Worauf ist bei Abmahnungen zu achten?
Nachfolgend sollen die Funktionen der Abmahnung sowie die formellen und inhaltlichen Anforderungen dargestellt werden. Dabei soll auf einzelne Sachverhalte und deren Abmahnungsfähigkeit eingegangen werden. Zudem wird geschildert, unter welchen Voraussetzungen eine Abmahnung überhaupt erforderlich ist und mit welchen Reaktionen des Arbeitnehmers nach einer Abmahnung zu rechnen ist.
Rechtsgrundlage und Funktionen der Abmahnung
Für die Abmahnung bestehen keine arbeitsrechtlichen gesetzlichen Regelungen. Das Abmahnungserfordernis wird aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abgeleitet. Zudem findet dieser Gedanke in § 314 Abs. 2 BGB Ausdruck für die außerordentliche Kündigung von Dauerschuldverhältnissen.
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist insoweit Grundlage der Abmahnung, als die Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers auf arbeitnehmerseitige Pflichtverletzungen in einem Stufenverhältnis zueinanderstehen:
Mildestes Mittel ist die Ermahnung, die eine bloße Rüge des Fehlverhaltens darstellt. Weitere arbeitsrechtliche Maßnahmen werden – auch für den Wiederholungsfall – nicht angedroht. Auf der nächsten Stufe steht der Ausspruch einer Abmahnung. Das schärfste Mittel bildet die (außerordentliche) Kündigung.
Der Abmahnung kommen drei Funktionen zu:
Die Dokumentations-, Rüge- und Warnfunktion. Im Vordergrund steht die Warnfunktion. Die Abmahnung ist keine Sanktion für erfolgte Pflichtverletzungen, sondern sie soll künftigen Pflichtverletzungen vorbeugen. Durch die Warnfunktion wird dem Arbeitnehmer deutlich, dass er bei künftigen gleichgelagerten Pflichtverletzungen mit weiteren Maßnahmen bis hin zur Kündigung rechnen muss. Im Rahmen der Hinweis- und Rügefunktion soll dem Arbeitnehmer aufgezeigt werden, dass ein ganz bestimmtes Verhalten, das konkret in der Abmahnung bezeichnet ist, aus Sicht des Arbeitgebers einen nicht hinnehmbaren Pflichtverstoß darstellt. Sofern die Abmahnung schriftlich erfolgt, kommt ihr zudem eine Dokumentationsfunktion zu. Es wird festgehalten, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf drohende Rechtsfolgen für den Wiederholungsfall hingewiesen hat. Dies ist insbesondere im Hinblick auf einen etwaigen späteren Kündigungsschutzprozess und die dortige Darlegungs- und Beweislast von Bedeutung.
Erforderlichkeit einer Abmahnung
Das Erfordernis einer Abmahnung ergibt sich aus ihrem Sinn und Zweck. Abmahnungen werden in der Erwartung ausgesprochen, dass entsprechende Pflichtverletzungen künftig unterbleiben – es muss sich also um steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers handeln. Darüber hinaus ist die Abmahnung für den Arbeitgeber von Bedeutung, um im Wiederholungsfalle eine Kündigung aussprechen zu können, da die Abmahnung regelmäßig Wirksamkeitsvoraussetzung für eine auf vertragswidriges Verhalten gestützte Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist.
Ein Abmahnungserfordernis besteht also z. B. bei wiederholter Unpünktlichkeit, verspäteter Anzeige der Arbeitsunfähigkeit oder der Missachtung von Arbeitsanweisungen. Bei sämtlichen Konstellationen handelt es sich um steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers, sodass eine Abmahnung in der Hoffnung ausgesprochen wird, dass der Arbeitnehmer sich künftig pflichtgemäß verhält.
Entbehrlich ist eine Abmahnung hingegen ausnahmsweise dann, wenn der Arbeitnehmer nicht willens oder nicht in der Lage ist, sich vertragsgetreu zu verhalten oder wenn die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist. Dies ist regelmäßig bei Verstößen im Vertrauensbereich der Fall. Dem Bundesarbeitsgericht (BAG) zufolge genügen auch geringwertige Schädigungen, wenn die Umstände des Einzelfalles dennoch auf einen erheblichen Vertrauensbruch und mithin schwerwiegenden Pflichtverstoß schließen lassen. Dabei sind u.a. das Maß der Beschädigung des Vertrauens, das Interesse an der Einhaltung der Anweisung, der bisherige Verlauf des Arbeitsverhältnisses sowie die wirtschaftlichen Folgen des Verstoßes zu berücksichtigen.
Einer Abmahnung bedarf es nicht,
- wenn die Abmahnung kein geeignetes Mittel ist, weil entweder der Arbeitnehmer sein Verhalten nicht ändern kann oder zu erwarten ist, dass er sein Verhalten in Zukunft nicht ändern wird.
- wenn das Fehlverhalten des Arbeitnehmers so schwerwiegend ist, dass das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauensverhältnis zwischen den Arbeitsvertragsparteien vollkommen erschüttert worden ist.
Formelle Anforderungen
Eine Abmahnung bedarf keiner bestimmten Form. Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer daher sowohl mündlich als auch schriftlich abmahnen. Aus Beweisgründen empfiehlt sich jedoch die Schriftform. Damit eine Abmahnung wirksam wird, muss sie dem Arbeitgeber zugehen – und darüber hinaus nach herrschender Meinung auch vom Arbeitnehmer tatsächlich zur Kenntnis genommen werden. Den Erhalt der Abmahnung sollte sich der Arbeitgeber daher schriftlich bestätigen lassen (z.B. ein Exemplar unterschrieben zurück an den Arbeitgeber).
Für den Ausspruch einer Abmahnung gibt es keine Frist, sie muss jedoch in zeitlicher Nähe zu dem beanstandeten Fehlverhalten ausgesprochen werden. Die Warnfunktion der Abmahnung nimmt ab, je länger die beanstandete Pflichtverletzung her ist. Zudem kann das Recht zur Abmahnung verwirken, wenn der Arbeitnehmer aufgrund des arbeitgeberseitigen Verhaltens darauf vertrauen darf, dass ein gewisses Verhalten keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen nach sich ziehen wird.
Vor Ausspruch der Abmahnung ist jedoch der Sachverhalt einer ausreichenden Prüfung zu unterziehen. Denn mit Ausspruch der Abmahnung ist dieser Sachverhalt verbraucht und kann nicht mehr zur Begründung einer Kündigung herangezogen werden – sei der Verstoß noch so gravierend.
Zudem sind sog. Abmahnungsfluten zu vermeiden. Die Warnfunktion einer Abmahnung kann erheblich entwertet sein und dadurch schlussendlich die Wirksamkeit einer etwaigen späteren Kündigung gefährden, wenn zahlreiche Abmahnungen zu gleichgelagerten Verstößen vorliegen, ohne dass der Arbeitgeber die angedrohte Kündigung zu einem angemessenen Zeitpunkt auch tatsächlich ausspricht.
Inhaltliche Anforderungen
Eine wirksame Abmahnung liegt nur dann vor, wenn der Arbeitgeber der Rüge- und Warnfunktion gerecht wird. Die Rügefunktion ist gewahrt, wenn der Arbeitgeber hinreichend deutlich macht, welches konkrete Fehlverhalten des Arbeitnehmers er beanstandet. Der Sachverhalt ist unter Nennung von Tag, Zeit und Ort und ggf. der Nennung von Zeugen möglichst genau zu schildern und die konkrete Pflichtverletzung zu benennen. Zudem ist anzugeben, gegen welche arbeitsvertraglichen Pflichten das vorgeworfene Verhalten verstößt. Allgemeine Hinweise, etwa auf Verschwiegenheitspflichten, reichen nicht. Sodann ist zur Wahrung der Warnfunktion aufzuzeigen, welches Verhalten künftig von dem Arbeitnehmer erwartet wird. Ihm muss deutlich gemacht werden, dass er im Wiederholungsfall mit weiteren arbeitsrechtlichen Maßnahmen bis hin zur Kündigung rechnen muss.
Zusammengefasst sollte eine Abmahnung folgende Bestandteile aufweisen:
- Konkrete Benennung des Sachverhalts (Beispiel: „Am Montag, den 20.11.2023, haben Sie Ihre Arbeit erst um 8.45 Uhr und damit 75 Minuten verspätet aufgenommen.“)
- Pflichtverstoß (Beispiel: „Damit haben Sie gegen § 6 Ihres Arbeitsvertrages verstoßen.“)
- Aufforderung zu künftiger Vertragstreue (Beispiel: „Wir erwarten, dass Sie Ihre Arbeitszeiten künftig einhalten und Ihre Arbeit pünktlich aufnehmen.“)
- Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen für den Wiederholungsfall (Beispiel: „Für den Wiederholungsfall behalten wir uns arbeitsrechtliche Schritte vor, die bis hin zu einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen können.“)
Überblick: Abmahnungsfähige Sachverhalte
Eine Abmahnung kommt grundsätzlich überall dort in Betracht, wo der Arbeitnehmer durch sein Tun oder Unterlassen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt. Dies können sowohl Haupt- als auch Nebenpflichten sein. Allerdings muss ein Fehlverhalten eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschreiten, damit hierfür eine Abmahnung ausgesprochen werden kann. Wann diese erreicht und eine Abmahnung somit rechtlich zulässig ist, ist im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung zu ermitteln. Mittlerweile kann als Richtschnur auf zahlreiche arbeitsgerichtliche Entscheidungen zurückgegriffen werden.
Grund | Abmahnung zulässig? |
Alkoholkonsum | Ja, wenn ein betriebliches Alkoholverbot existiert oder sich der Alkoholkonsum aus Sicherheitsgründen offensichtlich verbietet, so z. B. bei Bus- oder Taxifahrern oder bei der Bedienung von Maschinen. Achtung: Eine Sucht gilt als Krankheit und darf deswegen nicht abgemahnt werden. |
Beleidigungen | Bei objektiv als Beleidigungen zu wertende Äußerungen gegenüber Kunden, Mitarbeitern, Kollegen und Vorgesetzten ist eine Abmahnung zulässig. Dabei soll jedoch auch der übliche Umgangston im Betrieb zu beachten sein. Auch öffentlich einsehbare beleidigende Postings über den Arbeitgeber in Social Media können abmahnungsrelevant sein. |
Beschädigung | Abmahnung nur zulässig bei grob fahrlässiger oder absichtlicher Beschädigung des Eigentums des Arbeitgebers. |
Compliance-Verstöße | Wer z. B. Geschenke von Kunden, Geschäftspartnern etc. annimmt, obwohl dies per Compliance-Richtlinie verboten ist, riskiert eine Abmahnung. |
Diebstähle | Auch kleine Diebstähle können zur Abmahnung führen. |
Fernbleiben, unentschuldigtes | Wer ohne Begründung nicht zur Arbeit erscheint, kann dafür abgemahnt werden. |
„Krankfeiern" | Das Vortäuschen von Arbeitsunfähigkeit rechtfertigt ebenso eine Abmahnung wie die Drohung, sich krank zu melden. |
Krankmeldung, fehlende | Wer sich zu spät oder gar nicht krankmeldet, muss mit einer Abmahnung rechnen. |
Mobbing | Sowohl diskriminierendes Verhalten gegenüber Kollegen als auch gegenüber Mitarbeitern ist abmahnrelevant. |
Nebentätigkeit | Die Nebentätigkeit muss wegen eines vereinbarten Verbotes bzw. Erlaubnisvorbehalts unzulässig sein oder dem Arbeitgeber Konkurrenz machen, um eine Abmahnung zu rechtfertigen. |
Rauchen | Eine Abmahnung ist nur zulässig, wenn ein betriebliches Rauchverbot gilt. |
Schlechte Arbeitsleistungen | „Low-Performance“ kann zu einer Abmahnung führen, wenn die Aufgabe klar ist und der Arbeitnehmer zwar besser sein könnte, das aber nicht will. In der Regel ist dies schwer nachzuweisen. Anders liegt es bei Arbeitsverweigerung – hier ist eine Abmahnung zulässig. |
Sexuelle Belästigung | Nicht nur unerwünschte körperliche Berührungen können belästigend sein und zur Abmahnung berechtigen, sondern auch anzügliche Bemerkungen und Gesten oder das Zeigen von Bildern mit pornografischem Inhalt. |
Streik | Wenn Gewerkschaften zum Streik aufgerufen haben, ist eine diesbezügliche Abmahnung unzulässig. |
Urlaub ohne Bewilligung | Wer ohne bewilligten Urlaubsantrag der Arbeit fernbleibt oder den Urlaub eigenmächtig verschiebt, muss mit einer Abmahnung rechnen. |
Zu-Spät-Kommen | Bei erheblichen und wiederholten Verstößen ist eine Abmahnung zulässig. |
Mögliche Vorgehensweisen des Arbeitnehmers gegen eine erfolgte Abmahnung
Auf eine Abmahnung hat der Arbeitnehmer folgende Reaktionsmöglichkeiten:
- Aufforderung an den Arbeitgeber, die Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen
- Gegenvorstellung gemäß § 83 Abs. 1 BetrVG zu der Personalakte reichen
- Beschwerde beim Betriebsrat oder auch beim Arbeitgeber wegen ungerechter Behandlung nach §§ 84, 85 BetrVG
- Klage auf Löschung bzw. Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte.
Wann besteht Anspruch auf Entfernung der Abmahnung?
Der Arbeitnehmer kann bei einer unberechtigten Abmahnung verlangen, dass diese aus der Personalakte entfernt wird, wenn z.B. der Sachverhalt unzutreffend ist. Werden in einer schriftlichen Abmahnung mehrere Pflichtverletzungen gerügt, ist dies aber nur für einen Teil von ihnen berechtigt, so muss das Abmahnungsschreiben auf Verlangen des Arbeitnehmers vollständig aus der Personalakte entfernt werden. Ein teilweises Aufrechterhalten kommt nicht in Betracht. Der Arbeitgeber kann allerdings eine neue Abmahnung aussprechen, beschränkt auf die zu Recht gerügten Pflichtverletzungen. Vor diesem Hintergrund ist darauf zu achten, stets jede Pflichtverletzung gesondert – in separaten Schreiben – abzumahnen.
Auch bei einer ursprünglich berechtigten Abmahnung kann ein Anspruch auf Entfernung aus der Personalakte bestehen, wenn der Arbeitgeber keinerlei berechtigtes Interesse mehr an der der weiteren Aufbewahrung geltend machen kann.
Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann ein Arbeitnehmer grundsätzlich die Entfernung einer Abmahnung aus seiner Personalakte verlangen. Ein Löschungsanspruch kann sich aus § 17 Abs. 1 DSGVO ergeben. Danach muss der Arbeitgeber jegliche Daten löschen, sobald der Zweck der Datenerhebung entfallen ist, was mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich der Fall ist. Eine Ausnahme gilt jedoch, solange noch arbeitsrechtliche Streitigkeiten möglich sind, für die die Abmahnung relevant werden kann. In diesem Fall darf der Arbeitgeber die Abmahnung zunächst in der Personalakte belassen.
Fazit
Für den Ausspruch von Abmahnungen wesentlich sind insbesondere folgende Punkte:
- Die Abmahnung sollte aus Beweisgründen schriftlich erfolgen und in zeitlichem Zusammenhang mit der vorgeworfenen Pflichtverletzung stehen.
- Jeder abmahnungsfähige Sachverhalt ist mit einem separaten Schreiben abzumahnen.
- In der Abmahnung muss der Sachverhalt möglichst konkret geschildert und aufgezeigt werden, gegen welche arbeitsvertragliche Pflicht dieses Verhalten verstößt. Sodann ist darauf hinzuweisen, dass ein entsprechendes Verhalten nicht geduldet wird und im Wiederholungsfalle ggf. sogar eine Kündigung in Betracht kommt.
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