Die wichtigsten BAG-Urteile des Jahres 2024
Welche Entscheidungen der Arbeitsgerichte waren in diesem Jahr besonders spannend? Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat im Rechtsprechungsjahr 2024 etliche wichtige Urteile gefällt, die hohe Relevanz für die Praxis haben. Hier unsere Auswahl.
Keine Webinarpflicht für Betriebsräte
Betriebsräte haben selbst dann das Recht, auf Kosten des Arbeitgebers an einer Schulung in Präsenz teilzunehmen, wenn zum gleichen Schulungsthema zeitgleich eine Online-Schulung angeboten wird und die Präsenzschulung hohe Anreise-, Unterbringungs-und Verpflegungskosten auslöst. Arbeitgeber müssen neben den Schulungsgebühren – ungeachtet der denkbaren Alternative einer keine Zusatzkosten auslösenden Online-Schulung – auch diese Kosten übernehmen.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 7. Februar 2024, Az. 7 ABR 8/2
Keine nachträgliche Kürzung des Urlaubs aus Elternzeit
Der Arbeitgeber kann nach einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses im direkten Anschluss an eine Elternzeit Urlaubsabgeltungsansprüche nicht mehr durch Kürzung des Urlaubsanspruchs vermeiden. Lediglich der "Erholungsurlaub" kann nach § 17 Abs. 1 BEEG vom Arbeitgeber gekürzt werden. Ist der Urlaubsanspruch bereits in einen Abgeltungsanspruch übergegangen, ist eine Kürzung nicht mehr möglich.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16. April 2024, Az. 9 AZR 165/2
Vergütung für Körperreinigungszeiten
Auch das Duschen am Arbeitsplatz kann vergütungspflichtige Arbeitszeit sein. Diese immer wieder aufkommende Frage hat das BAG im Fall eines Containermechanikers zugunsten des Arbeitnehmers entschieden. Dies setze aber voraus, dass sich der oder die Arbeitnehmende bei der Arbeit derartig verschmutzt, dass ihm oder ihr der Weg nach Hause nicht ohne vorherige Reinigung zugemutet werden kann.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23. April 2024, Az. 5 AZR 212/2
Betriebsratswahl mit weniger Wahlbewerbern als Sitzen
Bewerben sich bei einer Betriebsratswahl weniger Arbeitnehmende um einen Betriebsratssitz als Betriebsratsmitglieder zu wählen sind, kann auch ein "kleinerer" Betriebsrat errichtet werden. Es steht der Wirksamkeit der Betriebsratswahl nicht entgegen, wenn sich nicht genügend Bewerbende für das Betriebsratsamt finden. Dies folgt laut BAG aus § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Diese Bestimmung gibt vor, dass in Betrieben mit in der Regel mindestens fünf wahlberechtigten Arbeitnehmenden, von denen drei wählbar sind, Betriebsräte gewählt werden. Hierin sei der Wille des Gesetzgebers, dass auch ein kleinerer Betriebsrat zustande kommen kann, ausdrücklich erkennbar. Deshalb ist bei der Betriebsratsgröße in der Konstellation von weniger Kandidatinnen und Kandidaten als zu besetzenden Betriebsratssitzen auf die (jeweils) nächstniedrigere Stufe des § 9 BetrVG so lange zurückzugehen, bis die Zahl von Bewerberinnen und Bewerbern für die Errichtung eines Gremiums mit einer ungeraden Anzahl an Mitgliedern ausreicht.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 24. April 2024, 7 ABR 26/2
Altersabhängige Arbeitszeitreduzierung steht auch Teilzeitbeschäftigten zu
Nach einer tarifvertraglichen Regelung erhalten ältere Beschäftigte über 58 Jahre eine Arbeitszeitverkürzung von zwei Stunden wöchentlich bei vollem Lohnausgleich, eine sogenannte Altersfreizeit. Damit soll dem erhöhten Erholungsbedürfnis im Alter Rechnung getragen werden. Wer allerdings weniger als 38 Stunden die Woche tätig ist, hat keinen Anspruch auf Altersfreizeit: Eine Teilzeitbeschäftigte mit geringerer Stundenzahl schließt die tarifliche Regelung aus. Eine solche Regelung im Tarifvertrag, die ältere Arbeitnehmende, die in Teilzeit tätig sind, vollständig von der Gewährung einer vergüteten Altersfreizeit ausnimmt, ist unzulässig, urteilte das BAG.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 9. Juli 2024, Az. 9 AZR 296/20
Schadensersatz wegen fehlender Zielvereinbarung
Hat sich der Arbeitgeber vertraglich verpflichtet, mit dem Arbeitnehmer für eine Zielperiode Ziele zu vereinbaren, an deren Erreichen eine Tantieme-oder Bonuszahlung geknüpft ist, kann er diese Vertragspflicht regelmäßig nur erfüllen, wenn er mit dem Arbeitnehmer Verhandlungen über den Abschluss einer Zielvereinbarung führt und es diesem ermöglicht, auf die Festlegung der Ziele Einfluss zu nehmen. Legt der Arbeitgeber stattdessen einseitig Ziele fest, verletzt er damit schuldhaft seine Pflicht aus dem Arbeitsvertrag und schuldet dem Arbeitnehmer den entgangenen Bonus als Schadensersatz.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 3. Juli 2024, Az. 10 AZR 171/2
Feiertagszuschlag hängt vom üblichen Arbeitsort ab
Ein Beschäftigter, der regelmäßig in NRW arbeitet, bekommt den Feiertagszuschlag, wenn er während eines NRW-Feiertags in einem anderen Bundesland für seinen Arbeitgeber unterwegs ist, wo kein Feiertag ist. Der Anspruch auf Feiertagszuschläge richtet sich danach, ob am regelmäßigen Beschäftigungsort ein gesetzlicher Feiertag ist.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 1. August 2024, 6 AZR 38/2
Keine Entschädigung für AGG-Kläger bei Rechtsmissbrauch
Der Entscheidung des BAG lag der Fall eines männlichen Jurastudenten zugrunde, der sich in größerer Anzahl auf Stellenausschreibungen beworben hatte, in denen explizit eine "Sekretärin" gesucht war. Erhielt er eine Absage, klagte er wegen Diskriminierung. Geht es einem Kläger lediglich um die Erlangung eines formalen Bewerberstatus, um sodann einen Entschädigungsanspruch geltend machen zu können und so letztlich einen Gewinn zu erzielen, ist der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB begründet und steht dem Entschädigungsverlangen des Klägers entgegen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. September 2024, Az. 8 AZR 21/2
Für außertariflich Beschäftigte gilt kein Mindestabstand zur höchsten tariflichen Vergütung
Die Tarifvertragsparteien können definieren, dass diejenigen Angestellten als außertariflich gelten, deren Gehälter die höchste tarifliche Entgeltgruppe überschreiten. Legt ein Tarifvertrag dabei keinen bestimmten prozentualen Abstand zur höchsten Entgeltgruppe fest, genügt zur Erlangung des Status eines außertariflichen Angestellten jedes – auch nur geringfügige – Überschreiten der höchsten tariflichen Vergütung.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23. Oktober 2024, Az. 5 AZR 82/2
Überstundenregelung diskriminiert Teilzeitbeschäftigte
Tarifvertragliche Regelungen, die bei Überstundenzuschlägen nicht auf die individuelle Arbeitszeit abstellen, sondern das Überschreiten der Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten voraussetzen, diskriminieren Teilzeitkräfte und damit in vielen Bereichen Frauen. Das BAG verpflichtete im konkreten Fall den Arbeitgeber einer Pflegekraft zu einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen mittelbarer Geschlechtsdiskriminierung sowie zur Gewährung von Überstundezuschlägen in Form von Zeitgutschriften auf ihrem Arbeitszeitkonto.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 5. Dezember 2024, Az. 8 AZR 370/20
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