Entscheidungsstichwort (Thema)
Auskunftspflicht des Arbeitnehmers
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Arbeitnehmer ist auch nach seiner Einstellung verpflichtet, Fragen des Arbeitgebers zu seiner Vor- und Ausbildung zu beantworten, wenn davon auszugehen ist, daß die bei der Einstellung abgegebenen Erklärungen und danach erfolgte Ergänzungen nicht mehr vollständig vorhanden sind.
2. Der Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, außergerichtliche Erklärungen zu möglichen Kündigungsgründen abzugeben, soweit nicht besondere rechtliche Grundlagen hierfür bestehen.
3. Der öffentliche Arbeitgeber darf nach dem Grundgesetz nur solche Lehrer einsetzen, die zu den Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes stehen. Zur Sicherstellung dieser Aufgabe sind solche Fragen gegenüber dem Lehrer zulässig, die Zweifel an dessen Eignung im Zusammenhang mit einer früheren Tätigkeit betreffen. Hierzu gehören Fragen nach der Tätigkeit für das frühere Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und nach Funktionen in politischen Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR (im Anschluß an Senatsurteil vom 26. August 1993 - 8 AZR 561/92 - AP Nr 8 zu Art 20 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
Normenkette
BGB § 242; IAOÜbk 111; GG Art. 33 Abs. 2; ZPO § 256 Abs. 1; BPersVGAnwG §§ 24, 53 Abs. 1, § 82 Abs. 6, 1; KSchG § 1 Abs. 4 S. 4; BPersVGAnwG § 75 Abs. 3 Nr. 8, § 116 b Abs. 2 Nr. 5; EinigVtr Anlage I Kap. XIX A III Nr. 1 Abs. 4; EinigVtr Anlage I Kap. II B II Nr. 2 b § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zulässigkeit eines der Klägerin zur Beantwortung vorgelegten Personalfragebogens.
Die Klägerin ist Diplomlehrerin im Schuldienst des Beklagten. Der Beklagte hat im März 1991 sein pädagogisches Personal aufgefordert, einen Fragebogen zu beantworten. Die Klägerin wandte sich in einem einstweiligen Verfügungsverfahren gegen die Pflicht zur Ausfüllung des Fragebogens. Auf Grund des dort abgeschlossenen Vergleichs füllte sie den Fragebogen aus. Dessen Verwertung ist jedoch vom Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits abhängig gemacht worden.
Der Fragebogen enthält folgende Fragen:
1.1.
Haben Sie jemals offiziell oder inoffiziell,
hauptamtlich oder sonstwie für das Ministerium
für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit
der ehemaligen DDR gearbeitet?
ja/nein
Wenn ja: In welcher Weise, wo und von wann bis
wann? Aus welchen Gründen wurde die
Tätigkeit beendet?
1.2.
Haben Sie gelegentlich oder unentgeltlich, über
mittelbare Kontakte, im Wege einer Verpflichtung
als Reisekader oder über Kontakte, zu denen Sie
als Mitarbeiter örtlicher Staatsorgane verpflich-
tet waren, für das Ministerium für Staatssicher-
heit/Amt für Nationale Sicherheit der DDR gear-
beitet?
ja/nein
Wenn ja: In welcher Weise, wo und von wann bis
wann? Aus welchen Gründen wurden diese
Kontakte beendet?
1.3.
Falls die Fragen 1.1. und 1.2. mit nein beantwor-
tet werden; Haben Sie solche Kontakte gehabt, die
zu Ihrer Anwerbung führen sollten, was Sie aber
ablehnten?
ja/nein
Wenn ja: Wann und zu welcher Aufgabe sollten Sie
verpflichtet werden?
2.
Hatten Sie vor dem 9. November 1989 Mandate oder
Funktionen in oder für politische(n) Parteien
oder Massenorganisationen (z.B. FDGB, FDJ, GST,
DFD, DSF) der ehemaligen DDR inne?
Hatten Sie in dieser Zeit sonst eine herausgeho-
bene Stellung in der ehemaligen DDR inne?
ja/nein
Wenn ja: Welche Funktionen/Mandate/Stellung?
Wann, wo?
3.
Waren Sie vor dem 9. November 1989 in einem Be-
trieb in der ehemaligen DDR oder für einen sol-
chen außerhalb der ehemaligen DDR auf Leitungs-
ebene tätig?
ja/nein
Wenn ja: In welchem Betrieb, welche Tätigkeit?
Wo, wann?
4.
Waren Sie vor dem 9. November 1989 im beruflichen
oder gesellschaftlichen Auftrag außerhalb des Ge-
biets der ehemaligen DDR tätig?
ja/nein
Wenn ja: In welcher Weise? Wann, wo?
5.
Haben Sie eine Ausbildung außerhalb des Gebiets
der ehemaligen DDR absolviert?
ja/nein
Wenn ja: Welche, wann, wo?
6.
Haben Sie andere als allgemeinbildende bzw. be-
rufsausbildende Ausbildungen durchlaufen (z.B.
Parteischulen o.ä.)?
ja/nein
Wenn ja: Welche, wann, wo?
Die Klägerin hat geltend gemacht, die Vorlage des Fragebogens sei unzulässig. Die Fragen hätten mit der Eignung für den Schuldienst nichts zu tun und weder im Einigungsvertrag noch im Arbeitsvertrag eine Rechtsgrundlage. Eine Pflicht zur Auskunftserteilung bestehe nicht. Der Arbeitgeber habe ein Fragerecht nur bei einem billigenswerten Interesse, das lediglich anläßlich der Einstellung zu bejahen sei. Die Fragen zur Offenbarung der politischen und ideologischen Überzeugung verletzten das Persönlichkeitsrecht. Die Frage nach der Parteizugehörigkeit sei grundsätzlich unzulässig. Die Beantwortung der Fragen sei insgesamt nur unter Vorlage einer lückenlosen Biographie möglich. Der Fragebogen sei diskriminierend und verstoße gegen das ILO-Übereinkommen Nr. 111. Darüber hinaus verletze er die Unschuldsvermutung und enthalte eine unzulässige Pflicht zur Selbstbezichtigung.
Bei der Erstellung des Fragebogens hätte der Kreisschulpersonalrat beteiligt werden müssen. Das gelte unter Beachtung des Grundsatzes der lückenlosen Repräsentation nach den §§ 116 b, 82 Abs. 6 PersVG-DDR nicht nur im Stufenverfahren, sondern auch bei Erstzuständigkeit des noch nicht gebildeten Hauptpersonalrats, zumal die Dienststellenleiterin die rechtzeitige Bildung des Hauptpersonalrats verhindert habe.
Die Klägerin hat, soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung, beantragt
festzustellen, daß die Befragung gemäß dem ihr
vorgelegten Fragebogen unzulässig sei.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat vorgetragen, auf Grund der für Angestellte im öffentlichen Dienst geltenden Pflicht zum Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung müsse er sich über die Eignung der Beschäftigten ein Bild machen können. Die Vorschriften des Einigungsvertrages zur Kündigung wegen Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit und wegen mangelnder persönlicher Eignung dienten dem Zweck einer Bereinigung des öffentlichen Dienstes von politisch hochbelasteten Personen. Die Verwendung des Fragebogens sei nicht zuletzt wegen der vorher erfolgten Ausdünnung der Personalakten erforderlich. Die Fragen dienten der Vorbereitung einer umfassenden Einzelfallprüfung, ob Zweifel an der notwendigen Bereitschaft zum Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung bestünden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagziel weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig, aber nur zum Teil begründet. Die Befragung gemäß dem Fragebogen ist nicht insgesamt unzulässig. Die Klägerin muß die gestellten Fragen überwiegend beantworten. Nur die Frage nach erfolglosen Anwerbungsversuchen des Ministeriums für Staatssicherheit ist unzulässig.
I. Die Klage ist zulässig.
1. Der Feststellungsantrag bezweckt die Klärung, ob der Beklagte den Fragebogen gegenüber der Klägerin verwenden darf. Dabei geht es nicht nur um dessen Zulässigkeit insgesamt, sondern auch um die Zulässigkeit der einzelnen Fragen. Die Klägerin will wissen, ob sie verpflichtet ist, die Fragen (ganz oder zum Teil) zu beantworten. Diese Auslegung ergibt sich aus der Vorgeschichte der Klage und aus den Erklärungen der Parteien vor dem Senat. Der Beklagte hat zugesagt, er werde für den Fall der Unzulässigkeit einzelner Fragen den ausgefüllten Fragebogen nicht auswerten, sondern der Klägerin verschlossen aushändigen und ihr einen neuen Fragebogen nur mit den zulässigen Fragen zur Beantwortung vorlegen. Die Klägerin hat erklärt, sie werde die vom Senat für zulässig erachteten Fragen beantworten.
2. Der so verstandene Antrag ist zulässig. Die Zulässigkeit des Fragerechts gemäß dem Fragebogen stellt ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO dar. Das erforderliche Feststellungsinteresse besteht, weil von der Feststellung die Auswertung oder Vernichtung des ausgefüllten Fragebogens und ggf. Beantwortung eines neuen Fragebogens unmittelbar abhängen. Damit ist gerade der Rechtskreis der Klägerin betroffen. Es liegt keine "Popularklage" vor. Die Leistungsklage ist nicht vorrangig, da der Beklagte erklärt hat und von ihm zu erwarten ist, er werde sich an ein Feststellungsurteil halten. Zudem wäre es der Klägerin nicht zumutbar gewesen, die Beantwortung zu verweigern oder Fragen falsch zu beantworten, etwaige Maßnahmen des Beklagten abzuwarten und dagegen gerichtlich vorzugehen.
II. Die Klage ist nur hinsichtlich der Frage 1.3. begründet, im übrigen unbegründet.
1. Die Befragung gemäß dem Fragebogen ist gegenüber der Klägerin nicht aus personalvertretungsrechtlichen Gründen unzulässig.
a) Nach § 75 Abs. 3 Ziff. 8 PersVG-DDR hatte der Personalrat über den Inhalt von Personalfragebogen mitzubestimmen. Die individualrechtlichen Folgen, wenn der Arbeitgeber einen Fragebogen ohne die kollektivrechtlich erforderliche Zustimmung verwendet, werden in der Literatur unterschiedlich beurteilt (für die Betriebsverfassung vgl. einerseits etwa Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 94 Rz 33; Galperin/Löwisch, Kommentar zum BetrVG, 6. Aufl., § 94 Rz 15, 17; Däubler/Klebe, BetrVG, 4. Aufl., § 94 Rz 25; andererseits GK-BetrVG/Kraft, 4. Aufl., § 94 Rz 32; Hess/Schlochauer/Glaubitz, Kommentar zum BetrVG, 4. Aufl., § 94 Rz 34; nicht eindeutig Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 17. Aufl., § 94 Rz 34; in der personalvertretungsrechtlichen Kommentarliteratur wird die Frage, soweit ersichtlich, nicht behandelt).
b) Im Streitfalle war keine Personalvertretung zu beteiligen, so daß es auf die unter a) angeschnittene Frage nicht ankommt.
aa) Zuständige Personalvertretung wäre der Hauptpersonalrat beim Kultusministerium gewesen, da das Ministerium für Erarbeitung und Einsatz des landesweit verwendeten Fragebogens allein zuständig war (§§ 82 Abs. 1, 53 Abs. 1 PersVG-DDR). Ein Hauptpersonalrat war jedoch zur Zeit der Verwendung des Fragebogens noch nicht gebildet. Daran ändert der durch den vorliegenden Prozeß entstandene Zeitablauf bis zur endgültigen Klärung der Angelegenheit nichts.
bb) Aus den §§ 82 Abs. 6, 116 b Abs. 2 Nr. 5 PersVG-DDR ergab sich keine Notwendigkeit, einen bestehenden Schul- oder Kreisschulpersonalrat zu beteiligen. Diese Vorschriften sicherten lediglich ein mehrstufiges Beteiligungsverfahren und setzten das Vorhandensein einer erstzuständigen Personalvertretung voraus (vgl. nur Senatsurteile vom 17. Februar 1994 - 8 AZR 68/93 - und - 8 AZR 128/93 - jeweils n.v., zu B V 2 bzw. B IV 2 der Gründe; vom 26. Mai 1994 - 8 AZR 248/93 - n.v., zu B II 1 b der Gründe; Urteil des Zweiten Senats vom 13. Oktober 1994 - 2 AZR 261/93 - zur Veröffentlichung vorgesehen, zu B I 2 der Gründe).
cc) Die von der Klägerin begehrte Rechtsfolge kann auch nicht daraus hergeleitet werden, daß die Dienststellenleiterin die Wahl eines Hauptpersonalrats behindert haben soll. In einem solchen Fall ist mit den gebotenen Mitteln gegen die nach § 24 PersVG-DDR verbotene Wahlbehinderung vorzugehen. Der einzelne Bedienstete kann aus einer Wahlbehinderung aber nicht unmittelbar die Rechte ableiten, die das Bestehen einer zuständigen Personalvertretung voraussetzen.
2. Die Klägerin trifft im Grundsatz eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht zu Auskünften im bestehenden Arbeitsverhältnis aus § 242 BGB.
a) Nach Treu und Glauben besteht eine Auskunftspflicht, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, daß der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen oder Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewißheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann. Dieser Rechtsgrundsatz gilt inzwischen als Gewohnheitsrecht (vgl. MünchKommBGB-Keller, 3. Aufl., § 260 Rz 10 ff.; BGB RGRK-Alff, 12. Aufl., §§ 259 bis 261 Rz 2 ff.; Palandt/Heinrichs, BGB, 54. Aufl., §§ 259 bis 261 Rz 8 ff.; Staudinger/Selb, BGB, 12. Aufl., § 260 Rz 11; Erman/Sirp, BGB, 8. Aufl., § 242 Rz 65 f., alle m.w.N. aus der Rechtsprechung). Im Arbeitsverhältnis wird der Inhalt dieser Nebenpflicht durch eine besondere persönliche Bindung der Vertragspartner geprägt. Das Arbeitsverhältnis beinhaltet spezifische Pflichten zur Rücksichtnahme auf die Interessen des jeweiligen Vertragspartners (vgl. nur MünchArbR-Blomeyer, § 49 Rz 16 ff.). Im einzelnen können gesetzliche Regelungen und Wertungen die Grenzen der Auskunftspflicht bestimmen (BAG Urteil vom 1. August 1985 - 2 AZR 101/83 - BAGE 49, 214, 221 ff. = AP Nr. 30 zu § 123 BGB).
b) Die einschlägigen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts befassen sich ganz überwiegend mit dem Fragerecht des Arbeitgebers bei Einstellungen. Auch in der Literatur wird der Informationsanspruch des Arbeitgebers zumeist in diesem Zusammenhang abgehandelt (vgl. etwa Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 7. Aufl., § 25 II = S. 112 ff., § 26 III = S. 118 ff.; Moritz, NZA 1987, 329 ff.; grundlegend und ausführlich MünchArbR-Buchner, § 38 = S. 577 ff.). Fragerechtsbeschränkungen werden im allgemeinen aus einer Interessenabwägung und aus dem Persönlichkeitsrecht abgeleitet. Ebenso können Benachteiligungsverbote greifen. Die hier gefundenen Ergebnisse können aber nicht ohne weiteres auf das bestehende Arbeitsverhältnis übertragen werden (vgl. auch MünchArbR-Blomeyer, § 95 Rz 17). Im Streitfalle geht es zum einen um einen echten Auskunftsanspruch, nicht nur um den Umfang des Fragerechts; zum anderen sind die Interessen- und die Gefahrenlage für die Vertragspartner bei der Einstellungsentscheidung und im bestehenden Arbeitsverhältnis nicht völlig gleichgelagert.
c) Für den Auskunftsanspruch des Arbeitgebers im bestehenden Arbeitsverhältnis bedeutet das:
aa) Voraussetzung ist ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers an der Beantwortung der Frage. Dieses Interesse muß gerade im Zusammenhang mit dem bestehenden Arbeitsverhältnis vorliegen. Da sich die Auskunft nur auf das Bestehen oder den Umfang von Rechten aus dem Arbeitsverhältnis beziehen kann, muß ein Zusammenhang mit der Erfüllung der vom Arbeitnehmer geschuldeten vertraglichen Leistung, mit dessen sonstiger Pflichtenbindung oder mit der Pflichtenbindung des Arbeitgebers bestehen. Ein bloß allgemeiner Zweckzusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis reicht hier nicht aus.
bb) Die Auskunftsverpflichtung darf keine übermäßige Belastung für den Arbeitnehmer darstellen. Sie muß der Bedeutung des Auskunftsinteresses entsprechen. Kann sich der Arbeitgeber die Information auf zumutbare Weise anderweitig verschaffen, ist der Anspruch ausgeschlossen. Greift die Frage in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers ein, so muß dieser Eingriff einer Abwägung der beiderseitigen Interessen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit standhalten. Ein unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung muß in jedem Falle gewahrt bleiben.
cc) Die gesetzliche Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Prozeß und gesetzliche Beweislastregeln sind zu berücksichtigen. Die Darlegungs- und Beweissituation darf nicht durch die Gewährung materiellrechtlicher Auskunftsansprüche unzulässig verändert werden. Der Auskunftsanspruch kann nach Treu und Glauben nur da ergänzend eingreifen, wo auch die grundsätzliche Verteilung der Darlegungs- und Beweislast einer entsprechenden Korrektur bedarf.
Nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG hat der Arbeitgeber die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen. Eine vorprozessuale Auskunftspflicht des Arbeitnehmers stünde hierzu im Widerspruch. Soweit nicht besondere rechtliche Grundlagen bestehen, ist der Arbeitnehmer nicht verpflichtet, außergerichtliche Erklärungen zu möglichen Kündigungsgründen abzugeben.
3. Die der Klägerin mit dem Fragebogen vorgelegten Fragen sind danach überwiegend nicht zu beanstanden.
a) Die Fragen 1.1., 1.2. und 2. sind zulässig und müssen wahrheitsgemäß beantwortet werden.
Der Senat hat bereits im Urteil vom 26. August 1993 (- 8 AZR 561/92 - AP Nr. 8 zu Art. 20 Einigungsvertrag, zu B II 5 der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) die Frage nach der Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung für das MfS als zulässig erachtet. Der Senat hat angenommen, der Arbeitnehmer habe die Frage nach Beziehungen zum MfS wahrheitsgemäß beantworten müssen. Die Frage habe im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis gestanden und dem Zweck gedient, ungeeigneten Personen im Sinne der Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 und 5 Einigungsvertrag (künftig: Abs. 4 und 5 EV) zu kündigen. Mit dem Wirksamwerden des Beitritts verpflichte Art. 33 Abs. 2 GG die neuen Träger öffentlicher Verwaltung auch im Hinblick auf die kraft Gesetzes übergegangenen Arbeitsverhältnisse. Zur Eignung eines Arbeitnehmers im öffentlichen Dienst gehöre das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Ein Arbeitnehmer, der sich in der Vergangenheit besonders mit den Zielsetzungen der SED identifiziert habe, erwecke allein deshalb Zweifel an der Verfassungstreue. Der Einigungsvertrag erfordere die Prüfung der früheren Stellung des Arbeitnehmers, da Abs. 4 Ziff. 1, 2. Alt. EV auf die mangelnde persönliche Eignung abstelle. Entsprechendes gelte für Abs. 5 EV. Der öffentliche Arbeitgeber habe ein berechtigtes Interesse daran, alle zu dieser Aufklärung erheblichen Fragen im Rahmen der übernommenen Arbeitsverhältnisse zu stellen. Das bestätige der Einigungsvertrag indirekt in Anlage I Kapitel II Sachgebiet B Abschnitt II Nr. 2 b § 2 Abs. 1 Satz 3 Ziff. 2. Das Interesse an der wahrheitsgemäßen Beantwortung der Frage nach der Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung wiege schwerer als das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die Ausübung des Fragerechts diene letztlich der Bereinigung des übernommenen öffentlichen Dienstes von vorbelastetem Personal und damit der Schaffung einer leistungsfähigen öffentlichen Verwaltung, einem überragend wichtigen Gemeinschaftsgut.
Hieran hält der Senat fest. Der öffentliche Arbeitgeber darf nach dem Grundgesetz nur solche Lehrer einsetzen, die zu den Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes stehen. Um diese Aufgabe sicherzustellen, bedarf es der Frage nach einer Tätigkeit für das MfS und nach Funktionen in politischen Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR. Die wahrheitsgemäße Antwort durch den Lehrer ist erforderlich, damit Zweifel an dessen Eignung ausgeräumt werden oder der öffentliche Arbeitgeber solchen Zweifeln im einzelnen nachgehen kann. Der Beklagte hat nach der als solche keine Zweifel begründenden Mitgliedschaft in der SED gerade nicht gefragt. Eine übermäßige Belastung des Auskunftsverpflichteten liegt angesichts des besonderen Interesses des Arbeitgebers nicht vor. Dessen Interesse ist auf die Unterrichtung gerade durch den einzelnen Lehrer gerichtet, um Denunzierungen zu vermeiden. Entgegen der Auffassung der Klägerin wird keine "lückenlose Biographie" und auch keine "Selbstbezichtigung" verlangt. Der Lehrer ist nicht etwa verpflichtet, im einzelnen Kündigungsgründe preiszugeben, etwa zur Art und Weise der Amtsausübung oder zu konkreten belastenden Vorfällen. Die Ausübung von Mandaten, Funktionen oder herausgehobenen Positionen ist zwar dem neuen Arbeitgeber ohne entsprechende Mitteilung regelmäßig nicht bekannt, so daß es der Auskunft bedarf. Sie vollzog sich gleichwohl weitgehend im öffentlichen Bereich, die private Lebensgestaltung ist nicht betroffen.
Die zum Teil allgemeine Art der Fragestellung steht ihrer Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit nicht entgegen. Zwar werden auch Sachverhalte, insbesondere Mandate und Funktionen, erfragt, die eine mangelnde Eignung nicht indizieren. Jedoch hätte eine nur auf belastende Mandate, Funktionen und Tätigkeiten abzielende Fragestellung dem Befragten einen Beurteilungsspielraum gelassen, der die Vollständigkeit der Antworten in Frage gestellt hätte. In den Fragebogen eine Liste aller die mangelnde Eignung indizierenden Mandate, Funktionen und Tätigkeiten aufzunehmen, wäre praktisch nicht möglich gewesen.
Die Befragung und Auswertung der Antworten ist entgegen der Auffassung der Klägerin weder wegen eines Verstoßes gegen das ILO-Abkommen Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf vom 25. Juni 1958 (BGBl. 1961 II S. 97) noch wegen eines Verstoßes gegen die Unschuldsvermutung unzulässig. Das Bundesarbeitsgericht hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß die Anwendung von Abs. 4 Ziff. 1 EV nicht gegen das ILO-Ab-kommen Nr. 111 verstößt. Die Kündigung wegen Nichteignung eines Lehrers knüpft nicht an die politische Meinung des einzelnen Lehrers an, sondern an die durch Ausübung bestimmter Funktionen begründeten Zweifel, ob er künftig für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten werde (vgl. nur Senatsurteil vom 28. April 1994 - 8 AZR 57/93 - AP Nr. 22 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu B II 2 e der Gründe; Urteil des Zweiten Senats vom 13. Oktober 1994 - 2 AZR 261/93 - AP Nr. 36, aaO, zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu B II 5 der Gründe; zur Vereinbarkeit dieser Rechtsprechung mit dem Grundgesetz: Bundesverfassungsgericht Beschluß vom 21. Februar 1995 - 1 BvR 1397/93 - AP Nr. 44; aaO). Für Fragen, die auf die Wahrnehmung solcher Funktionen gerichtet sind, muß das gleiche gelten. Die Unschuldsvermutung hat ihre Grundlage in dem aus der Würde des Menschen abgeleiteten Grundsatz "Keine Strafe ohne Schuld". Ihr Anwendungsbereich liegt im Straf- und Strafprozeßrecht. Demgegenüber geht es im Streitfalle nicht um Schuld und Strafe im Verhältnis zwischen Bürger und Staat, sondern um die Feststellung der Eignung für eine bestimmte Tätigkeit im Rechtsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
b) Die Fragen 3. bis 6. sind ebenfalls zulässig und müssen wahrheitsgemäß beantwortet werden.
Diese Fragen betreffen neben der persönlichen Eignung auch die fachliche Qualifikation des Lehrers im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV. Sie beziehen sich auf die berufliche Tätigkeit sowie die Vor- und Ausbildung. Solche Fragen sind bei der Einstellung des Arbeitnehmers zulässig, weil der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse besitzt, den Arbeitnehmer entsprechend seinen Kenntnissen und Erfahrungen einzusetzen. Zu den Rechten und Pflichten des Arbeitgebers im bestehenden Arbeitsverhältnis gehören auch die sachgerechte Beurteilung des Lehrers und seine vertragsgemäße und angemessene Beschäftigung. Der Arbeitgeber muß über Nach- und Weiterqualifizierungen entscheiden, bei Kündigungen aus betrieblichen Gründen ist eine Auswahl zu treffen und ggf. zu geänderten Bedingungen weiterzubeschäftigen. Das alles setzt entsprechende Informationen des Arbeitgebers voraus. Ein Auskunftsanspruch im bestehenden Arbeitsverhältnis ist daher gegeben, wenn davon auszugehen ist, daß die bei der Einstellung abgegebenen Erklärungen und danach erfolgte Ergänzungen nicht mehr vollständig vorhanden sind. Gerade das ist, wie das Landesarbeitsgericht unangefochten festgestellt hat, nach der sogenannten Aktenbereinigung aufgrund von § 4 Abs. 1 der Verordnung vom 22. Februar 1990 (GBl. DDR I S. 84) vielfach der Fall. Aber auch dort, wo keine "Bereinigung" stattgefunden hat, kann der öffentliche Arbeitgeber regelmäßig nicht von der Vollständigkeit der Personalakten ausgehen. Keine Rede kann davon sein, der Beklagte, der nach Art. 13 Abs. 1 EV kraft Gesetzes Arbeitgeber geworden ist, habe eine frühere zumutbare Informationsmöglichkeit nicht genutzt.
Die Auskunft ist unschwer möglich und stellt für die Klägerin keine unzumutbare Belastung dar. Der damit verbundene Eingriff in das Persönlichkeitsrecht wiegt nicht sonderlich schwer und muß angesichts des besonderen Arbeitgeberinteresses hingenommen werden. Wegen der dargestellten verfassungsrechtlichen Bindung des Beklagten ist der Lehrer verpflichtet, ein aus der Tätigkeit oder Ausbildung sich etwa ergebendes Indiz mangelnder Eignung offenzulegen.
c) Die Klägerin muß zu erfolglosen Anwerbungsversuchen seitens des MfS keine Auskunft geben, weil ein Zusammenhang weder mit der Erfüllung der geschuldeten Leistung noch überhaupt mit der gegenseitigen Pflichtenbindung im Arbeitsverhältnis besteht. Ein berechtigtes Interesse des Beklagten an der Frage 1.3. ist nicht erkennbar. Der Beklagte hat ein solches Interesse auch nicht geltend gemacht. In Betracht kommt allenfalls der Wunsch, allgemeine Erkenntnisse über das Vorgehen der Staatssicherheit zu sammeln oder kontrollieren zu können, ob der Arbeitnehmer wahrheitsgetreu antwortet. Beides könnte einen Auskunftsanspruch nicht rechtfertigen. Der Arbeitnehmer muß nicht generell dem Arbeitgeber zu Auskünften zur Verfügung stehen. Auf die Frage, ob ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers vorliegt, kommt es daher nicht an. Besteht keine Auskunftspflicht, so ist die Frage 1.3. des Fragebogens unzulässig, weil eine Verpflichtung zu wahrheitsgemäßer Beantwortung behauptet und mit Konsequenzen bei unwahren oder unvollständigen Angaben gedroht wird. Ob der Beklagte die Frage in anderer Form und in anderem Zusammenhang, insbesondere unter Hinweis auf die Freiwilligkeit der Beantwortung hätte stellen dürfen, bedarf keiner Entscheidung.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Ascheid Müller-Glöge Mikosch
Scholz Hennecke
Fundstellen
Haufe-Index 441734 |
BAGE 00, 00 |
BAGE, 15 |
BB 1995, 1961 |
BB 1996, 749 |
BB 1996, 749-751 (LT1-3) |
DB 1996, 634-635 (LT1-3) |
D-spezial 1995, Nr 38, 8 (K) |
EWiR 1996, 393 (L1-3) |
NZA 1996, 637 |
NZA 1996, 637-640 (LT1-3) |
RzK, I 5h Nr 28 (L1-3) |
ZAP-Ost, EN-Nr 487/95 (S) |
ZTR 1996, 372 (L1-3) |
AP § 242 BGB Auskunftspflicht, Nr 24 |
AP, Nr 2 zu ILO-Übereinkommen Nr 111 |
AR-Blattei, ES 320 Nr 6-7 (LT1-3) |
DVP 1997, 169 (S) |
EzA § 242 BGB Auskunftspflicht, Nr 4 |
EzBAT, Persönlichkeitsrecht |
NJ 1996, 217-218 (LT1-3) |
RAnB 1996, 222 (L) |
RDV 1996, 86-87 (LT1-3) |
ZfPR 1995, 205 (L) |