Entscheidungsstichwort (Thema)
Höhe der Vergütung bei Verstoß gegen betriebliche Vergütungsordnung. Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung. Begründung eines Arbeitsverhältnisses während der Nachwirkung eines Tarifvertrags. Gleichbehandlung mit Tarifunterworfenen. Mitbestimmung bei betrieblicher Lohngestaltung. Betriebsverfassungsrecht. Tarifrecht. Gleichbehandlung
Leitsatz (amtlich)
Die Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei der Änderung einer im Betrieb geltenden Vergütungsordnung hat zur Folge, daß die Vergütungsordnung mit der vor der Änderung bestehenden Struktur weiter anzuwenden ist. Dies kann bei Neueinstellungen dazu führen, daß Ansprüche auf eine höhere Vergütung als die vertraglich vereinbarte entstehen.
Orientierungssatz
- Die Nachwirkung eines Tarifvertrags iSv. § 4 Abs. 5 TVG erstreckt sich nicht auf ein Arbeitsverhältnis, das erst während des Nachwirkungszeitraums begründet wird.
- Vereinbart der Arbeitgeber nach der Kündigung eines Vergütungstarifvertrags mit allen neu eingestellten Arbeitnehmern eine geringere als die tarifliche Vergütung, haben diese keinen individuellen Anspruch auf Gleichbehandlung mit den kraft Nachwirkung weiterhin Tarifunterworfenen.
- Die Änderung einer – ursprünglich etwa kraft Tarifbindung des Arbeitgebers – im Betrieb geltenden Vergütungsordnung unterliegt der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.
- Maßnahmen des Arbeitgebers, die der notwendigen Mitbestimmung entbehren, sind auch individualrechtlich unwirksam, soweit sie bestehende Rechtspositionen der Arbeitnehmer schmälern (Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzungen).
- Auch wenn dem Arbeitnehmer durch die Nichtbeachtung der Mitbestimmung seitens des Arbeitgebers grundsätzlich kein Anspruch auf Leistungen erwächst, die die bestehende Vertragsgrundlage übersteigen, kann die Weitergeltung der bisherigen Entlohnungsgrundsätze unter besonderen Umständen dazu führen, daß ihm ein Anspruch auf eine höhere Vergütung als die vertraglich vereinbarte zusteht.
- Die Notwendigkeit einer Beachtung und Anwendung der betriebsverfassungsrechtlich (weiter-)geltenden tariflichen Vergütungsordnung schließt bei fehlender Tarifbindung die rechtliche Möglichkeit nicht aus, unter Beibehaltung der inneren Struktur dieser Ordnung niedrigere als die tariflichen (Anfangs-)Gehälter zu vereinbaren.
Normenkette
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10; TVG § 4 Abs. 5; BGB §§ 138, 242
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche.
Der Beklagte ist ein freier Träger der Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit mit Sitz in F.… Er unterhält bundesweit über 600 Einrichtungen. Die 1967 geborene Klägerin wurde vom Beklagten am 16. Mai 1995 als Sozialberaterin für das Bildungszentrum S. eingestellt. Der Arbeitsvertrag war befristet bis zum 31. Dezember 1995. Beim Beklagten kommen Haustarifverträge zur Anwendung. In § 3 des Arbeitsvertrags hieß es, der “Manteltarifvertrag Nr. 2 vom 27. Februar 1984 und die ihn ergänzenden oder ändernden Tarifverträge … in jeweils geltender Fassung (seien) Bestandteile des Arbeitsvertrages”. Mit drei gleichlautenden Vereinbarungen wurde das Arbeitsverhältnis zunächst bis zum 31. August 1996, sodann bis zum 31. August 1997 und schließlich bis zum 31. August 1998 verlängert.
Nach den einschlägigen Vorschriften der Haustarifverträge – des Manteltarifvertrags (MTV) Nr. 2, des Tarifvertrags Nr. 3 über Tätigkeitsmerkmale zum Manteltarifvertrag (TV Nr. 3) und des Vergütungstarifvertrags für die Beschäftigten des Beklagten vom 14. Dezember 1996 – stand der Klägerin ab dem 22. August 1998 – nach Vollendung ihres 31. Lebensjahres – eine Vergütung in Höhe von insgesamt 4.490,12 DM brutto zu. Sie ergab sich aus 3.404,37 DM Grundgehalt nach VergGr. IVb, 873,48 DM Ortszuschlag, 199,27 DM allgemeine Zulage und 13,00 DM vermögenswirksame Leistung.
Am 26. August/15. September 1998 schlossen die Parteien mit Wirkung vom 1. September 1998 einen neuen Arbeitsvertrag. Danach wurde die Klägerin vom Beklagten unbefristet als Sozialarbeiterin eingestellt. Ihr Monatsgehalt betrug 4.356,09 DM brutto. In Ergänzung des Arbeitsvertrags vereinbarten die Parteien zugleich, daß sich der Gehaltsbetrag gliedere in eine Grundvergütung in Höhe von 2.477,34 DM, einen Orts-/Sozialzuschlag in Höhe von 873,48 DM, eine allgemeine Zulage in Höhe von 199,27 DM und eine “weitere Zulage” in Höhe von 806,00 DM. Auf tarifliche Vorschriften nahm der Arbeitsvertrag nicht Bezug. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete am 30. April 2000.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie könne auch ab September 1998 weiterhin die tarifliche Vergütung beanspruchen. Sie sei – unstreitig – im Dezember 1997 in die Gewerkschaft ÖTV – die Vertragspartei der beim Beklagten geltenden Haustarifverträge – eingetreten. Seitdem habe beidseitige normative Tarifbindung bestanden. Zwar habe der Beklagte am 15. September 1997 die Kündigung des MTV Nr. 2 und des TV Nr. 3 und die Gewerkschaft ÖTV am 12. November 1997 die Kündigung des Vergütungstarifvertrags vom 14. Dezember 1996 jeweils zum Jahresende 1997 erklärt. Die Kündigung des MTV sei jedoch auf Grund einer entsprechenden Verzichtserklärung des Beklagten vom 14. Dezember 1996 unwirksam. Zumindest wirkten die gekündigten Tarifverträge nach. Der Abschluß des Arbeitsvertrags vom 26. August/15. September 1998 stelle nicht eine Neubegründung, sondern die Fortsetzung des bis zum 31. August 1998 befristeten Arbeitsverhältnisses dar. Das Fehlen einer vertraglichen Bezugnahme auf den MTV Nr. 2 sei wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz und wegen Ausnutzung einer Notlage unwirksam. Im übrigen habe der Vergütungstarifvertrag vom 18. Juni 1998 für die Beschäftigten des Beklagten eine Erhöhung der am 1. Juli 1998 gezahlten Löhne und Gehälter um 1,5 % vorgesehen und auf den zuvor gekündigten Vergütungstarifvertrag vom 14. Dezember 1996 Bezug genommen. Damit hätten die Tarifvertragsparteien zu verstehen gegeben, daß jedenfalls bis zum Ende der Laufzeit des neuen Vergütungstarifvertrags am 31. Dezember 1998 die Vergütung weiterhin auch nach Maßgabe des Vergütungstarifvertrags vom Dezember 1996 habe erfolgen sollen.
Schließlich habe der Beklagte am 1. Januar 1998 ohne Zustimmung des Betriebsrats ein neues betriebliches Vergütungssystem eingeführt, das für die Gehaltsfindung bei allen neuen Vertragsschlüssen die tariflich vorgesehenen Lebensaltersstufen und Bewährungsaufstiege nicht mehr berücksichtige. Aus diesem Grund sei die Vergütungsabrede im Arbeitsvertrag vom 26. August/15. September 1998 unwirksam. Sie – die Klägerin – habe Anspruch auf die im Betrieb übliche Vergütung. Dies sei die Vergütung, die den zumindest nachwirkenden Tarifverträgen entspreche.
Mit Schreiben vom 1. Dezember 1998 hat die Klägerin vom Beklagten die “Eingruppierung und Bezahlung in Vergütungsgruppe IVb Lebensaltersstufe entsprechend dem 31. Lebensjahr ab 01.09.1998” und eine entsprechende Nachzahlung verlangt. Der Beklagte lehnte dies ab. Mit ihrer mehrfach erweiterten Klage hat die Klägerin eine monatliche Vergütungsdifferenz von 121,03 DM brutto für die Zeit von September 1998 bis einschließlich September 1999 und die restliche Weihnachtsgratifikation 1998 in Höhe von 96,00 DM geltend gemacht.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 1.541,36 DM (788,08 Euro) brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich aus 701,15 DM (358,49 Euro) brutto ergebenden Nettobetrag seit dem 1. Februar 1999, auf 240,06 DM (122,74 Euro) brutto seit dem 1. April 1999 und auf den sich aus 600,15 DM (306,85 Euro) brutto ergebenden Nettobetrag seit dem 4. Oktober 1999 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, er habe den MTV Nr. 2 wirksam gekündigt. Die von ihm selbst erklärte Bedingung für einen Kündigungsverzicht – Aufnahme konstruktiver Verhandlungen über eine Änderung des MTV bis zum 28. Februar 1997 – sei nicht eingetreten. Der Vergütungstarifvertrag vom 18. Juni 1998 regele lediglich eine Erhöhung der aktuellen Gehälter, ein Neuabschluß des gekündigten Vergütungstarifvertrags von 1996 sei damit nicht verbunden gewesen. Im Nachwirkungszeitraum sei eine Unterschreitung der tariflichen Vergütung möglich. Auch aus einem Verstoß gegen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats könne die Klägerin keinen über die vertragliche Abrede vom 26. August/15. September 1998 hinausgehenden Vergütungsanspruch ableiten. Wolle man dies anders sehen, komme dies einer monatlichen Geldbuße oder Strafzahlung für den Arbeitgeber gleich.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr in vollem Umfang stattgegeben. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Klageforderung folgt aus der Verletzung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats.
Tarifliche Ansprüche bestehen nicht.
Die Parteien waren bei Vertragsschluß am 26. August/15. September 1998 an die beim Beklagten im Jahr 1997 geltenden Haustarifverträge nicht mehr gebunden. Diese haben am 31. Dezember 1997 geendet.
Den MTV Nr. 2 hat der Beklagte mit Schreiben vom 15. September 1997 zum 31. Dezember 1997 wirksam gekündigt. Nach § 54 MTV Nr. 2 galt eine Kündigungsfrist von drei Kalendermonaten. Der Beklagte hat diese Frist eingehalten. Er hatte auf sein Kündigungsrecht nicht verzichtet. Allerdings enthält die Niederschrift über Tarifverhandlungen zwischen ihm und der Gewerkschaft ÖTV vom 14. Dezember 1996 folgenden Passus:
“Die Tarifvertragsparteien werden mit Willen zur Einigung Verhandlungen bis zum 28.02.97 über eine Änderung der bestehenden Arbeitszeitregelungen im MTV und zur Altersteilzeit aufnehmen. Unter dieser Voraussetzung verzichtet der IB bis zum 31.12.97 auf die Kündigung des MTV.”
Es kann offenbleiben, ob der Beklagte damit den betreffenden Verzicht schon erklärt oder nur in Aussicht gestellt hat, ohne daß er ihn zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich ausgesprochen hätte. Auch eine schon am 14. Dezember 1996 abgegebene Verzichtserklärung war jedenfalls an die Voraussetzung geknüpft, daß die Tarifvertragsparteien bis zum 28. Februar 1997 “mit Willen zur Einigung” Verhandlungen über die Änderung der bestehenden Arbeitszeitregelungen aufnähmen. Der Kündigungsverzicht war auflösend bedingt durch eine Nichtaufnahme solcher Verhandlungen. Diese Bedingung ist eingetreten. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß die Vertreter der Gewerkschaft ÖTV zum vereinbarten Termin am 27. Februar 1997 zwar erschienen seien, sich jedoch außer Stande gesehen hätten, zur Sache zu verhandeln, nachdem die Tarifpolitik des Hauptvorstands massiver Kritik seitens der Basis ausgesetzt gewesen sei. Diesen Feststellungen ist die Klägerin in der Revisionsinstanz mit einer Verfahrensrüge nicht entgegengetreten. Sie sind deshalb für das Revisionsgericht bindend (§ 561 Abs. 2 ZPO aF, § 559 Abs. 2 ZPO nF). Der aus ihnen vom Landesarbeitsgericht gezogene Schluß auf das Vorliegen der inneren Tatsache “Fehlen eines Willens zur Einigung” ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
- Die Kündigung des TV Nr. 3 war gemäß seinem § 4 ebenfalls mit einer Frist von drei Kalendermonaten zum Schluß eines Kalendervierteljahres möglich. Der Beklagte hat auch diese Frist gewahrt. Materielle Kündigungshindernisse bestanden nicht.
- Die Gewerkschaft ÖTV hat mit Schreiben vom 12. November 1997 den Vergütungstarifvertrag vom 14. Dezember 1996 zum 31. Dezember 1997 gekündigt. Auch diese Kündigung war fristgemäß.
Die tariflichen Vergütungsregelungen galten für das Arbeitsverhältnis der Parteien ab dem 1. September 1998 auch nicht mehr kraft Nachwirkung iSv. § 4 Abs. 5 TVG. Nach dieser Vorschrift gelten die Rechtsnormen eines Tarifvertrags nach seinem Ablauf zwar weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Die Nachwirkung erstreckt sich aber nicht auf ein Arbeitsverhältnis, das erst während des Nachwirkungszeitraums begründet wird (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt BAG 7. November 2001 – 4 AZR 703/00 – AP TVG § 3 Verbandsaustritt Nr. 11 = EzA TVG § 3 Nr. 24; 22. Juli 1998 – 4 AZR 403/97 – BAGE 89, 241). Mit dem Vertrag vom 26. August/15. September 1998 haben die Parteien ihr Arbeitsverhältnis mit Wirkung vom 1. September 1998 im Nachwirkungszeitraum auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt. Die bisherigen Vertragsbedingungen galten schon deshalb nicht weiter fort, weil das vorangegangene Arbeitsverhältnis auf Grund Befristung am 31. August 1998 geendet hatte. Die Klägerin hat sich dagegen nicht gerichtlich gewehrt. Gemäß § 1 Abs. 5 BeschFG iVm. § 7 KSchG gilt damit die Befristung des Arbeitsverhältnisses zum 31. August 1998 als rechtswirksam.
Im übrigen gälte selbst dann im Ergebnis nichts anderes, wenn von einem durchgehenden, bereits vor dem 1. Januar 1998 begründeten und zum 1. September 1998 lediglich modifizierten Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auszugehen wäre. In diesem Fall wäre die vertragliche Vergütungsabrede vom 26. August/15. September 1998 eine “andere Abmachung” iSd. § 4 Abs. 5 TVG, welche die nachwirkende Tarifnorm ersetzt hätte. Entgegen der Auffassung der Klägerin sind keine Gründe dafür ersichtlich, daß die Vergütungsabrede nach § 138 BGB oder wegen Umgehung kündigungsschutzrechtlicher Vorschriften unwirksam sein könnte. Es stellt keine Ausbeutung einer Zwangslage der Klägerin dar, daß der Beklagte die Neubegründung des Arbeitsverhältnisses zu Vergütungsbedingungen anbot, die um monatlich rund 120,00 DM ungünstiger waren als die bis dahin geltenden. Die Höhe des Monatsgehalts steht auch nicht in einem auffälligen Mißverhältnis zum Inhalt und Umfang der Arbeitsleistung iSd. § 138 Abs. 2 BGB. Ebensowenig ist die Höhe des Gehalts sittenwidrig nach § 138 Abs. 1 BGB. Die Umgehung kündigungsschutzrechtlicher Regelungen durch eine einvernehmlich getroffene – unbefristete – Vergütungsabrede ist bereits vom Ansatz her ausgeschlossen.
- Auch aus dem Vergütungstarifvertrag vom 18. Juni 1998 vermag die Klägerin keinen Anspruch auf eine höhere als die vertraglich vereinbarte Vergütung herzuleiten. Nach § 2 Vergütungstarifvertrag wurden die am 1. Juli 1998 vom Beklagten effektiv gezahlten Löhne und Gehälter von diesem Tage an um 1,5 % erhöht. Dadurch wurde weder der gekündigte Vergütungstarifvertrag vom 14. Dezember 1996, insbesondere dessen § 3 über sonstige Zulagen, wieder in Kraft gesetzt, noch hat die Gehaltserhöhung zum 1. Juli 1998 eine Rechtsposition der Klägerin begründet, die über das Ende des bis zum 31. August 1998 befristeten Arbeitsvertrags hinaus Wirkungen hätte entfalten können.
- Die Klageforderung steht der Klägerin auch nicht aus Gründen der Gleichbehandlung zu. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Beklagte habe den Gleichbehandlungsgrundsatz dadurch verletzt, daß er ihr den Abschluß eines Arbeitsvertrags angeboten habe, der eine Bezugnahme auf den MTV Nr. 2 nicht enthalte. Eine Ungleichbehandlung der Klägerin liegt nicht vor. Der Beklagte hat mit allen seit dem 1. Januar 1998 erstmals oder erneut eingestellten Arbeitnehmern Vergütungsabreden ohne Rücksicht auf Lebensaltersstufen und Bewährungsaufstiege getroffen. Die Klägerin vergleicht sich zu Unrecht mit denjenigen Arbeitnehmern, die schon vor dem 1. Januar 1998 entweder unbefristet oder über den 31. August 1998 hinaus befristet eingestellt worden waren. Im Verhältnis zu diesen wird sie nicht ohne Sachgrund ungleich behandelt. Die Ungleichbehandlung beruht auf der Entscheidung des Beklagten, ab dem 1. Januar 1998 allgemein andere Vergütungsabreden zu treffen als vorher. Eine solche – hier tariflich mögliche – unternehmerische Entscheidung ist individualrechtlich nicht zu beanstanden. Sie trägt vom selbst gesetzten Stichtag an den Sachgrund für eine Ungleichbehandlung der Beschäftigten in sich. Schon angesichts des ständigen Wandels der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ist der Arbeitgeber nicht aus Gleichbehandlungsgründen verpflichtet, einmal vereinbarte Vertragsinhalte auch künftigen Einstellungen immer wieder zugrundezulegen.
Der Klageanspruch folgt aus einer Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Der Beklagte hat zu Beginn des Jahres 1998 ohne Zustimmung des Betriebsrats neue Entlohnungsgrundsätze im Betrieb eingeführt. Dies ist nicht nur im Verhältnis zum Betriebsrat rechtswidrig. Die getroffene Vergütungsabrede gilt vielmehr auch im Verhältnis zur Klägerin nicht, soweit sie zu deren Nachteil auf der nicht mitbestimmten neuen Vergütungsordnung beruht.
- Die Klägerin kann die Verletzung von Mitbestimmungsrechten geltend machen. Sie war im Bildungszentrum S. in einem Betrieb des Beklagten beschäftigt, in dem in den Jahren 1997 und 1998 ein Betriebsrat gebildet war.
Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung neuer Entlohnungsmethoden sowie bei deren Änderung. Zweck des Mitbestimmungsrechts ist, das betriebliche Lohngefüge angemessen und durchsichtig zu gestalten und die betriebliche Lohn- und Verteilungsgerechtigkeit zu wahren. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts ist dabei zwar nicht die konkrete Höhe des Arbeitsentgelts. Mitbestimmungspflichtig sind aber die Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsformen (BAG 3. Dezember 1991 – GS 2/90 – BAGE 69, 134; 18. Oktober 1994 – 1 ABR 17/94 – AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 70 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 47; 19. September 1995 – 1 ABR 20/95 – AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 81 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 53; 13. März 2001 – 1 ABR 7/00 – EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 72; Wiese GK-BetrVG 7. Aufl. § 87 Rn. 805 mwN). Mitbestimmungspflichtig ist auch die Änderung bestehender Entlohnungsgrundsätze durch den Arbeitgeber (BAG 3. Dezember 1991 – GS 1/90 – AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 52).
Im Bildungszentrum S.… wendete der Beklagte bis 1997 allgemein die tariflich vorgegebene Vergütungsordnung an. Sie war ua. durch eine Gehaltsdifferenzierung nach Lebensaltersstufen und durch die Möglichkeit eines Bewährungsaufstiegs aus bestimmten Vergütungsgruppen gekennzeichnet. Diese Vergütungsordnung wollte der Beklagte mit Wirkung vom 1. Januar 1998 durch eine andere ablösen. Er vergütet seine Angestellten seit diesem Zeitpunkt generell ohne Rücksicht auf Lebensaltersstufen und nimmt auch eine Höhergruppierung auf Grund Bewährungsaufstiegs nicht mehr vor. Dies stellt eine Änderung von Entlohnungsgrundsätzen dar (so mit Bezug auf den Beklagten bereits BAG 27. Juni 2000 – 1 ABR 36/99 – AP BetrVG 1972 § 99 Eingruppierung Nr. 23 = EzA BetrVG 1972 § 99 Eingruppierung; 13. März 2001 – 1 ABR 7/00 – EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 72). Die Einführung der neuen Vergütungsordnung unterlag als kollektive Maßnahme der Mitbestimmung des Betriebsrats. Zwar hatte der Betriebsrat wegen der Tarifbindung des Beklagten bis zum 31. Dezember 1997 über die Anwendung des tariflichen Vergütungssystems gem. § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG nicht mitzubestimmen. Mit dem Wegfall der Tarifbindung bestand aber seit dem 1. Januar 1998 eine das Mitbestimmungsrecht ausschließende zwingende tarifliche Regelung nicht mehr. An der Einführung des neuen Entlohnungssystems ist der Betriebsrat nicht beteiligt worden. Darin liegt ein Verstoß gegen § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG (so bereits die Senatsentscheidungen vom 27. Juni 2000 – 1 ABR 36/99 – und 13. März 2001 – 1 ABR 7/00 –, jeweils aaO). Darauf, ob der Betriebsrat seine Beteiligung eingefordert hat, kommt es nicht an. Der Arbeitgeber muß in Angelegenheiten des § 87 Abs. 1 BetrVG von sich aus die Zustimmung des Betriebsrats einholen (vgl. Wiese GK-BetrVG aaO Rn. 95, 98, 100 mwN).
Die zum 1. Januar 1998 betrieblich umgesetzte Entscheidung des Beklagten betraf entgegen seiner Auffassung nicht nur die mitbestimmungsfreie Festsetzung der absoluten Höhe der Vergütung. Der Beklagte hat nicht etwa unter Beibehaltung der bisherigen Vergütungsordnung nur die absolute Höhe der Vergütung für die nach dem 1. Januar 1998 eingestellten Arbeitnehmer um einen bestimmten Prozentsatz gesenkt. Er hat vielmehr durch die Aufgabe des Bewährungsaufstiegs und der Vergütungsdifferenzierung nach Lebensaltersstufen einseitig in die Struktur der bestehenden Vergütungsordnung eingegriffen.
- Eine Maßnahme des Arbeitgebers, die der notwendigen Mitbestimmung entbehrt, ist rechtswidrig und unwirksam. Dies gilt sowohl für einseitige Maßnahmen, die in Ausübung des Direktionsrechts vorgenommen wurden, als auch für einzelvertragliche Vereinbarungen. Die tatsächlich durchgeführte Mitbestimmung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Wirksamkeitsvoraussetzung für Maßnahmen zum Nachteil des Arbeitnehmers (BAG 16. September 1986 – GS 1/82 – BAGE 53, 42; 20. August 1991 – 1 AZR 326/90 – AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 50 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 50 mwN; 13. April 1994 – 7 AZR 651/93 – BAGE 76, 234; Fitting BetrVG 21. Aufl. § 87 Rn. 492; Wiese GK-BetrVG aaO Rn. 98 f., 119 mwN). Maßnahmen zum Nachteil der Arbeitnehmer sind allerdings nur solche, die bereits bestehende Rechtspositionen der Arbeitnehmer schmälern. Die Verletzung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats führt nicht dazu, daß sich individualrechtliche Ansprüche der betroffenen Arbeitnehmer ergäben, die zuvor noch nicht bestanden haben (BAG 20. August 1991 – 1 AZR 326/90 – aaO; 28. September 1994 – 1 AZR 870/93 – BAGE 78, 74). Auch bei Nichtbeachtung der Mitbestimmung durch den Arbeitgeber erhält der Arbeitnehmer keinen Erfüllungsanspruch auf Leistungen, die die bestehende Vertragsgrundlage übersteigen (Reichold Anm. zu BAG 28. September 1994 – 1 AZR 870/93 – AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 68).
Auf der Grundlage dieser “Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzungen” hat die Klägerin Anspruch auf eine Vergütung nach der bisherigen betrieblichen Vergütungsordnung. Diese stimmt mit den nachwirkenden tariflichen Bestimmungen überein, wie sie im September 1998 galten.
- Zwar besaß die Klägerin aus dem am 31. August 1998 zu Ende gegangenen Arbeitsverhältnis keine bestandsgeschützten Ansprüche mehr. Das sich ohne zeitliche Unterbrechung anschließende Arbeitsverhältnis stellte eine neue und die alleinige Grundlage ihrer Vergütungsansprüche seit dem 1. September 1998 dar. Durch die Vereinbarung einer nicht mehr tarifgerechten Vergütung hat der Beklagte in Ansprüche, welche die Klägerin ohne die getroffene Vereinbarung weiterhin gehabt hätte, nicht eingegriffen.
- Gleichwohl war der Beklagte auch nach dem 31. August 1998 verpflichtet, die bis dahin geltende Vergütungsordnung als solche weiter anzuwenden. Mangels Zustimmung des Betriebsrats zu deren Änderung war sie trotz Wegfalls der Tarifbindung die im Betrieb weiterhin gültige Vergütungsordnung. Der Beklagte hatte deshalb mit neu eingestellten Arbeitnehmern auch nach dem 31. Dezember 1997 eine Vergütung zu vereinbaren, die der inneren Struktur der bisherigen Vergütungsordnung entsprach. Diese Struktur zeichnete sich durch die Gehaltsdifferenzierung nach bestimmten Lebensaltersstufen und Bewährungsaufstiege aus. Die Klägerin hatte als neu eingestelltes Belegschaftsmitglied Anspruch auf Anwendung der bestehenden Vergütungsordnung und damit auf eine Vergütung, der diese Struktur zugrunde lag. Dem genügt die von den Parteien getroffene Vergütungsabrede nicht. Sie beruhte gerade nicht auf der Beachtung von festgelegten Lebensaltersstufen bezogen auf ein bestimmtes Eingangsgehalt und berücksichtigte auch die vorgesehenen Bewährungsaufstiege nicht.
Allein aus dem Umstand, daß die Vergütungsabrede der Parteien gegen die Struktur der im Betrieb anzuwendenden Vergütungsabrede verstieß, folgt allerdings noch kein Anspruch der Klägerin auf ein höheres als das vereinbarte Arbeitsentgelt. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats betrifft Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, nicht Fragen der absoluten Lohnhöhe. Der Beklagte konnte deshalb mit der Klägerin mitbestimmungsfrei ein unterhalb der tariflichen Sätze liegendes Gehalt für die unterste Lebensaltersstufe vereinbaren. Betriebsverfassungsrechtlich war er lediglich gehalten, den betreffenden Betrag nach Maßgabe der im Betrieb weiterhin geltenden Lebensaltersstufen und der für diese vorgesehenen relativen Steigerungsraten unter Berücksichtigung in Frage kommender Bewährungsaufstiege anzuheben. Der so ermittelte Betrag war die der Klägerin geschuldete Vergütung.
In Ergänzung des Arbeitsvertrags hatten die Parteien eine bestimmte Zusammensetzung der Vergütung vereinbart. Diese sollte aus einer Grundvergütung, aus einem Orts-/Sozialzuschlag, einer allgemeinen Zulage und einer weiteren Zulage bestehen. Nur die “weitere Zulage” war nicht als notwendiger Gehaltsbestandteil in der betrieblichen Vergütungsordnung vorgesehen. Die Gliederung des Gehalts in die übrigen Bestandteile entsprach dagegen dem betrieblich weiter geltenden Vergütungsschema des Tarifvertrags. Die von den Parteien für diese Bestandteile vorgesehenen Einzelbeträge stimmten exakt mit den bei Vertragsschluß gültigen Tarifsätzen überein, die Grundvergütung mit dem Gehaltsbetrag für die unterste Lebensaltersstufe. Damit haben sich die Parteien ausdrücklich auf einen Gehaltsbestandteil “Grundvergütung” verständigt, dessen Höhe dem Betrag entsprach, der bei Anwendung des tariflichen Vergütungsschemas vorgesehen war.
Daran muß sich der Beklagte im Hinblick auf die gebotene Anpassung der vertraglichen Gehaltsabrede an die im Betrieb weiter geltende Vergütungsordnung festhalten lassen. Nach dieser Ordnung mußte er die Klägerin mit Rücksicht auf Lebensaltersstufen vergüten, denen konkrete Gehaltsbeträge zugeordnet waren. Diese standen in einem bestimmten Verhältnis zur Grundvergütung für die unterste Stufe. Die sich daraus ergebende Steigerungsrelation hatte der Beklagte als Entlohnungsgrundsatz beizubehalten. Weil die mit der Klägerin vereinbarte Grundvergütung der tariflichen Vergütung für die unterste Lebensaltersstufe entsprach, folgt daraus, daß die Klägerin nach Maßgabe der einschlägigen Steigerungsrelation einen Anspruch auf die ihrer Lebensaltersstufe entsprechende (tarifliche) Vergütung hatte. Wie sich der Verstoß gegen die betriebliche Vergütungsordnung auf eine undifferenzierte und pauschale Gehaltsabrede ausgewirkt hätte, braucht nicht entschieden zu werden.
- Anders als der Beklagte gemeint hat, kommt dieses Ergebnis keiner monatlichen Geldbuße oder Strafzahlung gleich. Der Beklagte hat lediglich die zivilrechtliche Konsequenz aus einem Verstoß gegen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats zu tragen. Das Ergebnis bedeutet auch keinen Zwang, bei Neueinstellungen trotz fehlender Tarifbindung die tarifliche Vergütung beizubehalten. Der Beklagte hätte es in der Hand gehabt, das im Betrieb bestehende Gehaltsgefüge für neu eingestellte Arbeitnehmer abzusenken. Es war ihm unbenommen, als Grundvergütung für die unterste Lebensaltersstufe einen niedrigeren als den tariflichen Betrag zu vereinbaren. Dann wären trotz Wahrung der weiterhin zu beachtenden Steigerungsrelationen für Lebensaltersstufen auch die absoluten Steigerungsbeträge niedriger ausgefallen.
Unterschriften
Wißmann, Schmidt, Kreft, Klebe, Frischholz
Fundstellen
Haufe-Index 869433 |
BAGE 2003, 288 |
BB 2003, 264 |
DB 2002, 2725 |
BuW 2003, 174 |
EBE/BAG 2003, 2 |
ARST 2003, 116 |
EWiR 2003, 95 |
FA 2003, 119 |
FA 2003, 187 |
FA 2003, 58 |
NZA 2003, 570 |
SAE 2003, 179 |
ZIP 2002, 2327 |
AP, 0 |
EzA-SD 2002, 14 |
EzA |
AUR 2003, 39 |
ArbRB 2003, 7 |
RdW 2003, 404 |