Entscheidungsstichwort (Thema)
Personalratsbeteiligung. wiederholte Kündigung bei erster Kündigung durch Vertreter (Personalamt einer Stadt anstatt Oberbürgermeister). “Verbrauch” der Personalratsbeteiligung. Kündigung. Betriebsverfassungsrecht. Personalvertretungsrecht
Orientierungssatz
Der Personalrat ist nach § 78 Abs. 1 Satz 1 SächsPersVG bei jeder Kündigung zu beteiligen.
Hat der Arbeitgeber nach Durchführung des Beteiligungsverfahrens gekündigt und ist dem Arbeitnehmer die Kündigung zugegangen, so bedarf es zur Wirksamkeit einer wiederholten Kündigung einer erneuten Beteiligung des Personalrats.
Dies gilt insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber wegen Bedenken gegen die Wirksamkeit der ersten Kündigung vorsorglich erneut kündigt.
Normenkette
SächsPersVG § 78 Abs. 1 Sätze 1, 1 Abs. 3; BPersVG § 108 Abs. 2, § 79 Abs. 1 S. 1; BetrVG § 102
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 26. Juli 2001 – 8 Sa 141/01 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen ordentlichen Änderungskündigung.
Die 1958 geborene, verheiratete und für drei Kinder unterhaltsverpflichtete Klägerin ist seit 1980 bei der beklagten Stadt, die regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt, als Erzieherin in einer Kinderbetreuungseinrichtung tätig, zuletzt zu einem monatlichen Bruttogehalt in Höhe von 3.495,83 DM in einer 30-Stunden-Woche.
Mit Schreiben vom 19. Mai 2000, der Klägerin am 22. Mai 2000 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin ordentlich zum 31. Dezember 2000 und bot ihr gleichzeitig eine Weiterbeschäftigung ab dem 1. Januar 2001 mit einer Wochenarbeitszeit von 26 Stunden an. Das Schreiben ist auf dem Briefbogen des Personalamtes der Beklagten erstellt und trägt die Unterschrift des zur Kündigung berechtigten Leiters des Personalamtes sowie den Abdruck des Dienstsiegels der Beklagten. Die Klägerin nahm das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung an.
Vor Ausspruch der Kündigung hatte die Beklagte den bei ihr gebildeten Personalrat mit Schreiben vom 19. April 2000 beteiligt. Dieser nahm durch den unterschriebenen Stempelaufdruck “Kenntnisnahme” am 10. Mai 2000 zur beabsichtigten Kündigung Stellung.
Mit Schreiben vom 19. Juni 2000, der Klägerin am selben Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin erneut ordentlich zum 31. Dezember 2000 unter gleichzeitiger Unterbreitung des oben genannten Änderungsangebots. Das Schreiben ist inhaltsgleich mit dem Schreiben vom 19. Mai 2000, wurde aber auf dem Briefbogen des Oberbürgermeisters erstellt. Eine nochmalige Beteiligung des Personalrates vor Ausspruch der zweiten Kündigung erfolgte nicht. Die Klägerin nahm auch das erneute Änderungsangebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung an.
Mit ihrer am 8. Juni 2000 beim Arbeitsgericht Chemnitz eingegangenen und am 23. Juni 2000 im Hinblick auf die zweite Kündigung erweiterten Klage hat sich die Klägerin gegen die Änderung ihrer Arbeitsbedingungen gewandt. In einem am 28. Juni 2000 in der Güteverhandlung geschlossenen Teilvergleich haben sich die Parteien darauf geeinigt, daß die Änderungskündigung vom 19. Mai 2000 gegenstandslos und ohne Wirkungen ist.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Kündigung vom 19. Juni 2000 sei bereits auf Grund der fehlenden Beteiligung des Personalrats nach § 78 Abs. 3 SächsPersVG unwirksam.
Sie hat zuletzt noch beantragt
festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Änderungskündigung vom 19. Juni 2000 zum 31. Dezember 2000 weder geändert noch aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags ausgeführt, einer nochmaligen Beteiligung des Personalrats vor Ausspruch der zweiten Kündigung habe es nicht bedurft, da durch die zweite Kündigung lediglich ein formaler Mangel habe beseitigt werden sollen. Eine erneute Durchführung des Beteiligungsverfahrens wäre überflüssige Förmelei gewesen. Der der Kündigung zugrunde liegende Sachverhalt habe sich nicht geändert. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung sei davon auszugehen, daß der Personalrat die erneute Kündigung ebenfalls zur Kenntnis genommen hätte. Die Rechtsprechung zu § 102 BetrVG sei auf § 78 SächsPersVG auf Grund des unterschiedlichen Wortlauts und des späteren Inkrafttretens des Sächsischen Personalvertretungsgesetzes nicht übertragbar. Es sei ausreichend, wenn der Personalrat zu dem der Kündigung zugrunde liegenden Sachverhalt einmal beteiligt worden sei.
Das Arbeitsgericht hat dem Feststellungsantrag stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Änderungskündigung vom 19. Juni 2000 ist gemäß § 78 Abs. 3 SächsPersVG unwirksam, da die Beklagte den Personalrat vor deren Ausspruch nicht gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 SächsPersVG beteiligt hat. Dem Landesarbeitsgericht ist darin zu folgen, daß trotz der Beteiligung des Personalrats vor Ausspruch der ersten Kündigung nach § 78 Abs. 1 Satz 1 SächsPersVG eine erneute Beteiligung des Personalrats vor Ausspruch der zweiten Kündigung erforderlich war.
- Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht von der zu § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG entwickelten Senatsrechtsprechung ausgegangen, wonach ein Anhörungsverfahren grundsätzlich nur für die Kündigung Wirksamkeit entfaltet, für die es eingeleitet worden ist. Hat der Arbeitgeber nach Durchführung des Anhörungsverfahrens gekündigt und ist dem Arbeitnehmer die Kündigung zugegangen, so bedarf es zur Wirksamkeit einer wiederholten Kündigung einer erneuten Anhörung des Betriebsrats. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber wegen Bedenken gegen die Wirksamkeit der ersten Kündigung vorsorglich erneut kündigt. Hat für den Arbeitgeber dessen Bevollmächtigter eine Kündigung ausgesprochen, ohne auf das bestehende Vertretungsverhältnis ausdrücklich hinzuweisen, so ist der Kündigungsvorgang in dem Moment abgeschlossen, in dem dem Arbeitnehmer diese Kündigung ordnungsgemäß zugeht. Tauchen bei dem Arbeitgeber nachträglich Zweifel auf, ob ihm die Kündigung durch den Bevollmächtigten als Willenserklärung zugerechnet werden kann, und wiederholt er daraufhin selbst die Kündigung, so leitet er damit einen neuen Kündigungsvorgang ein und hat deshalb den Betriebsrat erneut anzuhören (31. Januar 1996 – 2 AZR 273/95 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 80 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 90; vgl. schon 11. Oktober 1989 – 2 AZR 88/89 – AP aaO Nr. 55 = EzA aaO Nr. 78; Hess/Schlochauer/Glaubitz BetrVG 5. Aufl. § 102 Rn. 26; Däubler/Kittner/Klebe BetrVG 8. Aufl. § 102 Rn. 56; Stege/Weinspach/Schiefer BetrVG 9. Aufl. § 102 Rn. 31b; KR-Etzel 6. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 57a).
Diese Rechtsprechung ist auf die Personalratsbeteiligung bei Kündigungen zu übertragen. Nach § 79 Abs. 4 BPersVG ist eine Kündigung unwirksam, wenn der Personalrat nicht beteiligt worden ist. Nichts anderes gilt nach § 108 Abs. 2 BPersVG für die entsprechenden Personalvertretungsvorschriften der Länder. Dem entspricht § 78 SächsPersVG, wonach der Personalrat bei der ordentlichen Kündigung, mit Ausnahme der Kündigung während der Probezeit, durch den Arbeitgeber mitwirkt (Abs. 1) und eine Kündigung unwirksam ist, wenn der Personalrat nicht nach Abs. 1 beteiligt wurde (Abs. 3). Wegen der Einzelheiten, wann bei Kündigungen die Mitwirkungsrechte des Personalrats zu beachten sind und unter welchen Voraussetzungen sie entfallen, ist die Rechtsprechung zur Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG sinngemäß auf die Personalratsbeteiligung anzuwenden (BAG 4. März 1981 – 7 AZR 104/79 – BAGE 35, 118; 12. März 1986 – 7 AZR 20/83 – BAGE 51, 246; KR-Etzel 6. Aufl. §§ 72, 79, 108 Abs. 2 BPersVG Rn. 13). Die Rechtsprechungsgrundsätze zur Betriebsratsanhörung bei Wiederholungskündigungen gelten danach gleichermaßen für § 78 SächsPersVG. Es besteht kein Grund, in dieser Hinsicht zwischen der betriebsverfassungsrechtlichen Anhörung und der personalvertretungsrechtlichen Mitwirkung einen Unterschied zu machen.
- Dem steht nicht, wie die Beklagte geltend gemacht hat, entgegen, daß § 102 BetrVG die Anhörung des Betriebsrats vor “jeder” Kündigung vorschreibt, § 78 Abs. 1 SächsPersVG hingegen nur die Mitwirkung des Personalrats bei “der” ordentlichen Kündigung. Das Landesarbeitsgericht weist zutreffend darauf hin, daß der Kündigungsvorgang abgeschlossen ist, wenn die Kündigung als einseitige, empfangsbedürftige, rechtsgestaltende Willenserklärung dem Empfänger zugegangen ist, so daß es sich bei einer später zugegangenen weiteren Kündigungserklärung nicht um den gleichen Vorgang, sondern um eine zweite Kündigung handelt. Nach § 78 Abs. 1 Satz 1 SächsPersVG mußte der Personalrat bei “der” Kündigung vom 19. Mai 2000 und bei “der” Kündigung vom 19. Juni 2000 mitwirken. Ist der Personalrat bei einer der beiden Kündigungen nicht beteiligt worden, ist diese Kündigung nach § 78 Abs. 3 SächsPersVG unwirksam.
- Dem Landesarbeitsgericht ist ebenfalls darin zu folgen, daß sich im Gesetzeswortlaut kein Anhaltspunkt dafür findet, daß der sächsische Gesetzgeber den Begriff Kündigung anders als im herkömmlichen Rechtssinne auslegen wollte. Erst recht spricht nicht, wie die Beklagte in den Vorinstanzen geltend gemacht hat, das Entstehungsdatum des Sächsischen Personalvertretungsgesetzes für eine abweichende Auslegung. Auch nach § 79 Abs. 1 Satz 1 des seit 1974 geltenden Bundespersonalvertretungsgesetzes wirkt der Personalrat bei “der” ordentlichen Arbeitgeberkündigung mit, was allgemein als Mitwirkungsrecht bei jeder Kündigung ausgelegt wird (vgl. Lorenzen/Schmitt/Etzel/Gerhold/Schlatmann/Rehak BPersVG Stand Juli 2002 § 79 Rn. 12).
- Daraus, daß der Personalamtsleiter “i.A.” auf einem Briefbogen des Personalamts gekündigt hat, lassen sich ebenfalls keine Besonderheiten gegenüber dem Ausgangsfall des Senatsurteils vom 31. Januar 1996 (aaO) herleiten. Kraft (GK-BetrVG 6. Aufl. § 102 Rn. 29), der im übrigen der einschlägigen Senatsrechtsprechung eher skeptisch gegenüber steht, weist für derartige Fälle darauf hin, daß jedenfalls zwei rechtlich selbständige Willenserklärungen und damit zwei rechtlich selbständige Kündigungen vorliegen, wenn erst der Bevollmächtigte möglicherweise ohne hinreichende Bezeichnung des Vollmachtsverhältnisses und später der Vollmachtsgeber selbst gekündigt haben.
Das Landesarbeitsgericht hat danach zutreffend angenommen, daß die Kündigung vom 19. Juni 2000 nach § 78 Abs. 3 SächsPersVG rechtsunwirksam war.
- Unstreitig hat die Beklagte den Personalrat vor Ausspruch der zweiten Kündigung nicht erneut beteiligt. Dies war jedoch erforderlich. Die erste Kündigung war der Klägerin bereits zugegangen, diese hatte die beabsichtigten Änderungen unter Vorbehalt angenommen und Kündigungsschutzklage eingereicht. Wenn unter diesen Umständen ca. einen Monat nach Ausspruch der ersten Kündigung die Beklagte ohne jeden Hinweis auf die erste Kündigung erneut kündigte, so war vom Empfängerhorizont der Klägerin her kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, daß dieses Schreiben etwas anderes als eine zweite Kündigung zum Inhalt haben sollte. Vor Ausspruch dieser zweiten Kündigung mußte nach § 78 Abs. 1 Satz 1 SächsPersVG der Personalrat beteiligt werden.
- Die Revision macht zu Unrecht geltend, die erste Kündigung sei wegen der Wahl des falschen Briefbogens von vornherein offensichtlich unwirksam gewesen und aus Sicht der Klägerin habe erkennbar erst die zweite Kündigung die Verwirklichung des von der Beklagten gefaßten Kündigungsentschlusses dargestellt. Davon kann keine Rede sein, unabhängig von der Frage, ob nicht auch bei offensichtlich unwirksamer erster Kündigung die zweite Kündigung eine erneute Personalratsbeteiligung erfordert hätte. Das Landesarbeitsgericht weist zutreffend darauf hin, daß die erste Kündigung immerhin auf einem Briefbogen der “Stadt Chemnitz” ausgesprochen worden ist und den Abdruck eines Dienstsiegels der Beklagten enthielt. Außerdem war in dem Schreiben ausdrücklich auf “das Arbeitsverhältnis mit der Stadt Chemnitz” Bezug genommen und der Leiter des Personalamts hat das Kündigungsschreiben “im Auftrag” unterzeichnet. Dies konnte nur eine Unterzeichnung im Auftrag des Oberbürgermeisters, nicht des “Personalamts” bedeuten. Deshalb war dieses Schreiben eindeutig der Beklagten als Arbeitgeberin zuzurechnen. Ob die erste Kündigung wegen der fehlerhaften Wahl des Briefbogens wirklich formunwirksam war, kann daher unentschieden bleiben.
- Die Annahme einer Beteiligungspflicht bei jeder Kündigung, auch der Wiederholungskündigung, ist auch nicht, wie die Beklagte meint, eine bloße Förmelei. Gerade bei betriebsbedingten Kündigungen, die auf einer Prognose über den weiteren Beschäftigungsbedarf beruhen, kann sich in einem Zeitpunkt von einem Monat zwischen zwei Kündigungen der Kündigungssachverhalt erheblich ändern. Ein Personalrat, der eine erste Kündigung zur Kenntnis genommen hat, muß damit nicht notwendigerweise (ggf. in anderer Besetzung) auch zu einer Wiederholungskündigung die gleiche Stellungnahme abgeben. Schon das Gebot der Rechtssicherheit spricht zudem für die Abgrenzung des Senats, wonach eine wiederholte Kündigung auch eine wiederholte Betriebsratsanhörung bzw. Personalratsbeteiligung erfordert (ebenso Thüsing EwiR 1/1996 § 102 BetrVG S 536). Es wäre sonst kaum sinnvoll festzulegen, bis zu welcher zeitlichen Grenze eine zweite Kündigung noch als Verwirklichung des ersten Kündigungsentschlusses im Rechtssinne gewertet werden kann.
- Zu Unrecht rügt die Revision schließlich, das Landesarbeitsgericht habe übersehen, daß sich die Klägerin nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht auf die fehlende Personalratsbeteiligung bei der zweiten Kündigung berufen könne. Es ist kein Gesichtspunkt erkennbar, der einen Verstoß der Klägerin gegen Treu und Glauben erkennen ließe. Die Klägerin hat gegen beide Kündigungen Klage erhoben, ohne erkennbar auf das prozessuale und vorprozessuale Verhalten der Beklagten irgendeinen Einfluß zu nehmen. Wenn zunächst im Gütetermin aus der Sicht der Beklagten zu Recht die erste Kündigung für gegenstandslos erklärt worden ist, so blieb es der Klägerin unbenommen, im weiteren Prozeßverlauf, nachdem die Beklagte schon durch das Gericht aufgefordert war, zu der Personalratsbeteiligung weiter vorzutragen, darauf hinzuweisen, vor Ausspruch der zweiten Kündigung habe keine erneute Personalratsbeteiligung stattgefunden. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben kann darin nicht gesehen werden.
- Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Unterschriften
Bröhl, Eylert, Schmitz-Scholemann, Frey, Kuemmel-Pleißner
Fundstellen
Haufe-Index 862738 |
EWiR 2003, 135 |
ZTR 2003, 153 |
AP, 0 |
ZfPR 2003, 108 |
Tarif aktuell 2003, 2 |