Schwangere Arbeitnehmerinnen brauchen angemessene Frist für Kündigungsschutzklage
Im vorliegenden Verfahren ging es um die formellen Voraussetzungen für einen Antrag auf Zulassung einer verspäteten Kündigungsschutzklage. Der EuGH hatte sich nach Vorlage durch das Arbeitsgericht Mainz damit auseinanderzusetzen, ob diese mit den Anforderungen des europäischen Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes vereinbar sind. Grundsätzlich muss eine Kündigungsschutzklage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung erhoben werden. Erfährt eine Arbeitnehmerin zu einem späteren Zeitpunkt, dass sie zum Zeitpunkt der Kündigung schwanger war, kann sie innerhalb von zwei Wochen einen Antrag stellen, dass die verspätete Klage ausnahmsweise zulässig ist. Passiert dies nicht, wie im vorliegenden Fall, ist die Kündigung eigentlich wirksam. Diese Frist von zwei Wochen ist zu kurz, meint der EuGH.
Der Fall: Schwangere Mitarbeiterin versäumt Frist für Kündigungsschutzklage
Die Mitarbeiterin war als Pflegehelferin mit einem befristeten Vertrag seit dem 1. August 2022 im Haus Jacobus, einem Pflegeheim, beschäftigt. Der Arbeitgeber kündigte ihr am 6. Oktober 2022 mit Wirkung zum 21. Oktober.
Am 9. November 2022 wurde ärztlich festgestellt, dass die gekündigte Mitarbeiterin in der siebten Woche schwanger ist. Dies teilte sie dem Arbeitgeber am nächsten Tag mit. Am 13. Dezember reichte sie beim Arbeitsgericht Mainz Klage gegen ihre Kündigung ein, mit der Begründung, dass sie zum Zeitpunkt der Kündigung schwanger gewesen sei.
ArbG Mainz legt EuGH Frage zur Kündigungsfrist vor
Das Arbeitsgericht Mainz stellte fest, dass die vorgesehene ordentliche Frist für die Kündigungsschutzklage - drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung - zum Zeitpunkt, als die Arbeitnehmerin von ihrer Schwangerschaft erfuhr und sie die Klage erhob, bereits verstrichen gewesen sei. Die im deutschen Recht vorgesehene Regelung, innerhalb von zwei Wochen einen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage zu stellen, habe die Arbeitnehmerin nicht genutzt.
Somit sei die Kündigung trotz des Sonderkündigungsschutzes bei Schwangerschaft wegen der Fristversäumnis wirksam, stellte das Arbeitsgericht Mainz fest. Allerdings erschien dem Gericht diese Frist von zwei Wochen sehr kurz. Dies sei möglicherweise nicht mit der europäischen Richtlinie über schwangere Arbeitnehmerinnen vereinbar. Daher befragte das Arbeitsgericht den EuGH.
EuGH: Zweiwöchige Frist nach Kenntnis der Schwangerschaft ist zu kurz
Der Gerichtshof stellte fest, dass die deutsche Zweiwochenfrist mit europäischem Recht nicht vereinbar ist, da sie dem Effektivitätsgrundsatz nicht genügt. Nach der deutschen Regelung verfüge eine schwangere Arbeitnehmerin, die zum Zeitpunkt ihrer Kündigung Kenntnis von ihrer Schwangerschaft hat, über eine Frist von drei Wochen, um Klage zu erheben und ihre Rechte geltend zu machen. Dagegen habe eine Arbeitnehmerin, die aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund vor Verstreichen dieser Frist von ihrer Schwangerschaft nicht weiß, nur zwei Wochen Zeit, um zu beantragen, eine solche Klage erheben zu können.
Im Vergleich zu dieser ordentlichen Frist hielt der EuGH die eine um eine Woche kürzere Frist für nicht mit der Richtlinie vereinbar. Er wies darauf hin, dass eine so kurze Frist angesichts der Situation, in der sich eine Frau zu Beginn ihrer Schwangerschaft befindet, es einer schwangeren Arbeitnehmerin erschwere, sich sachgerecht beraten zu lassen und gegebenenfalls einen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage sowie die eigentliche Klage abzufassen und einzureichen. Es sei jedoch Sache des Arbeitsgerichts zu prüfen, ob dies tatsächlich der Fall ist.
Hinweis: Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 27. Juni 2024 in der Rechtssache C-284/23
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