Entschädigung wegen geschlechtsspezifischer Benachteiligung

Das LAG Baden-Württemberg hat sich ausführlich mit den Voraussetzungen und dem Umfang eines Entschädigungsanspruchs einer Arbeitnehmerin gegen ihren Arbeitgeber nach einer durch einen ausdrücklichen Kundenwunsch ausgelösten Benachteiligung wegen ihres Geschlechts befasst.
Arbeitgeber auf Entschädigung wegen Diskriminierung in Anspruch genommen
In dem vom LAG entschiedenen Fall hatte eine im Vertrieb der beklagten Baufirma tätige Architektin ihren Arbeitgeber auf eine Entschädigung wegen geschlechtsspezifischer Benachteiligung verklagt. Die Klägerin war einer Bauinteressentin als Beraterin zugeteilt. Die Bauinteressentin äußerte daraufhin ausdrücklich den Wunsch, durch einen männlichen Mitarbeiter beraten zu werden. Daraufhin übernahm der für den betreffenden Bezirk zuständige Regionalleiter die Betreuung der Kundin.
Klägerin forderte materiellen und immateriellen Schadenersatz
Die Architektin rief darauf die bei der Beklagten bestehende AGG-Beschwerdestelle wegen geschlechtsspezifischer Diskriminierung an. Anschließend verklagte sie ihren Arbeitgeber vor dem ArbG. Zum einen forderte sie Ersatz für ihr durch den Entzug des Beratungsmandats entgangene Provisionen in Höhe von insgesamt 32.000 Euro. Darüber hinaus verlangte sie wegen der erlittenen Diskriminierung als Frau eine Entschädigung in Höhe von 84.300 Euro.
Schadenersatzanspruch der Klägerin durch Vergleich geregelt
Im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens schlossen die Parteien hinsichtlich der entgangenen Provisionen im Kammertermin vor dem ArbG einen Vergleich, woraufhin die Klägerin nur noch ihren Entschädigungsanspruch weiterverfolgte. Diesen wies das ArbG erstinstanzlich zurück, mit der Begründung, das Verhalten der Bauinteressentin sei der beklagten Arbeitgeberin nicht zuzurechnen. Der Regionalleiter habe auf den Wunsch der Bauinteressentin nach einem männlichen Berater lediglich reagiert, um die Kundin nicht zu verlieren und der Klägerin bereits vorgerichtlich einen Ausgleich für möglicherweise entstehende Provisionsnachteile zugesichert.
Arbeitgeber müssen Mitarbeiter auch vor Diskriminierung durch Dritte schützen
Im Berufungsverfahren hat das LAG der Klägerin einen Anspruch auf eine Entschädigung wegen erlittener Diskriminierung zugesprochen, allerdings nicht in der von der Klägerin geforderten Höhe. Den Entschädigungsanspruch begründete das LAG mit der Vorschrift des § 15 Abs. 2 AGG. Die Beklagte habe die Klägerin im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG wegen ihres Geschlechts benachteiligt. Sie habe ihre gemäß § 12 Abs. 4 AGG bestehende Pflicht verletzt, geeignete und angemessene Maßnahmen zum Schutz ihrer Mitarbeiterin vor einer Diskriminierung durch Dritte zu ergreifen.
Benachteiligungsverbot verletzt
Der Anspruch auf Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG setzt einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraus. Eine solche Benachteiligung hat die Klägerin nach der Bewertung des LAG durch die Herausnahme der Bauinteressentin aus ihrem Bestand erfahren. Damit seien der Klägerin Chancen auf Provisionen in nicht unerheblicher Höhe abgeschnitten worden. Ein weiterer Nachteil liege in der beschnittenen Möglichkeit der Klägerin, ihre Beratungsqualitäten in dem betreffenden Mandat unter Beweis zu stellen.
Beklagte hätte versuchen müssen, die Bauinteressentin umzustimmen
Das LAG konzedierte der Beklagten, dass das Gesetz keine konkreten Schutzmaßnahmen im Fall der Diskriminierung durch Dritte vorschreibe. Allerdings dürfe eine angemessene Reaktion des Unternehmens erwartet werden. Was angemessen ist, sei nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Als Minimum könne der Versuch erwartet werden, die Interessentin im Rahmen eines informellen Gesprächs umzustimmen. Im Einzelfall könne bei völlig unangemessenen Verhaltensweisen des Dritten auch die Erteilung eines Hausverbots erforderlich sein. Im konkreten Fall vermisste das LAG einen angemessenen Versuch der Beklagten zum Schutz der Klägerin vor Diskriminierung.
Diskriminierung indiziert in der Regel immateriellen Schaden
Im Ergebnis hatte die Klägerin nach Auffassung des LAG eine unzulässige Benachteiligung im Sinne des AGG wegen ihres Geschlechts erfahren. Dies indiziere regelmäßig auch einen immateriellen Schaden der Betroffenen (BVerwG, Urteil v. 30.10.2014, 2 C 6/13). Demgemäß stehe der Klägerin ein Entschädigungsanspruch zu, der so zu bemessen sei, dass ihm eine präventiv abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber vor weiteren Verstößen zukomme. Ein bloß symbolischer Entschädigungsbetrag reiche nicht aus (EuGH, Urteil v. 25.4.2013, C -81/12).
Entschädigung in Höhe von 1.500 Euro ist angemessen
Unter Anwendung dieser Grundsätze hielt das LAG eine Entschädigung in Höhe von 1.500 Euro für angemessen. Das LAG legte Wert auf die Feststellung, dass der Anspruch auf materiellen Schadensersatz für die entgangenen Provisionen keine Rolle bei der Bemessung der Entschädigung für den entstandenen immateriellen Schaden nach § 15 Abs. 2 AGG spielt. Der Anspruch auf Ersatz des entstandenen materiellen Schadens werde in § 15 Abs. 1 AGG geregelt und sei infolge des insoweit erstinstanzlich zwischen den Parteien geschlossenen Vergleichs nicht mehr Gegenstand des Verfahrens.
Entschädigungsanspruch ist verschuldensunabhängig
Das LAG stellte weiter heraus, dass die Haftung nach § 15 Abs. 2 AGG verschuldensunabhängig ist. Ein besonderes Verschulden des Arbeitgebers könne aber als Anlass genommen werden, die Entschädigungssumme zu erhöhen. (BAG, Urteil v. 28.10.2021, 8 AZR 371/20). Solche schadenserhöhenden Umstände erkannte das LAG im konkreten Fall nicht. Die Benachteiligung der Klägerin sei vorwiegend auf außerbetriebliche Umstände, nämlich auf den ausdrücklichen Wunsch der Bauinteressentin, zurückzuführen.
Entschädigungsforderung der Klägerin war überzogen
Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände war nach Auffassung des Gerichts ein Entschädigungsbetrag in Höhe von 1.500 Euro ausreichend. Die Beklagte habe gezeigt, dass sie solche Vorkommnisse ernst nehme und habe bereits organisatorische Maßnahmen für ähnliche Fälle in der Zukunft getroffen. Ein Entschädigungsbetrag in Höhe von 1.500 Euro sei unter Berücksichtigung der Gesamtsituation nicht bloß symbolisch. Die von der Klägerin geltend gemachte Entschädigungssumme von 84.300 Euro sei völlig überzogen und sachlich in keiner Weise gerechtfertigt.
Klägerin muss Kosten der Berufung tragen
Da die Klägerin mit ihrer Forderung nur in einer vergleichsweise geringen Höhe durchgedrungen ist (1,78 % der Klageforderung), hat das LAG der Klägerin die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt. Das LAG hat für die Beklagte die Revision zugelassen, nicht dagegen für die Klägerin.
(LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 20.11.2024, 10 Sa 13/24)
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