen, § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG. Zwar haben die Tarifvertragsparteien eine sog. Protokollnotiz gewählt. Das ist aber unschädlich. Protokollnotizen können Gegenstand eines selbständigen Tarifvertrages sein (BAG 24. November 1993 – 4 AZR 402/92 – BAGE 75, 116; Kempen/Zachert TVG 3. Aufl. § 1 Rn. 370). Entscheidend ist, ob sie den Formerfordernissen eines Tarifvertrages, § 1 Abs. 2 TVG entsprechen (BAG 8. Mai 1968 – 4 AZR 243/67 – AP BGB § 611 Croupier Nr. 6; 4. Juni 1980 – 4 AZR 497/78 – AP MTB II § 21 Nr. 4; 29. August 1979 – 5 AZR 293/79 – AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 103 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 63; 9. Oktober 1979 – 5 AZR 949/77 – AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 105 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 66). Das ist hier der Fall. § 126 Abs. 2 Satz 1 BGB ist gewahrt. Die Tarifvertragsparteien haben die Protokollnotiz auf derselben Urkunde eigenhändig unterzeichnet.
bb) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend darauf abgestellt, daß der Tarifvertrag zwischen der Beklagten und der DAG spätestens am 7. Mai 1998 zustande gekommen ist. Das war der Tag, an dem die Annahmeerklärung der DAG der Beklagten zugegangen ist.
cc) Entgegen der Revision konnte die Beklagte den „Ergänzungstarifvertrag Nr. 4 b zum EKT” als Firmentarifvertrag wirksam abschließen. § 2 Abs. 1 TVG verleiht dem Arbeitgeber die Tariffähigkeit unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Arbeitgebervereinigung. Der Arbeitgeber kann trotz Verbandszugehörigkeit und trotz eines für ihn gültigen Verbandstarifvertrages einen konkurrierenden oder ergänzenden Firmentarifvertrag abschließen. Zwar kann der Arbeitgeber damit gegen seine Verbandspflichten verstoßen und mag sich Verbandsstrafen aussetzen. Die Wirksamkeit des abgeschlossenen Firmentarifvertrages wird aber davon nicht betroffen. Auch ein verbandswidriger Tarifvertrag ist gültig (Wiedemann/Oetker TVG 6. Aufl. § 2 Rn. 114). Das wird bereits aus dem Urteil des Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 4. Mai 1955 (– 1 AZR 493/54 – BAGE 2, 75) deutlich: Das Bundesarbeitsgericht setzt die Wirksamkeit eines verbandswidrigen Firmentarifvertrages voraus (vgl. auch Wiedemann/Oetker aaO § 2 Rn. 128). Die bestehenden Verbandstarifverträge MTV und Anlage 3 „Gehaltstabelle II” zum EKT stehen dem sonach nicht entgegen. Daran ändert auch nichts, daß die Tarifvertragsparteien mit dem „Ergänzungstarifvertrag Nr. 4 b zum EKT” der Sache nach nicht die Anlage 5 „Tätigkeitsmerkmale”, einen Firmentarifvertrag, sondern die Anlage 3 „Gehaltstabelle II” geändert haben. Sie haben neben der Anlage 3 „Gehaltstabelle II” einen abweichenden Firmentarifvertrag geschlossen, eingekleidet in das Gewand der Änderung des Firmentarifvertrages „Tätigkeitsmerkmale”. Auch das ist vom Tarifvertragsgesetz gedeckt. Tariffähige Parteien haben eine vom Verbandstarifvertrag abweichende Vereinbarung geschlossen.
dd) Die DAG konnte den Firmentarifvertrag „Ergänzungstarifvertrag Nr. 4 b zum EKT” wirksam schließen. Es handelt sich bei den Verbandstarifverträgen nicht um einen jeweils einheitlichen Tarifvertrag, sondern um mehrgliedrige Tarifverträge, dh., es handelt sich um mit der jeweiligen Gewerkschaft und der Tarifgemeinschaft der Ersatzkassen geschlossene einzelne Tarifverträge, die lediglich in einer Urkunde zusammengefaßt wurden. Die Deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG) war daher nicht gehindert, mit der Beklagten einen vom Verbandstarifvertrag abweichenden Firmentarifvertrag zu schließen.
c) Der Kläger ist an diesen Firmentarifvertrag gebunden. Er war am 7. Mai 1998 noch Mitglied der DAG. Sein Austritt per 30. September 1998 hat daran nichts geändert. Nach § 3 Abs. 3 TVG bleibt die Tarifgebundenheit bestehen, bis der Tarifvertrag endet. Das gilt für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen (Wiedemann/Oetker § 3 TVG Rn. 46; Löwisch/Rieble TVG § 3 Rn. 75; Däubler Tarifvertragsrecht 3. Aufl. Rn. 299; Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht Band I § 17 I 5 e S 729). Hier wirkt die verlängerte Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 3 TVG über den Streitzeitraum hinaus, da der Firmentarifvertrag erstmals zum 31. März 2001 kündbar ist.
d) Richtig ist, daß der Firmentarifvertrag „Ergänzungstarifvertrag Nr. 4 b zum EKT” den Verbandstarifvertrag Anlage 3 „Gehaltstabelle II” zum EKT nicht aufgehoben hat. Sie bestehen nebeneinander. Entgegen der Revision kommt dem Firmentarifvertrag Vorrang vor dem Verbandstarifvertrag zu, auch wenn er Regelungen des Verbandstarifvertrages zu Lasten der Arbeitnehmer verdrängt (BAG 24. Januar 2001 – 4 AZR 655/99 – zur Veröffentlichung vorgesehen ≪zVv.≫). Das folgt aus den Grundsätzen der Tarifkonkurrenz. Firmentarifverträge stellen gegenüber Verbandstarifverträgen stets die speziellere Regelung dar (BAG 20. April 1999 – 1 AZR 631/98 – BAGE 91, 244, 256; Senat 20. März 1991 – 4 AZR 455/90 – BAGE 67, 330). An dieser ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hält der Senat nach erneuter Überprüfung fest. Auch kritische Stimmen zum Spezialitätsprinzip räumen ein, daß dieser Grundsatz in Betracht kommt, wenn die Tarifkonkurrenz auf der Existenz eines Verbands- und Firmentarifvertrages einer Gewerkschaft in einem Betrieb beruht (Kempen/Zachert aaO § 4 Rn. 131; vgl. im übrigen Waas Anm. zu Senat 26. April 2000 – 4 AZR 177/99 – AP TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 16, zu II mwN). Darauf, daß die Verbandstarifverträge keine Öffnungsklausel für Firmentarifverträge vorsehen, kommt es nicht an.
e) Auf die angebliche Rechtsunwirksamkeit der Rückwirkung des „Ergänzungstarifvertrags Nr. 4 b zum EKT” vom 7. Mai 1998 auf den 1. Februar 1998 kann sich der Kläger schon deswegen nicht mit Erfolg berufen, weil seine Gehälter erst ab 1. Januar 1999 einer Kürzung entsprechend dem Firmentarifvertrag „Ergänzungstarifvertrag Nr. 4 b zum EKT” zugeführt worden sind.
f) Die Rüge der Revision, es liege ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz vor, ist nicht zulässig. Es fehlt an einer Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen des Landesarbeitsgerichts. Vielmehr wird lediglich eine gegenteilige Meinung vertreten und auf nicht näher bezeichneten Ausführungen in den Vorinstanzen Bezug genommen. Das reicht nicht aus. Darauf hat die Beklagte zutreffend hingewiesen.
aa) Im übrigen liegt ein solcher Verstoß auch nicht vor. Unabhängig von der Frage, ob und inwieweit Firmentarifverträge an den Gleichheitssatz gebunden sind (vgl. Senat 26. April 2000 – 4 AZR 177/99 – AP TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 16 = EzA GG Art. 3 Nr. 90, zu II 4 der Gründe und 30. August 2000 – 4 AZR 563/99 – zVv.), ist nicht zu übersehen, daß die Bereiche Kureinrichtungen und Bildungszentrum unterschiedliche Sachverhalte darstellen, die unterschiedlich geregelt werden können. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend herausgestellt.
bb) Außerdem hat der Firmentarifvertrag „Ergänzungstarifvertrag Nr. 4 b zum EKT” durchaus eine arbeitsplatzsichernde Komponente und beinhaltet nicht nur eine Gehaltsabsenkung bis zu 15 %. Denn nach II dieses Tarifvertrages verpflichtet sich die Beklagte, die kasseneigenen Kureinrichtungen „Haus S”, „Haus W” und „Haus Q” selbst in Eigenregie wirtschaftlich auf Dauer, mindestens jedoch auf zehn Jahre, weiterzubetreiben. Nur wenn die Erreichung dieses Ziels, diese Einrichtungen wirtschaftlich weiterzubetreiben, durch eine Änderung wesentlicher Umstände gefährdet ist, verpflichtet sich die Beklagte unter Einbeziehung der tarifvertragsabschließenden Gewerkschaften durch geeignete Anpassungsmaßnahmen für eine weitere Erreichung dieses Ziels zu sorgen. Diese Fortführungsverpflichtung ist eine Art Bestandsgarantie für die drei Kureinrichtungen, die es für das Bildungszentrum nicht gibt, und führt zu einem zumindest partiellen Schutz gegen betriebsbedingte Kündigungen für die Laufzeit des Tarifvertrages, jedenfalls aber für zehn Jahre. Auch unter diesem Gesichtspunkt verstößt der Tarifvertrag nicht gegen höherrangiges Recht (vgl. Senat 25. Oktober 2000 – 4 AZR 438/99 – zVv.).
2. Entgegen der Auffassung des Klägers besteht auch kein einzelarbeitsvertraglicher Anspruch auf die Vergütungsdifferenzen. Denn die Klausel „Für das Anstellungsverhältnis gilt der mit den Gewerkschaften abgeschlossene Ersatzkassentarifvertrag (EKT) mit den dazugehörigen Anlagen. Künftige Änderungen des EKT oder an seine Stelle tretende Tarifverträge gelten vom Tage des Inkrafttretens auch für ihr Anstellungsverhältnis” im Anstellungsvertrag vom 5. Dezember 1977 ist eine reine Gleichstellungsklausel. Mit diesen Formularverträgen will die Beklagte sicherstellen, daß die Arbeitnehmer nach diesen Tarifverträgen behandelt werden, unabhängig davon, ob sie tarifgebunden sind oder nicht. Für den ohnehin tarifgebundenen Arbeitnehmer ist diese Klausel keine einzelarbeitsvertragliche Festlegung auf bestimmte Tarifverträge, erst Recht nicht auf die bestehenden Verbandstarifverträge, zumal die Anlage 5 nur ein Firmentarifvertrag war und ist. Ändern sich die Anlagen zum EKT, wie hier der Sache nach die Anlage 3 „Gehaltstabelle II” durch den Firmentarifvertrag, gilt das gleichermaßen für den Kläger.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Schliemann, Bott, Friedrich, Kiefer, Görgens
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 04.04.2001 durch Freitag, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 614697 |
BB 2001, 1636 |
DB 2001, 1999 |
FA 2001, 348 |
NZA 2001, 1085 |
RdA 2002, 244 |
SAE 2002, 215 |
ZTR 2001, 556 |
AP, 0 |
EzA |
AUR 2001, 358 |