Frist für Kündigungsschutzklage bei Schwangeren
Der EuGH hat sich in einer Entscheidung mit der Frage auseinandergesetzt, in welchem Umfang schwangeren Arbeitnehmerinnen die Möglichkeit eingeräumt werden muss, sich gerichtlich gegen eine arbeitgeberseitige Kündigung zur Wehr zu setzen, wenn sie erst nach Erhalt der Kündigung Kenntnis von ihrer Schwangerschaft erlangen.
Inhalt der deutschen Regelung
In Deutschland bestimmt § 4 KSchG, dass nach einer Kündigung durch den Arbeitgeber
- Arbeitnehmer innerhalb von 3 Wochen Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einreichen müssen, wenn sie sich gegen die Kündigung zur Wehr setzen wollen.
- Gemäß § 5 KSchG können Arbeitnehmer einen Antrag auf nachträgliche Zulassung der Klage stellen, wenn sie die Frist unverschuldet versäumt haben.
- Für eine schwangere Arbeitnehmerin gilt gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG, dass diese nach Ablauf der Klagefrist einen Antrag auf Zulassung der verspäteten Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht stellen kann, wenn sie erst nach Fristablauf aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund Kenntnis von ihrer Schwangerschaft erlangt hat.
- Dieser Antrag muss innerhalb einer Frist von 2 Wochen nach Kenntniserlangung gestellt werden.
Überprüfung der Zweiwochenfrist durch EuGH
Die Angemessenheit dieser Sonderregelung stand zur Überprüfung durch den EuGH. Das mit der nach der deutschen Regelung verfristeten Kündigungsschutzklage einer Arbeitnehmerin befasste ArbG hatte dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die deutsche Regelung mit der EU-Richtlinie zur Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen (Richtlinie 92/85/EWG vom 19.10.1992) vereinbar ist. Nach dieser Richtlinie sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um schwangere Arbeitnehmerinnen vor Kündigungen weitgehend zu schützen.
EuGH bewertet Zweiwochenfrist als äußerst kurz
Nach der Entscheidung des EuGH ist die Frist von 2 Wochen für eine Arbeitnehmerin, die aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund vor Ablauf der allgemeinen Frist zur Einreichung einer Kündigungsschutzklage keine Kenntnis von ihrer Schwangerschaft hat, sehr knapp bemessen. In seinem Urteil stellte der EuGH insbesondere den Sinn der gesetzgeberischen Differenzierung zwischen der Dreiwochenfrist für eine „normale“ Kündigungsschutzklage und der Gewährung einer lediglich 2-wöchigen Frist für eine Arbeitnehmerin nach Kenntnis von ihrer Schwangerschaft infrage.
Klagefrist für Schwangere muss angemessen sein
Der EuGH betonte, dass nach der EU-Richtlinie eine Arbeitnehmerin im Falle der Kenntnis von ihrer Schwangerschaft eine angemessene Frist für eine sachgerechte juristische Beratung eingeräumt werden muss. Eine Zweiwochenfrist sei im Hinblick auf die besondere psychische und physische Lage einer Schwangeren als äußerst kurz anzusehen. Für eine schwangere Arbeitnehmerin sei es schwierig, sich innerhalb dieser kurzen Frist angemessen über ihre Rechte beraten zu lassen und eine Entscheidung über eine mögliche Kündigungsschutzklage zu treffen.
Abwägung zwischen Rechtssicherheit und Effektivität
Gleichzeitig betonte das Gericht, dass gesetzliche Ausschlussfristen aus Gründen der Rechtssicherheit grundsätzlich zulässig seien. Bei der Bemessung der Ausschlussfrist seien aber in diesem Fall die besondere Situation einer Schwangerschaft sowie die Effektivität der Durchsetzung der Arbeitnehmerrechte in Rechnung zu stellen, die nicht unangemessen beschränkt werden dürfe.
Überprüfung der Angemessenheit der Frist durch die Arbeitsgerichte
Der EuGH entschied, dass eine Frist von 2 Wochen für einen Antrag auf Zulassung einer verspäteten Kündigungsschutzklage den Anforderungen des Effektivitätsgrundsatzes zum Schutz der Rechte für Schwangeren nach der Richtlinie 92/85/EWG widersprechen kann, wenn die Frist die Umsetzung der Rechte der schwangeren Arbeitnehmerin übermäßig erschwert. Ob eine Zweiwochenfrist im Einzelfall ausreicht oder zu kurz bemessen ist, wollte der EuGH aber nicht pauschal entscheiden. Der EuGH legte die Entscheidung vielmehr in die Verantwortung der Arbeitsgerichte, die im Einzelfall unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände zu prüfen hätten, ob die Zweiwochenfrist zu kurz bemessen oder noch ausreichend war.
EuGH-Entscheidung schafft keine Rechtssicherheit
Im Ergebnis sieht der EuGH die deutsche Regelung einer Zweiwochenfrist damit zwar als grenzwertig, aber nicht als in jedem Fall unwirksam an. Damit handelt es sich bei der Zweiwochenfrist des § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG allerdings um keine echte Ausschlussfrist mehr, denn die Entscheidung über die Angemessenheit hängt nunmehr von den Umständen des Einzelfalls ab. Gegebenenfalls sollte der deutsche Gesetzgeber nachbessern.
(EuGH, Urteil v. 27.6.2024, C- 284/23)
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