Entscheidungsstichwort (Thema)
Annahmeverzug. Beweis der Arbeitsunfähigkeit. Beendigung des Annahmeverzugs. Unmöglichkeit der Arbeitsleistung. Beweis der Arbeitsunfähigkeit für die Vergangenheit. Ungeeignetheit des Beweismittels. Ausforschungsbeweis. Verwertung rechtswidrig ermittelter Tatsachen. Ausschlußfristen. Schriftliche Geltendmachung von Zahlungsansprüchen durch Erhebung einer Kündigungsschutzklage. Rückabtretung von übergegangenen Ansprüchen. Arbeitslohn
Orientierungssatz
- Macht der Arbeitnehmer nach Ausspruch einer rechtsunwirksamen Kündigung des Arbeitgebers Ansprüche auf Verzugslohn für die Vergangenheit geltend, darf der Arbeitgeber die Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers während des Streitzeitraums zwar nicht “ins Blaue hinein” behaupten. Trägt er aber ausreichende Indiztatsachen vor, die die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers ergeben können, dürfen die Arbeitsgerichte den hierfür angebotenen Beweis nicht als ungeeignet ablehnen. Als Indiztatsachen kommen etwa Krankheitszeiten des Arbeitnehmers vor und nach dem Verzugszeitraum in Betracht. Der Arbeitnehmer muß sich dann substantiiert einlassen und ggf. die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbinden. Erst wenn die Frage der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers auch nach Ausschöpfung der Beweismittel, insbesondere nach Einholung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, nicht geklärt werden kann, geht das zu Lasten des Arbeitgebers.
- Mit der Erhebung einer Kündigungsschutzklage werden die von der Kündigung abhängigen Zahlungsansprüche des Arbeitnehmers im Sinne einer tariflichen Verfallklausel schriftlich geltend gemacht. Das gilt auch bei einer zweistufigen Ausschlußfrist, wenn der Lauf der zweiten Frist für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses gehemmt ist.
Normenkette
BGB § 293 ff., §§ 297, 404, 412, 611, 615; ZPO §§ 138, 222 Abs. 2, § 270 Abs. 3, § 286; EFZG § 3; SGB X § 115; Bundesrahmentarifvertrag Bau (BRTV-Bau) § 4 Nr. 2, § 16
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche aus der Zeit nach Ausspruch einer Kündigung.
Der Kläger war seit 1970 als Baufacharbeiter in dem Baubetrieb der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis am 30. Juli 1997 zum 28. Februar 1998. Den hierüber geführten Kündigungsschutzprozess gewann der Kläger. Das Urteil wurde am 22. Februar 2001 rechtskräftig. Die Parteien beendeten das Arbeitsverhältnis einvernehmlich zum 30. Juni 2001.
Der Kläger war während der Kündigungsfrist wiederholt in ärztlicher Behandlung und jedenfalls in der Zeit vom 1. September bis zum 16. Oktober 1997 arbeitsunfähig krank. Er litt an Diskusprolaps und Lumboischialgie. Ob er daneben auch an Coxarthrose erkrankt war, ist zwischen den Parteien streitig. Von den ärztlichen Diagnosen hat die Beklagte durch von ihr beauftragte Privatdetektive Kenntnis erlangt. Vom 8. bis 19. September 1997 wurde der Kläger im Stadtkrankenhaus in K… stationär behandelt. Vom 25. September bis 16. Oktober 1997 unterzog er sich einer stationären Rehabilitationsmaßnahme und in der Zeit vom 10. Dezember 1997 bis 6. Januar 1998 einer weiteren Behandlung in einer Kurklinik. Mit Bescheid vom 11. Februar 1998 wurde ihm nach dem Schwerbehindertengesetz ein Grad der Behinderung von 30 zuerkannt. Seine Versuche, einen Gleichstellungsbescheid zu erwirken, blieben erfolglos.
Vom 1. März bis zum 1. Dezember 1998 bezog der Kläger Arbeitslosengeld. Von Dezember 1998 bis Mitte Mai 1999 stand er in einem Arbeitsverhältnis bei der Arbeiterwohlfahrt P.… Den dort erzielten Verdienst läßt er sich anrechnen. Seit dem 15. Mai 1999 bezog er erneut Arbeitslosengeld und ab dem 2. Juni 2000 Arbeitslosenhilfe.
Im Anschluss an das am 5. Oktober 2000 verkündete Urteil des Landesarbeitsgerichts im Kündigungsschutzprozess beschäftigte die Beklagte den Kläger ab dem 6. Oktober 2000 weiter. Sie zahlte hierfür nur einen Teil der früheren Vergütung. Seit dem 29. November 2000 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30. Juni 2001 und darüber hinaus war der Kläger durchgehend arbeitsunfähig krank. In dieser Zeit wurde er mehrfach in Krankenhäusern behandelt. Unter anderem unterzog er sich einer Operation am Hüftgelenk.
Der Kläger hat zunächst im Juli 1999 Klage auf Zahlung für die Zeit von März 1998 bis Mai 1999 erhoben und diese Klage später mehrfach erweitert. Mit einem am Montag, dem 23. April 2001, bei Gericht eingegangenen Schriftsatz hat er die Klage auf Zahlung der vollen Monatsvergütungen ohne Abzug von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe erhöht. Dazu hat er folgendes Schreiben des Arbeitsamts N vom 20. April 2001 vorgelegt:
“Erklärung und Vollmacht
Die Bundesanstalt für Arbeit, vertreten durch den Direktor des Arbeitsamtes N erklärt hiermit den Verzicht des gesetzlichen Forderungsüberganges gemäß § 115 SGB X gegenüber Herrn B…, P… in Höhe des an Herrn B… gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von
DM 13.891,08 Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 01.03.1998 bis 01.12.1998
DM 10.669,89 Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 15.05.1999 bis 31.12.1999
DM 7.305,35 Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 01.01.2000 bis 01.06.2000
sowie der gezahlten Arbeitslosenhilfe für den Zeitraum vom 02.06.2000 bis 24.10.2000 i.H.v. DM 2194,25.
Sie erteilt Herrn B… die Vollmacht, die übergegangenen Ansprüche im Verfahren vor dem Arbeitsgericht Schwerin Az: 6 Ca 2085/99 gerichtlich geltend zu machen.”
Der Kläger hat behauptet, er sei zwischen dem 1. März 1998 und dem 28. November 2000 lediglich in der Zeit vom 16. bis 24. Juli 1998 (wegen eines Wurzelreizsyndroms) arbeitsunfähig krank gewesen. Im Dezember 1999 sei er mit Packungen und Reizstrom ärztlich behandelt worden, ohne daß Arbeitsunfähigkeit vorgelegen habe. Ihm stehe Verzugslohn für die Zeit von März 1998 bis zum 5. Oktober 2000, restliche Arbeitsvergütung bis zum 28. November 2000 und restliche Entgeltfortzahlung bis Ende Dezember 2000 zu. Er hat, soweit in der Revision noch von Interesse, beantragt,
die Beklagte zur Zahlung von 59.893,45 Euro nebst Zinsen nach bestimmter Staffelung zu verurteilen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die klägerischen Forderungen seien insgesamt nach § 16 des allgemeinverbindlichen Bundesrahmentarifvertrags Bau (BRTV-Bau) verfallen, denn der Kläger habe seine Ansprüche nicht jeweils innerhalb von zwei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht. Der Kläger sei während des streitigen Zeitraums auf Grund von Erkrankungen der Wirbelsäule und damit verbundener Einschränkungen in der Bewegungsfähigkeit nicht in der Lage gewesen, die vertragsgemäße Arbeitsleistung zu erbringen. Das folge aus seinen Erkrankungen Ende 1997/Anfang 1998, der ununterbrochenen Arbeitsunfähigkeit seit dem 29. November 2000 und den einzelnen Krankheitsursachen. Soweit der Kläger im Oktober und November 2000 gearbeitet habe, sei seine Leistung um 33 % hinter der vergleichbarer Kollegen zurückgeblieben.
Das Arbeitsgericht hat der Klage in dem noch anhängigen Umfang stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.
I. Nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen kann nicht abschließend beurteilt werden, ob und ggf. in welcher Höhe die Beklagte dem Kläger Entgelt unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs schuldet.
1. Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, § 615 Satz 1 BGB. Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs richten sich nach den §§ 293 ff. BGB.
Die Beklagte geriet – abgesehen von der streitigen Leistungsfähigkeit des Klägers – ab dem 1. März 1998 durch Ausspruch der rechtsunwirksamen Kündigung in Annahmeverzug, da sie dem Kläger mit Ablauf der Kündigungsfrist am 28. Februar 1998 die Arbeitsmöglichkeit entzog (vgl. nur BAG 19. Januar 1999 – 9 AZR 679/97 – BAGE 90, 329, 333 mwN). Darüber streiten die Parteien nicht. Zur Beendigung des Annahmeverzugs hat nicht geführt, daß der Kläger im Dezember 1998 ein anderes Arbeitsverhältnis einging. Das löst nur die Pflicht zur Anrechnung anderweitigen Verdienstes aus (vgl. BAG 19. September 1991 – 2 AZR 619/90 – RzK I 13b Nr. 18). Der Annahmeverzug hat ferner nicht deshalb geendet, weil die Beklagte den Kläger ab dem 6. Oktober 2000 wieder beschäftigte. Der Annahmeverzug des Arbeitgebers endet nur dann, wenn er mit dem Angebot der Weiterbeschäftigung klarstellt, daß er zu Unrecht gekündigt hat (BAG 14. November 1985 – 2 AZR 98/84 – BAGE 50, 164, 169 ff.; 24. September 2003 – 5 AZR 500/02 – zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen ≪ zVv.≫). Die Beklagte hat demgegenüber Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht eingelegt. Doch hat der Annahmeverzug entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts jedenfalls mit Ablauf des 28. November 2000 geendet, weil der Kläger zumindest ab dem 29. November 2000 infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit leistungsunfähig war.
2. Das Landesarbeitsgericht muß prüfen, ob Annahmeverzug infolge Leistungsunfähigkeit des Klägers gemäß § 297 BGB in weiteren Zeiträumen ausgeschlossen war.
a) Der Gläubiger kommt nach § 297 BGB nicht in Verzug, wenn der Schuldner zur Zeit des Angebots oder im Falle des § 296 BGB zu der für die Handlung des Gläubigers bestimmten Zeit außerstande ist, die Leistung zu bewirken. Entfällt das Leistungsvermögen des Arbeitnehmers, wird die vertraglich geschuldete Leistung unmöglich (BAG 24. September 2003 – 5 AZR 282/02 – zVv., zu II 2 der Gründe). Die Darlegungs- und Beweislast für das Unvermögen des Arbeitnehmers trägt der Arbeitgeber (BAG 29. Oktober 1998 – 2 AZR 666/97 – AP BGB § 615 Nr. 77 = EzA BGB § 615 Nr. 91). Da er über den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers im Annahmeverzugszeitraum regelmäßig keine näheren Kenntnisse hat, können an seinen Vortrag zum Leistungsunvermögen keine hohen Anforderungen gestellt werden. Es genügt, wenn er Indizien vorträgt, aus denen auf Arbeitsunfähigkeit geschlossen werden kann. In Betracht kommen insbesondere Krankheitszeiten des Arbeitnehmers vor und nach dem Verzugszeitraum. Hat der Arbeitgeber solche Indizien vorgetragen, ist es Sache des Arbeitnehmers, die Indizwirkung zu erschüttern. Der Arbeitnehmer muss dartun, warum aus dem Vortrag des Arbeitgebers nicht auf Leistungsunvermögen geschlossen werden kann (§ 138 Abs. 2 ZPO). Er kann etwa darlegen, warum die zugrunde liegenden Erkrankungen keine Aussagekraft für den Annahmeverzugszeitraum haben, oder konkrete Umstände für eine Ausheilung von Krankheiten bzw. ein Abklingen der Beschwerden vortragen. Nahe liegend ist es, die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Der Arbeitgeber ist dann für die Leistungsunfähigkeit beweispflichtig. Er kann sich auf das Zeugnis der den Arbeitnehmer behandelnden Ärzte und auf ein Sachverständigengutachten berufen. Trägt der Arbeitnehmer dagegen nichts vor oder lässt er sich nicht substantiiert ein, gilt die Behauptung des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer sei auch während des Verzugszeitraums leistungsunfähig gewesen, gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.
b) Die Beklagte hat ausreichende Indizien zum Leistungsunvermögen des Klägers vorgetragen. Das angebotene Sachverständigengutachten zielt nicht auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis. Ein solcher liegt vor, wenn es an der Bestimmtheit der zu beweisenden Tatsachen fehlt und durch die beabsichtigte Beweiserhebung erst die Grundlagen für substantiierte Tatsachenbehauptungen gewonnen werden sollen (BAG 28. Mai 1998 – 6 AZR 618/96 – BAGE 89, 70, 77 mwN).
aa) Unstreitig war der Kläger vom 1. September bis zum 16. Oktober 1997, ausweislich der vom Kläger vorgelegten Bescheinigung der AOK vom 5. März 2001 sogar bis zum 31. Januar 1998, und ab dem 29. November 2000 bis über den 30. Juni 2001 hinaus arbeitsunfähig krank. In diesen Zeiträumen wurde er mehrfach im Krankenhaus behandelt. Die Beklagte hat sich hierauf bezogen und vorgetragen, dass der Kläger im Zeitraum März 1998 bis 6. Oktober 2000 auf Grund einer Erkrankung der Wirbelsäule und der damit verbundenen Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit seine Arbeitsleistung als Baufacharbeiter nicht habe erbringen können; mehrere Krankenhausaufenthalte hätten keine Besserung gebracht. Damit hat die Beklagte tatsächliche Umstände angeführt, die Rückschlüsse auf eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers im Verzugszeitraum zumindest als möglich erscheinen lassen.
bb) Der Kläger hat vorgetragen, lediglich vom 16. bis 24. Juli 1998 arbeitsunfähig krank gewesen zu sein, und die Entbindung seiner Ärzte von der Schweigepflicht angeboten. Für seine Leistungsfähigkeit spreche das zwischenzeitliche Arbeitsverhältnis von Dezember 1998 bis Mai 1999. Danach hat der Kläger die Behauptungen der Beklagten ausreichend bestritten.
cc) Der angebotene Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens ist nicht deshalb unzulässig, weil er auf keiner gesicherten Tatsachenkenntnis der Beklagten, sondern auf deren Vermutungen beruht. Der Arbeitgeber kann regelmäßig nicht beurteilen, ob der Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist arbeitsfähig ist. Die Beklagte hat aus den Krankheitszeiten des Klägers vor und nach dem Verzugszeitraum auf sein Leistungsunvermögen während dieses Zeitraums geschlossen. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden. Eine Partei, die keine näheren Einblicke in dem Gegner bekannte Geschehensabläufe hat und deren Beweisführung deshalb erschwert ist, kann auch von ihr nur vermutete Tatsachen behaupten und unter Beweis stellen. Unzulässig ist ein derartiges prozessuales Vorgehen erst dort, wo die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen “aufs Geradewohl” oder “ins Blaue hinein” aufstellt und sich deshalb rechtsmissbräuchlich verhält. Das kann in der Regel nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte angenommen werden oder wenn die Partei selbst nicht an die Richtigkeit ihrer Behauptungen glaubt (BAG 28. Mai 1998 – 6 AZR 618/96 – BAGE 89, 70, 78 f. mwN). Davon kann im Streitfall keine Rede sein.
c) Die Einholung eines Sachverständigengutachtens ist nicht deshalb unzulässig, weil die Beklagte von den ärztlichen Diagnosen unter Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers erfahren hat. Dabei bedarf keiner Entscheidung, ob vorgetragene Tatsachen, deren Kenntnis auf rechtswidrige Weise erlangt wurde, einem prozessualen Verwertungsverbot unterliegen; denn über die einzelnen Krankheitsursachen soll nicht Beweis erhoben werden, zumal der Kläger den überwiegenden Teil der behaupteten Diagnosen unstreitig gestellt hat. Bewiesen werden soll dagegen, dass der Kläger auf Grund seiner Erkrankung der Wirbelsäule außerstande war, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Diese Behauptung hatte die Beklagte bereits substantiiert aufgestellt, bevor die von ihr beauftragte Detektei ärztliche Diagnosen für die Krankheitszeiten des Klägers ermittelte. Eine Partei kann nicht schon deshalb mit ihrem Tatsachenvortrag zurückgewiesen werden, weil sie zu einem späteren Zeitpunkt Informationen für weiteren Tatsachenvortrag auf rechtswidrige Weise erlangt.
d) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dem Annahmeverzug stehe ein Leistungsunvermögen des Klägers nicht entgegen; die Beklagte sei beweisfällig geblieben. Mit dem angebotenen Beweismittel habe die Leistungsunfähigkeit nicht bewiesen werden können. Es erscheine schlechterdings ausgeschlossen, nachträglich durch sachverständige Gutachter oder sachverständige Zeugen exakt festzustellen, von welchem Zeitpunkt an die Leistungsfähigkeit des Klägers unter das Maß einer noch als vertragsgemäß anzusehenden Arbeitsleistung gemindert gewesen sei. Mit dieser Begründung durfte das Landesarbeitsgericht von einer Beweisaufnahme nicht absehen, wie die Beklagte zu Recht geltend macht. Die Ablehnung, Sachverständigenbeweis zu erheben, verletzt § 286 ZPO.
aa) Zulässig ist die Ablehnung eines Beweisantrags, wenn der beantragte Beweis zu keinem Ergebnis führen kann, also zwecklos ist. Die Zwecklosigkeit des Beweises kann sich aus der völligen Ungeeignetheit des Beweismittels ergeben (BGH 12. Januar 1994 – XII ZR 155/92 – NJW 1994, 1348). Die Ablehnung ist unter diesem Gesichtspunkt nur zulässig, wenn es vollkommen ausgeschlossen erscheint, dass die Beweisaufnahme irgendetwas Sachdienliches ergeben könnte. Der völlige Unwert des Beweismittels muss feststehen, um es ablehnen zu dürfen (BVerfG 28. Februar 1992 – 2 BvR 1179/91 – NJW 1993, 254). Eine Beweisaufnahme darf nicht schon deshalb unterbleiben, weil die aufgestellte Behauptung unwahrscheinlich ist oder die beantragte Beweisaufnahme aller Wahrscheinlichkeit nach erfolglos bleiben wird (BGH 12. Januar 1994 – XII ZR 155/92 – aaO). Eine derartige Bewertung eines noch nicht vorliegenden Beweises läuft auf eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung hinaus. Die “Unergiebigkeit” eines Beweises – auch soweit er länger zurückliegende Vorgänge betrifft – lässt sich im allgemeinen erst beurteilen, wenn er erhoben ist (BGH 13. Januar 1986 – II ZR 76/85 – VersR 1986, 545).
bb) Danach ist nicht allein auf Grund des Zeitablaufs von der Erfolglosigkeit der Beweisaufnahme auszugehen. Ob ein sachverständiger Gutachter zum Leistungsvermögen des Klägers im Streitzeitraum (noch) Angaben machen kann, ggf. auf der Grundlage von Krankenakten, gehört zu den von dem Sachverständigen zu beantwortenden Fragen und lässt sich erst nach der Beweiserhebung beurteilen. Es ist zudem durchaus üblich, dass medizinische Gutachten sich mit vergangenheitsbezogenen Fragestellungen befassen. Bei der krankheitsbedingten Kündigung ist für die Beurteilung der Gesundheitsprognose stets auf den in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs abzustellen.
3. Entgegen der Auffassung der Beklagten muss sich der Kläger keinen hypothetischen Verdienst wegen böswilligen Unterlassens anderweitigen Erwerbs anrechnen lassen. Der Arbeitnehmer unterlässt böswillig anderweitigen Erwerb, wenn er vorsätzlich grundlos Arbeit ablehnt oder vorsätzlich verhindert, dass ihm Arbeit angeboten wird (BAG 19. März 1998 – 8 AZR 139/97 – BAGE 88, 196; 16. Mai 2000 – 9 AZR 203/99 – BAGE 94, 343). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Beklagte hat den Kläger erst nach Zurückweisung ihrer Berufung im Kündigungsschutzprozess vorläufig weiterbeschäftigt. Dass sie ihn über offene Stellen informiert habe, hat sie nicht vorgetragen. Der Kläger hat sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und nach seinem nicht weiter bestrittenen Vortrag um verschiedene Stellen beworben. Schließlich hat der Kläger ab Mitte Mai 1999 anderweitigen Verdienst nicht böswillig unterlassen. Die Beklagte hat hierzu bisher widersprüchlich vorgetragen. Einerseits hat sie behauptet, der Kläger habe das Arbeitsverhältnis bei der Arbeiterwohlfahrt P… aus gesundheitlichen Gründen nicht fortsetzen können; andererseits hätte er dort angeblich weiter arbeiten können. Diese Behauptungen stehen auch nicht in einem Eventualverhältnis.
II. Ob dem Kläger ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 4 Nr. 2 BRTV-Bau in Verb. mit § 3 Abs. 1 EFZG für die Zeit vom 29. November bis zum 31. Dezember 2000 zusteht, hängt von der Art der Krankheit bzw. den Zeiträumen des § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG ab.
III. Die Ansprüche sind nicht gemäß § 16 BRTV-Bau erloschen.
1. Durch die Erhebung der Kündigungsschutzklage am 2. September 1997 hat der Kläger die von der Kündigung abhängenden Vergütungsansprüche und die Entgeltfortzahlungsansprüche rechtzeitig schriftlich erhoben. Entgegen der Ansicht der Beklagten genügt eine Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers als schriftliche Geltendmachung der damit zusammenhängenden weiteren Ansprüche nicht nur zur Wahrung einer einstufigen Ausschlussfrist, die schriftliche Geltendmachung erfordert. In der Kündigungsschutzklage liegt auch die schriftliche Geltendmachung der damit zusammenhängenden weiteren Ansprüche bei einer zweistufigen Ausschlussfrist; das gilt auch dann, wenn der Lauf der zweiten Frist für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses gehemmt ist (Senat 22. Februar 1978 – 5 AZR 805/76 – BAGE 30, 135, 137 f.; BAG 21. März 1991 – 2 AZR 577/90 – AP BGB § 615 Nr. 49 = EzA BGB § 615 Nr. 68). Das Gesamtziel des Kündigungsschutzbegehrens ist nicht auf die Erhaltung des Arbeitsplatzes beschränkt, sondern auch auf die Sicherung von Ansprüchen gerichtet, die durch den Verlust des Arbeitsplatzes möglicherweise verlorengehen. Dieses Ziel des Kündigungsschutzbegehrens ist dem Arbeitgeber regelmäßig unabhängig davon erkennbar, ob eine einstufige Verfallklausel eine Geltendmachung verlangt oder ob zusätzlich die gerichtliche Geltendmachung von Zahlungsansprüchen erforderlich wird. Mit der Kündigungsschutzklage werden auch Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Zeitraum der Nichtbeschäftigung geltend gemacht; denn auch sie hängen vom Bestand des Arbeitsverhältnisses ab, über den im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens entschieden wird.
2. Der Kläger hat auch die zweite Stufe der Ausschlussfrist des § 16 BRTV-Bau gewahrt (gerichtliche Geltendmachung innerhalb von zwei Monaten nach rechtskräftiger Beendigung des Kündigungsschutzverfahrens). Für die gerichtliche Geltendmachung kommt es nach § 270 Abs. 3 ZPO aF auf den Zeitpunkt der Anhängigkeit an (BAG 21. März 1991 – 2 AZR 577/90 – AP BGB § 615 Nr. 49 = EzA BGB § 615 Nr. 68). Die Frist begann mit Rechtskraft des Berufungsurteils im Kündigungsschutzverfahren am 22. Februar 2001 zu laufen. An diesem Tag wurde der Beschluss des Bundesarbeitsgerichts über die Nichtzulassung der Revision der Beklagten zugestellt (vgl. Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes 24. Oktober 1983 – GmS-OGB 1/83 – BGHZ 88, 353). Die Ansprüche für die Zeit vom 1. Juli 1999 bis zum 31. Dezember 2000 hat der Kläger unter Abzug des erhaltenen Arbeitslosengeldes am 4. Januar 2001 eingeklagt und in vollem Umfang mit am Montag, dem 23. April 2001, bei Gericht eingegangener Klageerweiterung geltend gemacht. Das war nach § 222 Abs. 2 ZPO rechtzeitig.
3. Die vor dem 1. Juli 1999 entstandenen und auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangenen Verzugslohnansprüche sind nicht verfallen, obwohl die Beklagte erst an diesem Tag gegenüber dem Arbeitsamt auf die Einhaltung der tariflichen Ausschlussfrist verzichtet hat. Auf Grund der Kündigungsschutzklage ist dem Erfordernis der schriftlichen Geltendmachung gemäß § 16 Nr. 1 BRTV-Bau genügt. Einer erneuten schriftlichen Geltendmachung durch die Bundesanstalt für Arbeit bedurfte es nicht. Die Bundesanstalt ist auf Grund des Anspruchsübergangs auch hinsichtlich der Verfallfrist in die Rechtsstellung des Klägers eingetreten (§ 115 SGB X, §§ 412, 404 BGB).
Bei Beginn der Frist zur gerichtlichen Geltendmachung gemäß § 16 Nr. 2 Satz 3 BRTV-Bau war zwar die Bundesanstalt für Arbeit Gläubiger eines Teils der streitgegenständlichen Verzugslohnansprüche. Durch die vom Kläger angenommene Erklärung des Arbeitsamts N vom 20. April 2001 hat sie die Ansprüche aber an den Kläger abgetreten. Es handelt sich hierbei um eine sog. atypische Willenserklärung. Als solche unterliegt sie nur einer eingeschränkten Nachprüfung durch das Revisionsgericht (vgl. nur BAG 11. Mai 2000 – 2 AZR 54/99 – AP BetrVG 1972 § 102 Weiterbeschäftigung Nr. 13 = EzA BetrVG 1972 § 102 Beschäftigungspflicht Nr. 11). Zwar deutet ihr Wortlaut darauf hin, daß das Arbeitsamt rückwirkend auf den Übergang der Forderungen gemäß § 115 SGB X verzichten wollte. Ein Verzicht ist aber nur für die Zukunft möglich. Bezüglich bereits übergegangener Forderungen wirkt sich der Verzicht nicht aus. In Betracht kommt nur eine (Rück)Abtretung der kraft Gesetzes übergegangenen Ansprüche. Mit den Vorinstanzen ist davon auszugehen, dass das Arbeitsamt und der Kläger jedenfalls diese Wirkung erzielen wollten, um dem Kläger die Geltendmachung der Gesamtforderung im Rahmen der bereits anhängigen Zahlungsklage unter Wahrung der Ausschlussfristen zu ermöglichen. Anderenfalls hätte die Bundesanstalt für Arbeit eine eigene Klage anstrengen müssen. Bei Abtretung der Forderungen am 20. April 2001 waren etwaige Ansprüche der Bundesanstalt noch nicht gemäß § 16 Nr. 2 BRTV-Bau verfallen. Der Kläger konnte die Verzugslohnansprüche daher im eigenen Namen gerichtlich geltend machen und vollumfänglich Zahlung an sich selbst verlangen. Das hat er am 23. April 2001 noch rechtzeitig getan.
4. Der Kläger hat auch restliche Vergütungsansprüche für die Zeit vom 6. Oktober 2000 bis zum 28. November 2000 rechtzeitig geltend gemacht, da er seine Zahlungsklage bereits am 4. Januar 2001 auf diese – Mitte November 2000 und Mitte Dezember 2000 fällig gewordenen – Ansprüche erstreckt hat.
Unterschriften
Müller-Glöge, Mikosch, Linck, Sappa, Zorn
Fundstellen
Haufe-Index 1097319 |
DB 2004, 439 |
DStR 2003, 2126 |
ARST 2004, 71 |
FA 2004, 115 |
FA 2004, 153 |
FA 2004, 23 |
AP, 0 |
AuA 2003, 41 |
EzA-SD 2003, 4 |
EzA-SD 2004, 5 |
EzA |
ArbRB 2003, 354 |
SPA 2003, 4 |